Autor Tommy Jaud: „Ich lobe mich für den kleinsten Unsinn“

Phänomen Alltagsstress: nix erledigt und trotzdem fertig. Die Psyche des Autors wird etwa von Staubsauger-Robotern zermürbt. Hat er ein Gegenmittel?

Wahnsinn, dieser Alltag. Hunderte Sachen sollen wir erledigen, und das am besten gleichzeitig. Kein Wunder, dass wir langsam den Verstand verlieren. Tommy Jaud weiß davon ein Lied zu singen und hat ein Buch darüber geschrieben: „Komm zu nix – Nix erledigt und trotzdem fertig“. Darin berichtet der Comedy-Autor, erfolgreich mit Romanen wie „Vollidiot“ oder „Resturlaub“, von lästigen Werbeanrufern und aufdringlichen Lieferdiensten. Wir baten ihn zum Interview.

Lieber Tommy Jaud, wie irre ist Ihr Alltag?

Vollkommen irre. In meinem Schreib-Büro in der Kölner Innenstadt versuche ich deswegen so zu tun, als würde ich einem geregelten Alltag nachgehen. Klappt nur leider nicht. Sobald ich es verlasse, erschlägt mich die nächste Flut an Wirrnissen und Dämlichkeiten.

Man kommt zu nix mehr, immer ist was, das die Aufmerksamkeit beansprucht. Damit sprechen Sie vielen aus der Seele.

Ich glaube, wir leiden alle unter Alltagsversagensangst. Wir denken: Die anderen kriegen’s doch auch hin! Aber das stimmt nicht: Die anderen kriegen es auch nicht hin. Wir werden von einem Kleinteiligkeitstsunami überrollt, ohne es zu merken. Täglich kommt eine Aufgabe dazu. Menschen, Geräte, Apps: Alle wollen was von einem. Es wird immer mehr und wir kriegen es gar nicht mehr mit. Wie der Fisch in der Pfanne, dem immer wärmer wird und der gar nicht mitbekommt, dass er gekocht wird.

Tommy Jaud

Tommy Jaud

Tommy Jaud wurde 1970 im fränkischen Schweinfurt geboren. Ende der 90er-Jahre war er Headwriter der Sat.1-„Wochenshow“ und produzierte Anke Engelkes „Ladykracher“. 2004 feierte er großen Erfolg mit seinem Romandebüt „Vollidiot“ (verfilmt mit Oliver Pocher), weitere Buch-Erfolge u. a. mit „Hummeldumm“ oder „Einen Scheiß muss ich“. Verheiratet. Neues Buch: „Komm zu nix – Nix erledigt und trotzdem fertig. Gute-Laune-Storys“. Alltagssatiren auf 208 Seiten. 15 Euro. Fischer Scherz Verlag.     

Dazu kommt, dass einen ständig das schlechte Gewissen plagt, weil man nicht allen Anliegen entsprechen kann.

Das kenne ich gut. Im Moment wartet ein gutes Dutzend lieber Leute auf WhatsApp, Threema und Facebook auf eine Antwort von mir. Am Abend stellt sich dann die Frage: zu Abend essen und entspannen oder noch die digitale Korrespondenz erledigen? Für mein Seelenheil entscheide ich mich oft fürs Essen.

Sind Sie in vielen WhatsApp-Gruppen? Die stellen sich ja oft als ein Moloch an Zeitverschwendung heraus.

Um Himmels willen! Dann käme ich ja zu überhaupt nichts mehr. Ich bin in einer einzigen Gruppe und die macht Sport am Freitagabend. Aber die sind alle aus meiner Generation und sehr diszipliniert. Da postet keiner Videos. Heute Abend, 18.30, komme oder kann nicht – Ende. Vorbildlich.

Mitunter rauben einem auch Dinge die Zeit, die eigentlich Zeit sparen sollten.

Digitale Organizer etwa oder zuletzt ein Staubsaugroboter. Angeblich das beste Gerät, doch die App dazu ist ein Graus. Haben auch alle Bewertungen im App-Store gesagt. Die Leute hassen das Ding, weil sie die Wohnung schon zehn Mal selbst gesaugt hätten, statt mit dem Support zu chatten. Ich blicke bei der App auch nicht durch. Jetzt steht das Ding im Büro rum, denn es fährt ja nicht, und ich muss es sogar auch noch abstauben!

Vom Yoga  übrig blieb nur die Wechselatmung: Nadi Shodhana. Behindert aber beim Autofahren beim Fluchen.

Was halten Sie von Zeitmanagement-Ratgebern, die helfen sollen, das Leben besser zu organisieren?

Nichts. Den meisten ist auch damit nicht mehr zu helfen, mir auch nicht. Ich habe mein eigenes Prinzip, das habe ich schon als Kind gemacht. Jetzt heißt es Time-Boxing und ist plötzlich modern: Sich gezielt eine Viertelstunde Zeit für eine bestimmte Tätigkeit nehmen – und dann wieder damit aufhören.

Das hilft?

Absolut! Ich trage sogar „Saugroboter abstauben“ oder „Abwasch“ in meinen Kalender ein und freue mich abends darüber. Ich kann es abhaken, das gibt mir das echt gute Gefühl, ja doch etwas erledigt zu haben. Ich lobe mich selbst für den kleinsten Unsinn, wie zur Post zu gehen und ein Paket zurücktragen.

Was raten Sie anderen?

Gar nichts. Wir wissen die Antworten längst, haben sie im Fernsehen, von den Eltern oder dem Therapeuten gehört. Ich selber lasse mich nicht zu Tode hetzen, mache Pausen. Lege mich mal hin und mache 20 Minuten gar nix. Mit Yoga habe ich nach einem Bandscheibenvorfall aufgehört, einzig übrig blieb die Wechselatmung, Nadi Shodhana: durch ein Nasenloch ein-, durchs andere ausatmen. Nur beim Autofahren klappt das schlecht. Es behindert beim Fluchen.

Wie sehr stresst Sie Weihnachten?

Gar nicht. Verwandte besuchen, zum Essen einladen, Geschenke kaufen: lassen wir alles aus. Meine Frau und ich beschenken uns unterm Jahr, zu Weihnachten wird nix erwartet. Auf das 80er-Jahre-Raclette meiner Mutter freue ich mich, aber sonst bin ich froh, wenn alles vorbei ist. Mühseliger ist Silvester. Jeder hält sich bis zuletzt alles offen. Da heißt’s die Nerven bewahren, bis ein anderer eine Party schmeißt.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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