Marc Elsberg im Interview: "Das hat mich richtig schockiert!“

Globale Bedrohungen, Stromausfälle, genetische Manipulationen – seit Jahren sorgt der Wiener Schriftsteller Marc Elsberg für internationalen Nervenkitzel. In seinem neuen Thriller „Celsius“ hat er sich der Erderwärmung angenommen.

Täglich kleben sich Klima-Aktivisten auf irgendeine Straße, die Volksseele brodelt, für die einen sind sie Störenfriede, für die anderen leisten sie einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen die fatale Erderwärmung  – oder sind zumindest der Stachel, der uns das Problem schmerzhaft bewusst macht.

Wer, wenn nicht Marc Elsberg würde genau zur richtigen Zeit einen fesselnden Thriller aus einer drohenden globalen Katastrophe machen?

Herr Elsberg, Ihr neues Buch erscheint am 15. März und könnte aktueller nicht sein. Wie haben Sie sich dem Thema angenähert?
Ich will keine Science-Fiction machen, in meinen Storys geht es um die unmittelbare Zukunft, eine Entwicklung, die sich bereits jetzt abzeichnet. Und am Grund jeder guten Geschichte ist immer ein Konflikt. Da ist die Erderwärmung natürlich ein Thema. Und die Geschichte, die ich in „Celsius“ erzähle, wäre technologisch bereits möglich, also zumindest theoretisch. Und genau da sind wir bei den Dingen, die mich interessieren, über die ich schreibe.
Ausgangspunkt ist ja ein Projekt, durch das diese Erderwärmung gestoppt werden soll. Dabei sollen Aerosole und feinste Partikel in die Stratosphäre transportiert werden, um wie nach einem Vulkanausbruch die Sonneneinstrahlung abzuschwächen …
Genau, Solar Radiation Management nennt sich das. Und damit sind wir auch gleich bei dem Punkt, an dem sogenanntes Geo-Engineering, also die menschliche, bewusst herbeigeführte Beeinflussung des Klimas, zur Waffe wird. Wer hat hier die Oberhoheit, wer bestimmt, ob die Temperaturen hinauf oder hinunter gehen?
©Kurier/Gilbert Novy
Und diese fantastischen Szenarien, die stellenweise erschreckend sind, wären heute tatsächlich schon möglich?
Ja, auch wenn manche denken werden, das sei totale Zukunftsmusik – die Technologie gibt es bereits. Es existieren Fluggeräte, die bis in die Stratosphäre kommen. Denen fehlt es noch an  Größe, um genügend Material transportieren zu können. Aber das ist ein lösbares Ingenieursproblem. In fünf bis sieben Jahren sind diese Szenarien umsetzbar. Und wir wissen nicht, woran in welchen Ländern gerade gearbeitet wird ...
Herr Elsberg, Sie sind ausgesprochen kreativ und sehr erfolgreich im Entwerfen weltbedrohender Szenarien. Schlafen Sie eigentlich gut?
Ja, eigentlich schon, danke. Aber Sie haben natürlich in Bezug auf einige Bücher Recht, „Blackout“ war nicht lustig, „Zero“ war auch nicht supererfreulich. Bei anderen Romanen, wie etwa jetzt bei „Celsius“, kommt es auch auf die Perspektive an. Oder nehmen Sie „Helix“: Wie weit würden wir gehen, um es unseren Kindern leichter zu machen, ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen. Das fängt schon damit an, in welchen Kindergarten wir sie einschreiben, in welche Schule? Manche Eltern schicken ihre Kinder mit drei Jahren in den Mandarin-Kurs, um ihnen Vorteile zu verschaffen – und da stellt sich doch die Frage: Würde ich mein Kind auch genetisch optimieren, wenn diese Möglichkeit angeboten wird? Was würde man selbst alles tun, um die Chancen seines Kindes in dem Wettbewerb, den es im Leben bestehen muss, zu erhöhen?

Elsbergs erster Bestseller "Blackout" wurde hochkarätig besetzt als Serie verfilmt

Ein moralisches Dilemma!
Natürlich. Noch gibt es keine Designer-Babys, wie ich sie in „Helix“ beschrieben habe, aber ich muss ehrlich sagen: Wenn die Technik erforscht und ausgereift wäre, und natürlich legal, frei zugänglich, ich wüsste nicht, wie ich mich entscheiden würde.
Sie wirken in Ihren Büchern den Reichen und Mächtigen gegenüber durchaus kritisch. Den CEOs und Strippenziehern. Gibt es auch gute Milliardäre?
Auf jeden Fall. Genauso, wie es unter armen Leuten gute und schlechte gibt, ist es auch bei den Menschen mit viel Geld. Man braucht ja nur die „Giving Pledge“ betrachten, nach der ja etliche Milliardäre auf Initiative von Bill Gates und Warren Buffett einen Großteil ihres Vermögens spenden. Manche noch zu Lebzeiten, andere nach ihrem Tod. Natürlich wäre es besser, wenn es gar nicht zu einer solch immensen Akkumulation an Reichtum kommen würde. Denn Geld bedeutet ja immer auch Macht – und in Wahrheit kann Elon Musk den Ukraine-Krieg entscheidend beeinflussen, wenn er etwa sein Satellitensystem schließt. Und das sollte definitiv nicht sein, kein einzelner Mensch sollte diese Macht haben.
Will Manu Sanusi, der umtriebige Milliardär in ihrem neuen Buch, wirklich Gutes?
Das hängt von der Perspektive ab. Aber wenn ich Ihnen meine Sichtweise erkläre, verrate ich quasi auch den Ausgang des Romans... Lassen Sie mich so viel sagen: Er ist mein Lieblingscharakter im Buch. Auch wenn ich seine Ziele am Ende nicht unbedingt teile... Aber ich kann seine Perspektive verstehen. Und von der aus macht er alles richtig.

 Auch Marc Elsbergs Roman "Zero" wurde bereits verfilmt. Und es wird wohl nicht sein letzter Roman sein, der filmisch umgesetzt wird.

Wie viel Eigenleben entwickeln Ihre Charaktere eigentlich im Lauf des Schreibens?
Ich gehöre eher zu den planenden und strategisch arbeitenden Autoren, habe also ein relativ strenges Konzept und auch ein Ende, auf das alles hinausläuft. Aber irgendwann kommt eigentlich immer der Punkt, an dem die Charaktere mir einen Strich durch die Rechnung machen. Und ich frage mich dann: „Warum macht der jetzt etwas ganz anderes als ich geplant habe?“  Und ich muss dem doch häufig nachgeben ... Ja, sie entwickeln ein Eigenleben – und in Wahrheit fängt es genau da für mich an, spannend zu werden.
Passiert es Ihnen dann auch manchmal, dass Ihnen ein Charakter leid tut, der sterben muss?
Manche mag man lieber als andere, das ist so. Und jene, die ich mag, von denen trenne ich mich natürlich nur ungern ... Ich versuche allerdings, klassische Erzählmuster à la „Save the kid, save the cat“ zu vermeiden, wobei ich dabei nicht so weit gehe, wie etwa ein George R. R. Martin, der damit ja richtig groß geworden ist: Bau eine Figur auf, und dann zack, weg mit ihr. Bei Hitchcocks „Psycho“ lässt sich das auch schon beobachten, da ist Janet Leigh die erste Hälfte des Films lang die Hauptfigur – und dann geht sie duschen! Was für ein Schock damals. Bei mir sterben von den Protagonisten eigentlich relativ wenige ...
Die Journalistin Shannon in „Blackout“?
(lacht) Erwischt! Die stirbt nur in der Fernsehserie, nicht im Buch. Aber ja, das hat mich richtig schockiert, dass sie da einfach rausgekillt wurde. Nur: Wenn es einen guten Grund gibt, wenn es die Story voranbringt, dann kann ich damit leben.
(errötend) Hoppla! Aber da wir nun schon bei TV-Serien sind: Sie schreiben selbst sehr filmisch, mit raschen Schnitten, Parallelmontagen und dergleichen. Können Sie sich die Umsetzung Ihrer Bücher von anderen ansehen? Mittlerweile wurden ja „Blackout“ und „Zero“ verfilmt, und ich könnte mir vorstellen, dass noch einiges mehr umgesetzt wird.
Zwei Mal „ja“: Es stimmt, beim Schreiben habe ich praktisch einen Film im Kopf, ich sehe die Szenen vor mir. Das geht so weit, dass ich in der Planungsphase Storyboards mit den Schlüsselszenen schreibe, also mit entsprechenden Skizzen. Und ja, die bisherigen Verfilmungen gefallen mir, gute Drehbücher, tolle Schauspieler – auch wenn mir Shannon wirklich leid getan hat.
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Wie kommen Sie zu Ihren Themen?
Das ist sehr unterschiedlich. Bei Blackout war es die Tatsache, dass selbst das kleinste, banalste Produkt, wie etwa eine elektrische Zahnbürste, Bestandteile aus zwölf verschiedenen Ländern benötigt. Dahinter steckt eine unglaubliche Logistik und  gegenseitige Abhängigkeiten. Was passiert, wenn dieser Prozess gestört wird? Wenn plötzlich nichts mehr geht? In den letzten 30 Jahren haben wir unsere ganze Gesellschaft umorganisiert. Alles hängt von Lieferketten ab, ein Krankenhaus, ein industrieller Kuhstall oder eine Bankfiliale – sie funktionieren nur mit intakten Lieferketten. So wie die Fabrik, in der die Zahnbürsten hergestellt werden. Alle abhängig von externen Zulieferern, nur ein Knoten in einem riesigen Netzwerk. Das erlaubt uns hier im Westen besser zu leben als jeder Kaiser vor 150 Jahren. Aber was passiert, wenn dieses komplizierte System plötzlich nicht mehr funktioniert? Logistik, Finanzen, Internet oder wie in Blackout die Elektrizität – es muss nur ein Faktor ausfallen, dann sind nach einer Woche die Regale im Supermarkt leer, wie uns Streiks in England gezeigt haben.
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Wieso sind wir Leser eigentlich von diesen erschreckenden Szenarien so fasziniert?
Meine These ist, dass man sich in einer Gesellschaft, in der es uns allen wahnsinnig gut geht, einen gewissen eskapistischen Thrill  holt. Aber ich weiß natürlich nicht, was Menschen in Krisengebieten lesen oder schauen. Hier in Österreich und Deutschland hat man sich nach den unglaublichen Schrecken des Zweiten Weltkriegs lange mit „Sissi“, Hans Moser und Peter Alexander im Weißen Rössl unterhalten. Das würde für meine These sprechen ... Ein wesentlicher Punkt ist aber wahrscheinlich, dass wir Menschen uns immer die Frage stellen: „Was wäre wenn?“
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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