Die großen Raves der Neunziger sind wieder da
Techno wird vor mehr als 30 Jahren von einem Untergrund- zu einem Massenphänomen. Heute sind die Musik und das Drumherum groß wie lange nicht mehr.
Zu Beginn der Neunziger wird etwas groß, das nicht nur die Musik, sondern auch die Art des Feierns revolutionieren soll: „Techno war am Anfang eine Gegenkultur zum vorhandenen Tanzbetrieb: So mit ‚Hey, this is for the Ladys‘ und Soulmusik und dann Funk, wieder soft und ... na ja Heteros an der Bar. Techno war dann totales Abfahren und Aussteigen aus der Realität mithilfe von durchgeknallter Musik“, erklärt der als „Terror-Diva“ gefürchtete DJ Rok 1993 dem Sender SFB das Phänomen.
Wer am Freitag fortgeht, kommt mitunter erst am Montagabend ins Bett. Müde ist man nicht. Warum auch immer.
Monotone Sounds junger Schwarzer aus Detroit fallen besonders in den Brachen und Freiräumen eines wiedervereinigten Berlin auf fruchtbaren Boden. Und im Stroboskoplicht, Bassgewitter und Rauch beginnt des Nachts in verlassenen Bunkern, Kraftwerken oder Tresorräumen eine Bewegung zu blühen, die kurze Zeit später boomen wird. Während die subversive Crew von Underground Resistance noch „Faceless Techno“ ausgerufen hat und teils mit Sturmmasken auftritt, werden die DJs schnell zu den Stars der Stunde.
Konzerne entdeckten Partys
Fans reisen Sven Väth, „Babba“ mit Mönchsfrisur, zu seinen Auftritten hinterher. Marusha wird mit ihren grünen Augenbrauen zum Bravo-Postergirl, ihre Bearbeitung des Judy-Garland-Songs „Somewhere over the Rainbow“ verkauft sich mehr als 500.000-mal. Westbam will eine „ravende Gesellschaft“ – die bekommt er dann auch. Aber wie: Konzerne entdecken das junge Publikum; Zigarettenmarken schicken Raver mit dem Flugzeug zu Partys um die Welt. RTL2 überträgt die Loveparade, die Trucks sind voll von Werbung. Ende der Neunziger ist die Kuh gemolken, Techno verzieht sich wieder in die Nische.
Werner Amann war dabei und fotografierte die Partywütigen. Die Aufnahmen sind gerade im Bildband „Kein Morgen“ erschienen. Was auffällt: Die Bilder könnten auch in der Gegenwart geschossen worden sein. Die Kleidung wirkt zeitlos. Netzstrumpfhosen, Crop Tops, Fetisch-Kleidung, weite Pullover, Plateaustiefel. Und tatsächlich ist es so, dass die Kids von heute Techno und das Drumherum wieder für sich entdeckt haben. Große Raves in Hallen mit aufwendiger Lichttechnik sind voll. Und musikalisch orientieren sie sich an Richtungen, die angesagt waren, als sich die Partykultur zu einem Massenphänomen entwickelte: sehr schnell, hart, melodiös und trancig.
Auf TikTok trendet der Begriff Techno. Junge Erwachsene geben Tipps, wie sie sich fürs Fortgehen stylen sollen. Da rümpfen Veteranen und mittlere Semester, die es gewohnt sind, die Linse ihrer Smartphones vorm Betreten der Clubs abzukleben, die Nase. Autor Leif Randt (sein Bestseller „Allegro Pastell“ spielt teilweise in Techno-Clubs), der Texte zu Amanns Bildband liefert, schreibt über Vergangenes: „Zur Wahrheit gehört auch: Das vorwiegend junge Publikum befindet sich hier auf Dancefloors, auf denen noch nicht einmal SMS geschrieben werden konnten.“
90er-Playlist
- Jeff Mills: The Bells
- Underground Resistance: The Punisher
- 3 Phase feat. Dr. Motte: Der Klang der Familie
- Vainqueur: Lyot (Maurizio Mix)
- Planetary Assault Systems: In From The Night
- The O. T. Quartet: Hold That Sucker Down
- Emmanuel Top: Acid Phase
- Energy 52: Café Del Mar (Kid Paul Mix)
- The Age of Love: The Age of Love (Watch Out for Stella Club Mix, Jam & Spoon)
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