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Paul Newman wäre 100: Der Tausendsassa, der mit Hollywood haderte

100 Jahre Paul Newman. Ein Mann mit Charisma und Charakter. Dabei wäre seine Karriere beinahe gescheitert.

Sein erster Auftritt in Hollywood setzte seiner Karriere fast ein Ende, und das, noch ehe sie überhaupt angefangen hatte. 

Er hatte gute Kritiken am Broadway eingeheimst und sein Stern war im Steigen, er war von New York nach Los Angeles gegangen und hatte einen Sieben-Jahres-Vertrag angenommen – doch dann steckte Warner Brothers den jungen Paul Newman in eine Toga mit Gürtel, die aussah wie ein reizendes Minikleid und reichlich Bein zeigte, dazu fesche Sandalen: Es steckt viel Komik darin, wie offenkundig unwohl Newman sich damals in seiner Rolle fühlte – und wohl kaum konnte man je einen Schauspieler mit einem dermaßen trotzigen und missmutigen Blick auf der Leinwand sehen, ganz so als hätte man einem Kind in der Sandkiste sein Spielzeug weggenommen.

"Der silberne Kelch" von 1954 war ein Monumental- und Kostümschinken gemixt mit schwülstigem Religionskitsch um den Heiligen Gral, Kaiser Nero und Jack Palance als Magier, der glaubt, fliegen zu können. Ein Kritiker schrieb: "Es gibt in dem Streifen Szenen, auf die selbst die Marx Brothers hätten stolz sein können." Kurz: ein Filmdebüt zum Vergessen. Später ließ Newman wissen, es sei "der schlechteste Film, der je in den Fünfzigerjahren gedreht wurde".

Und er bewies schon früh seinen Sinn für Humor: Als das Cinemascope-Spektakel 1966 im Fernsehen gezeigt wurde, schaltete der Schauspieler extra ein Zeitungsinserat in der Branchenbibel Variety. In Form einer Parte ließ er wissen: "Paul Newman drückt hiermit sein tiefes Bedauern zu diesem Fernsehabend auf Kanal 9 aus!" Sein Aufruf, nicht zuzuschauen, bewirkte natürlich genau das Gegenteil: Der Sender durfte sich über Rekordquoten freuen.

Hätte man damals ahnen können, dass der fesche Toga-Typ einer der größten Hollywood-Stars aller Zeiten werden würde?

Einer wie Brando und Dean – anfangs

Mit seinen Rollen prägte er das Kino. Cool Hand Luke in "Der Unbeugsame", Eddie Felson in "Haie der Großstadt", Butch Cassidy in "Zwei Banditen" – Paul Newman schuf mit seiner Darstellung eine Reihe unverwechselbarer Charaktere, die sich unvergesslich in das weltweite Kinogedächtnis eingebrannt haben. Und das über eine Zeitspanne von 50 Jahren. Am 26. Jänner wäre er 100 Jahre alt geworden. Als er 2008 starb, ließ Regie-Legende Martin Scorsese wissen: "Was wäre die Filmgeschichte ohne Paul Newman? Undenkbar."

Es war keine überzogene Lobhudelei, wie sie post mortem gern manchen Kreativschaffenden zuteil wird, die Scorsese da verlautbarte, sondern die Quintessenz langjähriger Höchstleistungen im Charisma-Fach. Seine an klassischen Idealen geschulte Schönheit stand ihm dabei, wie das manchmal der Fall sein kann, wundersamer Weise nie im Wege. Newmans Talent setzte sich durch. Und das, obwohl er im Schatten des großen Marlon Brando stand, der mit seinen Auftritten in "Endstation Sehnsucht" und "Die Faust im Nacken" zum Star avancierte, und an ihm gemessen wurde.

Innerlich zerrissene Draufgänger mit trauriger Seele standen in den Fünfzigern hoch im Kurs. Schöne Rebellen. Einer wie James Dean einer war, ein anderer prägender Wegbegleiter. Wie Brando und Newman war Dean ein Schüler des legendären Actors Studio, das auf Method Acting setzt, und wurde zum Jugendidol seiner Generation. Doch als der sein Leben verlor, weil er auf einer Landstraße mit seinem Porsche gegen einen Laster krachte, erhielt Newman dadurch auch eine zweite Chance in Hollywood – und die Möglichkeit, das "Silberne Kelch"-Desaster wiedergutzumachen.

Und wie er es gut machte: Im autobiografischen "Somebody Up There Likes Me" ("Die Hölle ist in mir") gab Newman den Boxer Rocky Graziano. Er hatte die Rolle quasi von Dean geerbt und gab eine ungemein fiebrige, emotionale, explosive Darstellung. Und eine, die ihn zum Star machte.

Von nun an begann es, legendär zu werden: In "Die Katze auf dem heißen Blechdach" stellte er nach Tennessee Williams den frustrierten Sohn eines Patriarchen dar, der seinem Footballer-Ruhm nachhängt und mit literweise Whisky betäubt. Sich nach ihm verzehrend: eine betörende Elizabeth Taylor.

Verzweifelt: mit Elizabeth Taylor in "Die Katze auf dem heißen Blechdach". 

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In "Haie der Großstadt" spielte er dann bereits 1961 vielleicht die Rolle seines Lebens. Als Billardprofi Eddie Felson, der sich mit einem skrupellosen Manager einlässt, begibt er sich auf eine Hochschaubahn der Emotionen, tänzelt zwischen siegesgewissem Selbstvertrauen und abgründiger Verzweiflung. "Das ist jetzt mein Tisch", tönt er, die Zigarette im Mundwinkel, großspurig, während er den Champion Minnesota Fats herausfordert. Ein Film, dessen Poster in keinem Billardsalon zwischen Wien und Wagrain fehlen darf, Poolbillard für alle Zeiten das Adjektiv cool verpasste und eine ganze Generation Buben zum Einkreiden, Ansagen und Einlochen animierte.

25 Jahre später drehte Scorsese mit "Die Farbe des Geldes" eine beachtliche Fortsetzung. Und brachte Newman nach dem Ehrenpreis endlich den längst verdienten Schauspiel-Oscar.

Cool: Newman in „Haie der Großstadt“ 

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Nicht immer bewies er ein gutes Händchen für seine Rollen, doch vieles gerät zum Klassiker. Etwa "Der Unbeugsame": Aufsässig lehnt Newman sich darin als Häftling gegen die Hierarchie auf und ist verloren im Kampf gegen die Wärterdiktatur. In berühmten Szenen isst er aus Aufmüpfigkeit 50 Eier oder boxt bis zum Umfallen. 

Mit "Butch Cassidy and The Sundance Kid" ("Zwei Banditen") drehte er einen der erfolgreichsten Western aller Zeiten, der ironische Leichtigkeit in das schießfreudige Milieu brachte – und dessen Ende, das in einem Standbild kulminiert, Filmgeschichte geschrieben hat. Gleichzeitig ist der Streifen das beste Zeugnis, wie blendend Newman mit Lebensfreund Robert Redford harmonierte.

Traumteam: mit Robert Redford in "Zwei Banditen"

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Stete Selbstzweifel

Auch die nächsten Jahrzehnte blieb Newman im Rampenlicht. Von "Der Clou" (mit Redford) über die Rolle als ausgebrannter Anwalt in "The Verdict" (seine Lieblingsperformance) bis zum verbitterten Gangsterboss in "Road To Perdition" – sein letzter Kinofilm und seine neunte Oscar-Nominierung. Seine Intensität benötigte dabei nie Manierismen. Verletzlichkeit oder Autorität entsprangen einer dünnhäutigen Sensibilität. Und natürlich war da sein Charme – ein stetes Ass im Ärmel.

Welche Selbstzweifel an Paul Newman trotz allen Erfolgs nagten, konnte da keiner erahnen. Das wurde erst in seiner Autobiographie "Das außergewöhnliche Leben eines ganz normalen Mannes" publik.

Das Buch basiert auf 80 Stunden Tonaufnahmen, Monologen, Gesprächen mit einem Freund zwischen 1986 und 1991, Meinungen von Freunden und Familie, und gewährt einen schonungslosen Einblick auf seine erste gescheiterte Ehe, sein Alkoholproblem und den Tod seines ersten Kindes, seinem Sohn, 1978 durch eine Überdosis. Schon Schauspieler wurde der Mann, der in einer Elf-Zimmer-Villa im idyllischen Shaker Heights, Ohio, aufwuchs, ja praktisch als Ausweg: Er wollte das Sportartikelgeschäft seines Vaters nicht übernehmen. 

Mit dem Buch plante Newman seinen eigenen Mythos zu untergraben. "Er hatte lange das Gefühl, nicht gut genug zu sein – weder als Schauspieler noch als Ehemann oder als Vater", verriet seine Tochter Clea, die das Buch mit ihrer Schwester 14 Jahre nach seinem Tod 2008 (an Lungenkrebs) herausgab, einmal der Welt. "Er fühlte sich immer unwohl, in der Öffentlichkeit zu stehen. Alkohol war seine Flucht. Mein Vater dachte lange Zeit, dass er nur deshalb Erfolg hatte, weil er gut aussah. Er kam sich vor wie ein Hochstapler."

Große Liebe und mehr als 50 Jahre Ehe: mit Schauspielerin Joanne Woodward 

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Rasanter Wohltäter

Verheiratet war Newman seit 1958 in zweiter Ehe mit Oscar-Gewinnerin Joanne Woodward (aus beiden Verbindungen stammen je drei Kinder) – die beiden blieben trotz Höhen und Tiefen ein Leben lang verrückt nacheinander. "Uns wird nie langweilig", meinte er einmal. Und auch sonst wurde dem Mann mit den tausend Talenten nie fad: Er engagierte sich als Freund der Demokraten für Bürgerrechte und Umweltschutz, schaffte es so auf Richard Nixons Liste der Staatsfeinde. 

Passionierter Rennfahrer, noch dazu schnell: „Im Rennwagen war er glücklich“, so seine Tochter Clea über Newman

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Als Rennfahrer ("die beste Möglichkeit, dem Hollywood-Mist zu entkommen") gewann Newman noch mit 70 das 24 Stunden-Rennen von Daytona und gründete ein eigenes Rennteam, in dem etwa Nigel Mansell Champion wurde. Und er engagierte sich als Wohltäter, und zwar keiner, der sich im Rampenlicht von Charity-Events sonnt, sondern wirklich. Für schwerkranke Kinder stellte Newmans Stiftung weltweit elf Ferienlager bereit. Mit der Salatsaucen-Firma "Newman’s Own" erwirtschaftete er ab 1982 250 Millionen Dollar für karitative Zwecke. Und das bedeutete ihm wohl mehr als jeder Oscar.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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