Partyhauptstadt Frankfurt: Von der Flughafen-Disco zum Techno-Kult
Ob Flughafen-Disco Dorian Gray oder Techno-Club Cocoon mit Sternekoch. In Frankfurt machte nicht nur die Börse Krach. Das würdigt ein eigenes Museum.
Hauptstadt der Businessanzüge, der Banker, der Wolkenkratzer. Zentrum der Literatur mit der Buchmesse, die bald startet, und Goethe-Stadt. In Frankfurt am Main schlagen, ach zwei Seelen. Doch es ist mehr als Geld und Geistesblitze. Die Stadt war musikalisch oft vorne dabei und hat das Nachtleben Europas erheblich mitgeprägt.
Der Jazz schafft es vergleichsweise früh, Fans zu finden. An "Dr. Hochs Konservatorium" wird 1928 wohl die erste Jazzklasse Europas eingerichtet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schlägt die US-Army ihr Hauptquartier in Frankfurt auf.
In den Soldatenklubs spielen lokale Nachwuchskünstler neben GIs und eingeflogenen Jazz-Stars aus den Staaten wie Louis Armstrong. Der bis heute bestehende Frankfurter Jazzkeller setzt bereits ab 1952 Akzente.
Eine andere Musikrichtung aus den Staaten, die in Frankfurt auf fruchtbaren Boden fällt, ist Disco. Ende der Siebzigerjahre will man sich hier nicht lumpen lassen und kopierte das Studio 54 aus Manhattan.
Dorian Gray am Frankfurter Flughafen
Der Tanzpalast heißt Dorian Gray und eröffnet am Flughafen. Auch wenn die Skyline der hessischen Stadt noch nicht so dominant ist: Ein Schritt Richtung Mainhattan ist getan. Nur, dass nicht Liza Minnelli, Andy Warhol oder David Bowie kommen. Die Gäste, die in Frankfurt einen Hauch von Glamour versprühen sollen, heißen Niki Lauda und Udo Lindenberg.
Wie die FAZ einmal schreibt, hat 1970 am Airport eine neue Ära begonnen. Der Jumbojet landet erstmals, das Areal wird kräftig erweitert. Es soll ein Anziehungspunkt für die ganze Region werden. Tagsüber klappt das damals ganz gut, nachts ist im Terminal tote Hose.
Warum also nicht eine Diskothek einbauen, die für etwas Leben sorgt? Nachdem sie für Schönheit, Hedonismus und Exhibitionismus stehen soll, ist der Name aufgelegt. Wer sonst vertritt diese Eigenschaften so vehement wie Oscar Wildes Romanfigur?
Und wer so dick und schick aufträgt, braucht Promis. Aber die fehlen zur Eröffnung. Also wird ein "Bayernbomber" gechartert, der die Münchner Schickeria nach Frankfurt fliegt. Und die fühlt sich zunächst – die Disco hat Platz für 2.500 Tanzwütige – noch eher alleine. Das änderte sich bald. Immerhin ist das Dorian Gray nicht von der Sperrstunde um 4 Uhr morgens betroffen. Schicke Playboy-Partys und die "Formel 1 Party" sorgen für volles Haus.
In den 80ern wird es in der Disco zunehmend avantgardistischer. Wenn man reinkommt: Die Türpolitik ist berühmt-berüchtigt. Es gibt wegen des langen Gangs genug Zeit, die potenziellen Gäste zu mustern. Drinnen legt etwa DJ Talla 2XLC einen neuen Sound auf. Er hat in einem Plattengeschäft elektronisch produzierte Musik unter der Kategorie "Techno" zusammengefasst.
Fast zeitgleich gibt der junge Afroamerikaner Juan Atkins im tausenden Kilometer entfernten Detroit seinen futuristischen Klängen ebenfalls den Namen Techno.
Aus Off! wird Eurodance
Im Umkreis des Dorian Gray entsteht etwas, das die Medien und Musikindustrie bald als "Sound of Frankfurt" zusammenfassen. Dazu gehört die Gruppe Off, die in den Achtzigern mit Nummern wie Electric Salsa Achtungserfolge feiert.
Die zwei Off-Produzenten, Luca Anzilotti und Michael Münzing, gründen 1989 eine der ersten Eurodance-Truppen: Snap! Die Formation, die Hip Hop mit Dance-Elementen kombiniert, liefert Hits wie The Power und Rhythm is a Dancer. Culture Beat oder Jam and Spoon kommen ebenfalls aus der Stadt.
Der dritte Teil von Off, er ist DJ im Dorian Gray, wird Anfang der Neunziger zu einem der ersten Stars des Techno: Sven Väth. Er eröffnet mit dem Omen einen eigenen Club, der Nachtschwärmer aus ganz Europa anzieht.
Denn hier geht die Post ab. Mit nacktem Oberkörper, Mönchsfrisur und mitunter Sauerstoff-Maske legt er bei seinen Marathon-Sets, die 15 Stunden dauern können, Platten auf. Und er ist nicht alleine. In den Neunzigern ringt Frankfurt mit Berlin um den Titel Techno-Hauptstadt.
Auch beim Gangsta-Rap ist man früh dran. Frankfurt gilt verglichen mit anderen deutschen Städten als hartes Pflaster. Das Rödelheim Hartreim Projekt bedient sich bei den US-Vorbildern, während man in München, Stuttgart, Hamburg noch politisch korrekten Rap veröffentlicht.
Techno verzieht sich in den Underground
Irgendwann ist die große Party vorbei. Techno schrumpft sich nach schier endlosem Wachstum gesund. Das Dorian Gray sperrt 2001 wegen Brandschutzauflagen, das Omen muss 1998 einer Bank Platz machen.
Während man in Berlin den deutschen Gangsta-Rap in den 2000ern mit Sido, Bushido und Co neu definiert, wagt sich in Frankfurt der 40-jährige Sven Väth im Jahr 2004 an ein neues Projekt.
Er sperrt mit dem Cocoon einen Club auf. Das Gebäude sieht von außen aus wie ein Ufo, drinnen schmückten Waben die Wände und die DJ-Kanzel. Etwas zu essen gab es dort auch. Und zwar sehr Gutes vom Österreicher Mario Lohninger im Betten-Restaurant Silk und dem stilvollen Bistro Micro.
Wie die FAZ schrieb, erklärt Väth vor der Eröffnung, er wolle "einen schicken Club für Menschen in seinem Alter schaffen. Auch unter ihnen gebe es Leute, die feiern wollten und nicht spießig seien. Und die können sich in der Regel auch höhere Preise bei Eintritt und Getränken leisten".
Die Küche im Cocoon bekommt einen Michelin-Stern
Das Konzept geht anfangs auf. Lohninger holt sich für seine Küche 2006 sogar einen Michelin-Stern. Doch die ältere Zielgruppe feiert zu selten, den Jungen ist es wohl zu teuer. 2012 schließt der Cocoon Club.
Heute ist es in Frankfurt weniger prickelnd. Die einstige Partyhochburg hat – wie viele andere Städte auch – mit Corona-Nachwehen, steigenden Mieten oder klagsfreudigen Anwohnern zu kämpfen. Ein 13-köpfiger "Nachtrat" soll das ändern. Das Gremium, das am Stadtmarketing angesiedelt ist, möchte die Weichen dafür stellen, dass es in Frankfurt in absehbarer Zeit des Nachts wieder heiß hergeht.
Zumindest wurde vor zweieinhalb Jahren dem einstigen Epizentrum der Partywelt ein Denkmal gesetzt. Im Museum Of Modern Electronic, kurz MOMEM, können Besucher in Nostalgie schwelgen, sich aber auch mit neuen Entwicklungen auseinandersetzen.
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