Backstage im Raimund Theater: Aug in Aug mit dem Phantom der Oper
Das berühmteste Musical der Welt ist wieder in Wien zu sehen – und feiert ein triumphales Comeback. Die "freizeit" war im Raimund Theater zu Gast, hat sich hinter den Kulissen umgesehen, und mit einigen der am Erfolg Beteiligten geplaudert.
Das erfolgreichste Musical, das je am Broadway gespielt wurde, ist auch weltweit ein Phänomen: 160 Millionen Menschen in 46 Ländern sind der Magie des Phantoms bereits verfallen. Seit wenigen Wochen wird es auch in Wien wieder gespielt, wo es 1988 seine gefeierte deutschsprachige Premiere erlebte.
Die "freizeit" ergriff die Gelegenheit, um einmal hinter die Kulissen dieser einzigartigen Erfolgsstory zu blicken und besuchte das Raimund Theater einige Stunden vor Vorstellungsbeginn. Die steil aufragenden roten Sitzreihen sind noch leer, die Türen für die Fans verschlossen – und doch wuselt es Backstage schon am Nachmittag ganz ordentlich.
Viele der rund 120 Menschen, die hier für einen unvergesslichen Abend sorgen wollen, sind längst bei der Arbeit. In den verwinkelten Gängen, verwirrenden Halbstiegen und kleinen Zimmern, in denen normalerweise unsichtbar dafür gesorgt wird, dass auf der Bühne alles glänzt und strahlt, werden Perücken auffrisiert und Kostüme gebürstet, Scheinwerfer hochgezogen und jedes noch so kleine Requisit an den dafür vorgesehenen Platz gebracht. Wenn zu Showbeginn der Vorhang hochgeht, muss alles blind von alleine funktionieren.
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Auf der Bühne versenkt Requisiteurin Claudia Pyrotechnik-Zylinder im Parkettboden, sie ist für die atemberaubenden Effekte während der Aufführung zuständig. Ein brisantes Geschäft, das ganze Ensemble muss sich auf sie verlassen können. Sie macht ihren Job seit 20 Jahren, seit vier Jahren im Raimund Theater, jeder Handgriff sitzt. Die 28 Plätze im Orchestergraben vor ihr sind noch leer, die Musiker kommen erst später.
„Das ist vielen in Wien gar nicht bewusst, was das für ein Luxus ist“, erklärt Anton Zetterholm. Der Publikumsliebling ist der erste Star, der am Nachmittag ins Raimund Theater kommt. Er spielt das Phantom, dafür sitzt er über eine Stunde in der Maske. Wien ist inzwischen fast so etwas wie ein zweites Zuhause für den sympathischen Schweden, acht Wochen lang dauerten die täglichen Proben vor der Premiere, davor spielte er den Tony in der „West Side Story“ an der Volksoper.
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Zetterholm spricht damit die leider zunehmende Praxis vieler auch höchst renommierter Häuser an, nur mit kleinstmöglicher Orchesterbesetzung zu spielen. Teile der Musik kommen dann aus der Konserve oder die Stücke werden extra dafür umarrangiert. Er kann diese Vergleiche anstellen, hat schon an allen großen deutschen Bühnen performt, sogar am legendären Londoner West End.
Von Tarzan zum Phantom
Zetterholms kometenhafter Aufstieg in den Musical-Himmel begann, als er mit 22 die internationale Castingshow für die Besetzung des ersten deutschsprachigen „Tarzans“ der millionenschweren Disney-Produktion gewann. „Auf der Straße begrüßen mich manche Fans heute noch mit Tarzan“, sagt er lachend.
Seine große Liebe gelte allerdings dem Phantom, wie er erklärt. Nicht nur, weil es „die Hauptrolle der Hauptrollen“ ist, sondern weil es sein Leben grundlegend verändert hat. Als er vor elf Jahren in „Le Miserables“ sein London-Debüt gab, wurde auch das „Phantom“ im Her Majesty’s Theatre aufgeführt. Der britische Musical-Star Harriet Jones spielte die Christine – und es war Liebe auf den ersten Blick. Mit glücklicherem Ausgang als im Musical, Zetterholm und Jones sind längst verheiratet und freuen sich über inzwischen zwei Kinder.
In Wien wird Christine, eine der anspruchsvollsten Rollen des Genres, von der blutjungen Niederländerin Lisanne Clémence Veeneman gespielt, die dafür geradezu euphorische Kritiken erhalten hat.
„Ich kann Christine so gut verstehen, vielleicht, weil ich gerade ähnliches fühle. Sie war im Chor und wurde plötzlich zur Solistin, ich war gerade noch im Ensemble von Miserables – und stehe jetzt als Christine auf dieser fantastischen Bühne, auf der schon so viele große Produktionen aufgeführt wurden“, sagt sie in nahezu perfektem Deutsch.
„Ich habe mich sehr bemüht, schnell zu lernen – schon aus Respekt vor dem Stück. Und weil ich Wien richtig erleben will.“
Hatte sie schon Zeit, einen Lieblingsort zu finden? „Einstweilen habe ich hauptsächlich die klassischen Touristenplätze besucht, für mehr ließen die anstrengenden Proben keine Zeit. Wobei ich Schönbrunn wirklich liebe, da geh ich immer wieder hin. Aber ja, den Kutschkermarkt finde ich toll, da freue ich mich doppelt über den Frühling, weil man jetzt draußen sitzen kann!“
Gegen die Wand zum Erfolg
Lisanne Veeneman hat zwar nicht wie ihr Kollege das Phantom bei einem Casting-Wettbewerb mitgemacht, aber die Situation, vor einer Jury zu singen, ist ihr natürlich auch nicht fremd. Denn vor allem junge Musical-Darsteller müssen, genau wie Schauspieler oder Opernsänger, immer wieder durch Casting-Mühlen: die Auditions, die für die Besetzung der Rollen abgehalten werden.
Die für das Phantom der Oper in Wien wird ihr wohl das ganze Leben lang in Erinnerung bleiben: „Es war gleich beim ersten Vorsingen“, erzählt sie lachend, „es lief eigentlich gut, ich war aber schon ziemlich nervös, und als ich von der Bühne gehen will, drehe ich mich nochmal um, um mich zu verabschieden – und laufe voll gegen die Mauer neben dem Ausgang!“
Die Zukunft des Musicals
Nicht nur die Wiener Kritiker, auch Wiens Musical-Macher Christian Struppeck, Musical-Intendant der Vereinigten Bühnen Wien, ist von der jungen Künstlerin begeistert: „Es ist eine sehr große, sehr schwere Rolle. Und dementsprechend nicht einfach, eine junge Darstellerin zu finden, die wirklich schon alles kann, was diese Rolle abverlangt. Aber mit Lisanne hatten wir wirklich großes Glück.“
Wobei wir nicht glauben, dass ein Mann wie Christian Struppeck, der einige der erfolgreichsten Musicals Europas teilweise selbst geschrieben und produziert hat, sich ausgerechnet in dieser Angelegenheit aufs Glück verließ. Er wird bei den insgesamt drei Auditions, die für die Besetzung dieser immens wichtigen Rolle abgehalten wurden, wohl sehr genau zugehört haben ...
Wo sieht der Experte die Zukunft des Musicals? „Popmusik, klassische Musik, Rock – in einem hat man 30 Darsteller, in einem anderen nur drei: Das Musical ist so vielfältig, dass man die einzelnen Sub-Genres gar nicht vergleichen kann. Das ist ja auch das Aufregende. Und es ist für jeden was dabei, egal, ob Compilations oder durchkomponierte Stücke gerade mehr im Trend liegen.“
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