Berliner Sehenswürdigkeiten wie Fernsehturm, Dom und Siegessäule. Davor stehen junge, coole Menschen mit Sonnenbrillen.

Ist Berlin noch sexy? So steht es um die Partymetropole

Bekannte Clubs schließen, die Kultur kämpft mit Einsparungen. Das deutsche Feuilleton stimmt gerade den Abgesang auf Berlin an. War's das?

Samstagnacht, halb zwölf in Berlin-Friedrichshain. Die schweren Türen des Berghain sind noch geschlossen, aber die Schlange davor ist trotz Kälte sicher hundert Meter lang.  Der berühmteste Technoclub der Welt mit seinen ausschweifenden Nächten und seiner strengen Türpolitik hat auch nach 20 Jahren wenig von seinem Mythos verloren.

Junge Touristen zücken ihre Smartphones, um das ehemalige Heizkraftwerk festzuhalten – ein Foto, das nie den Einlass ersetzt. Als sich die Türen um zwölf Uhr öffnen und das Flutlicht angeht, senkt sich Stille über die Menge.

Die Spannung steigt. Der Türsteher lehnt ungerührt im Türrahmen. Der Bursch, der das Foto gemacht hat? Abgewiesen. Das Paar vor ihm, das sich von den Freunden getrennt hat, um die Chancen zu erhöhen? Ebenfalls draußen.

Menschen stehen vor dem Berghain in Berlin an. Es ist ein massives Gebäude - einst war darin ein Heizkraftwerk untergebracht

Am Wochenende gibt es immer noch lange Schlangen vor dem Berghain. Die legendären Klubnächte gehen von Samstagmitternacht bis Montagvormittag.

©IMAGO/Emmanuele Contini

Viele fühlen sich berufen, nicht alle sind auserwählt. Ja, so ist das in Berlin. Hier nimmt man den Spaß sehr ernst.

Also alles wie immer in der deutschen Hauptstadt? Nicht ganz.

Das Watergate gibt es nicht mehr

Ein paar hundert Meter weiter an der Spree sieht es anders aus. Wo bis vor Kurzem noch das Watergate untergebracht war, ist nichts los. Mit Jahreswechsel hat es nach 22 Jahren zugesperrt: Die Betreiber nannten die steigenden Kosten und die sich wandelnde Clubkultur als Gründe. "Die Zeiten, in denen Berlin von clubbegeisterten Besuchern überschwemmt wurde, sind vorbei – zumindest vorerst."

Und die nächste Institution wird folgen. Mit der Wilden Renate ist es Ende 2025 vorbei. Die Miete ist zu teuer. Das benachbarte und betont linke About Blank kämpfte zuletzt mit Finanzproblemen und Anfeindungen, weil es im israelisch-palästinensischen Konflikt Israel nicht einseitig verurteilen wollte. 

Und wie bei einigen anderen sind die Tage gezählt, sollte die Stadtautobahn A 100 erweitert werden.

Menschen stehen am Morgen Schlange vor dem About Blank. Das Gebäude ist mir Graffiti und politischen Parolen besprüht. Auf dem Dach prangt ein Transparent mit der Aufschrift: Disco. Umsturz. Landpartie

Techno-Club About Blank: Noch stehen die Leute Schlange - aber vielleicht nicht mehr lang. 

©IMAGO/Jürgen Held

Im November sorgte eine Meldung für Aufsehen: 46 Prozent der befragten Berliner Clubs denken darüber nach, in den nächsten zwölf Monaten zu schließen, teilte die Berliner Clubcommission, Sprachrohr und Interessensvertretung der Szene, mit.

Nur mehr ein Berliner Lüftchen?

Ist die viel beschworene Berliner Luft nur noch ein Berliner Lüftchen? Vorbei die Zeiten, als die "Capital of Cool" der heißeste Scheiß war? Im deutschen Feuilleton findet gerade ein Abgesang auf die ewige Trend- und Sehnsuchtsstadt statt. Auf eine Stadt, die "zufrieden geworden ist mit dem, was sie hat", schrieb die FAZ

Nostalgie mache sich breit: "Die großen Auftritte, Skandale und Exzesse sind vorbei, jetzt kommen die Einladungen zum Frühstücksfernsehen, um aufs Leben zurückzuschauen."

Auch die nicht gerade euphorisch kritisierte Hochglanz-Serie "The Next Level" der ARD, arbeitet sich an Berlin ab: Vordergründig geht es um eine Touristin, die zu viel Ecstasy nimmt und in der Techno-Disco stirbt. Doch auch Gentrifizierung, Verkauf von verbliebenen Freiflächen an Investoren, Verdrängung der Subkultur werden thematisiert.

Sieger Wien, Verlierer Berlin? 

Dazu muss die Stadt sparen. Zwölf Prozent des Kulturbudgets sollen wegfallen, das sind 130 Millionen Euro weniger für Theater, Museen und Opernhäuser. "Berlin ohne Kultur ist Bielefeld mit Big Buildings", warnte Regisseur Barrie Kosky.

 Die Welt stellte zuletzt einen Kulturmetropolen-Vergleich mit Wien an und konstatierte: "Der Sieger heißt Wien, der Verlierer Berlin."

Ist der Abgesang berechtigt?

War es das jetzt mit Berlin? "War es je anders?", lautet Daniel Dettlings Gegenfrage. Er ist Gründer der Denkfabrik Institut für Zukunftspolitik und leitet das Berliner Büro des Zukunftsinstituts. "Berlin war lange Zeit eine der günstigsten Metropolen und ein riesiges Labor, das viele Kreative, Künstler und Start-ups angezogen hat. In gewisser Weise erleben wir jetzt eine Normalisierung", sagt er. 

Wobei sich Berlin immer noch dem Bild der klassischen westeuropäischen Hauptstadt entzieht. "Es ist eine mittelosteuropäische Hauptstadt. Berlin ist weder Ost noch West, ein Hybrid zwischen den Welten", sagt der Zukunftsforscher.

Wir sind nach wie vor frei und anarchistisch, urban und ländlich, progressiv und provinziell unterwegs.

Daniel Dettling Zukunftsforscher

Kritik wie jetzt in den Feuilletons gebe es alle paar Jahre wieder – und sie komme vor allem aus München und Frankfurt: "Das ist womöglich auch ein Minderwertigkeitskomplex – nach dem Motto: 'Die Berliner wollen nicht so werden wie wir. Und sie wollen auch nicht so werden wie London und Paris.'"

Die Stadt verweigere sich immer noch den klassischen Kategorien: "Wir sind nach wie vor frei und anarchistisch, urban und ländlich, progressiv und provinziell unterwegs." Dazu gebe es eine hohe Migrationsdichte. "Von daher projiziert sich auch viel Unbehagen und Kontrollverlust im Hinblick auf Berlin. Aber Berlin ist wunderbar widerstandsfähig, was Veränderungen angeht. Das sieht man auch an den Wahlergebnissen. Bisher haben hier rechtsextreme Parteien keinen Zulauf." Eine der vielen Besonderheiten.

Arm, alt und sexy

Eine andere, die das Phrasenschwein kräftig füttert: Die Zuschreibung "arm, aber sexy", die Bürgermeister Klaus Wowereit prägte. "Heute ist es eher: arm, alt und sexy", sagt Dettling. Man sei halt älter und damit gelassener geworden und wolle das spezielle Lebensgefühl zwischen Ost und West genießen.

Dass es mit dem Nachtleben nicht so läuft wie gewohnt, sei ein Zeichen der Zeit. "Es passt gerade nicht zu den aktuellen Krisen. Vielleicht kommt es auch wieder zurück." Aber: "Partyhauptstadt wollte Berlin eigentlich nie sein. Diese Zuschreibung kam von außen."

Ob Emiko Gejic das auch so sehen würde? Sie ist Sprecherin der Berliner Clubcommission. Auf jeden Fall ist sie in einem Punkt derselben Meinung wie Dettling: "Den Abgesang und das Klagen, dass es nicht mehr so ist wie früher, gibt es seit den Neunzigern." Dass sich eine Stadt verändere, sei auch normal.

Und das Gefühl, dass eine Ära vorbei ist, sei stets individuell: "Für mich ganz persönlich war es gefühlt vorbei, als das letzte besetzte Haus in Friedrichshain geräumt wurde." Dass Clubs verdrängt werden, weil neue Immobilienprojekte entstehen, passiert laufend. Aber: "Die prekäre Lage hat sich jedoch zuletzt extrem verschärft." 

Nachtleben hat bis 2019 geboomt

Bis 2019 habe Berlins Nachtleben extrem geboomt. "Die Clubs waren voll." Wegen Corona mussten Clubs längere Zeit schließen und im Anschluss begannen die Kosten zu steigen: für Energie, Personal – und für die Räumlichkeiten: "Die meisten Clubs müssen aufgrund der gestiegenen Mieten schließen", sagt Gejic.

Wir haben diese Freiflächen wie alte Fabrikshallen, Bunker und ungenutzte Häuser, die es nach dem Mauerfall gab und die niemanden interessierten, nicht mehr.

Emiko Gejic Sprecherin Clubcommission Berlin

In Bezirken wie Friedrichshain, wo man einst beinahe nur umfallen musste, um von Club zu Club zu kommen, ragen heute Glastürme in die Luft. "Clubs müssen als Kulturstätten anerkannt werden. Dann würden sie nicht mehr in die Kategorie Vergnügungsstätten wie Spielcasinos oder Bordelle eingeordnet werden. Somit hätten sie auch nicht mehr den geringsten baurechtlichen Schutz."

Die Freiflächen in Berlin fehlen

Eh nicht so tragisch, könnte man meinen. Zumachen, anderswo wieder aufsperren. Und die Party geht weiter. Das hat doch lange Zeit Berlin ausgemacht. Das Provisorische. Das Spontane, das Halblegale. Aber das spielt es heute nicht mehr: "Wir haben diese Freiflächen wie alte Fabrikshallen, Bunker und ungenutzte Häuser, die es nach dem Mauerfall gab und die niemanden interessierten, nicht mehr. Die Clubs, die noch in Kreuzberg und Friedrichshain stehen, sind die letzten Bastionen."

Das Watergate lag an der Spree. Es hatte eine große Glasfassade - beim Feiern konnte man aufs Wasser sehen.

Das Watergate war in einem schicken Bürogebäude untergebracht und ein Gegenpol zu den ansonsten eher alternativen Clubs Berlin.

©IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Nun heißt es – wenn überhaupt wieder was Neues aufsperrt – ausweichen, unter Umständen nach jwd, janz weit draußen, wie es in Berlin heißt. Nachdem jahrzehntelang der Ostteil als der interessantere galt, beginnt auf einmal der äußere Westen angesagt zu werden. "Das sind dann aber auch meistens eher Kunst- und Kulturstandorte, wo auch mal clubkulturelle Veranstaltungen stattfinden, allerdings keine festen und vor allem langfristigen Clubstandorte.“

Was die Zukunft bringt, da ist sie zwiegespalten. "Gegen den Ausverkauf und gegen die steigenden Mieten wird seitens der Politik wenig bis gar nichts mehr getan. Es werden auch keine Rahmenbedingungen geschaffen, in denen Kunst und Kultur weiterhin bestehen können. Zuletzt kam es zu massiven Kürzungen im Kulturhaushalt." Und doch: "Wenn ich mir die Szene ansehe, bin ich eher optimistisch. Es gibt viele spannende Kollektive, viel Mut, viel Solidarität."

Subkultur sucht neue Möglichkeiten

Und ja, es werde weitergehen in Berlin. "Selbst wenn die Räume und Clubs, wie es sie in den vergangenen 20 Jahren gab, so nicht mehr existieren. Es wird sich weiterentwickeln und immer Neues entstehen. Das ist doch auch der Charakter von Subkultur und städtischer Community. Sie finden immer wieder neue Möglichkeiten."

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

Kommentare