30 Jahre Rosamunde Pilcher im TV: Zwischen Busen-Verbot und Retro-Romantik

Prinz Charles gratulierte und sogar Lawrence von Arabien spielte mit. Warum die Filme so wichtig für unseren Sonntag ist. Und warum blanke Busen streng verboten sind.

Die Romantik, so scheint es, sie greift längst nicht nur vor der Kamera um sich. Auch hinter den Kulissen hat sie sich eingeschlichen, und zwar gleich mehr als im Dutzend. So viele Babys wurden backstage nämlich im Laufe der 30 Jahre gezeugt, in denen die beliebten Filme nach Rosamunde Pilcher gedreht werden. So manchen Mitarbeitern, die sich in den Produktionsteams am Set kennengelernt hatten, ging der fabrizierte Gefühlsüberschwang ganz offenbar an Herz wie Hose. Kinder des Glücks – ganz nach dem Titel des erfolgreichsten Pilcher-Films (2002, mit 9,27 Millionen Fernsehzuschauern).

Eine Frohbotschaft, die der 2019 verstorbenen Königin des literarischen Herzschmerzes wohl gut gefallen hätte. Zumal zum Jubiläum auf 170 auf Pilcher zurückgehende Werke geblickt werden kann. Das schafft nicht einmal James Bond.

Es sind Romantikgrüße aus dem Postkartenidyll, voller Kabale und Liebe und immer die feine englische Art. Die Gesetze, denen sie folgen, ähneln sich, und die Ingredienzien sind meist dieselben. Der Liebe muss zu ihrem Recht verholfen werden, auf das man doch noch an das Gute auf der Welt glauben möge.

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1993 ging der erste Film im ZDF auf Sendung, „Stürmische Begegnung“ hieß er, und an seinen Erfolg glaubten nicht einmal seine Erfinder. So weiß es Michael Smeaton. Er ist der Mann, der hinter den Pilcher-Filmen steht. Ein „innovatives Experiment“ seien diese damals gewesen, erzählt er im Interview. Liebesfilme dieser Art habe es damals nämlich nicht gegeben. Das erste Werk erreichte dann auf Anhieb an die neun Millionen Zuschauer. Das ZDF reagierte schnell. Auf der Stelle gab es zehn weitere Romanzen in Auftrag.

Seitdem kann man die Pilcher-Mania getrost mit dem Prädikat TV-Phänomen versehen. Warum schaut also regelmäßig ein Millionenpublikum die Filme?, fragen wir den Macher höchstselbst.

„Weil wir damit ein Märchen erzählen und ein Versprechen auf ein Happy End abgeben“, so Mastermind Smeaton. Die Regeln des Erfolgsrezepts sind schnell erklärt. „Immer geht es um eine verschmähte oder verpasste Liebe, darum, im richtigen Moment am falschen Ort gewesen zu sein“, so der Filmproduzent. Wie ein amouröses Dilemma dann aufgelöst wird, erfordert keine große Detektivarbeit – ist aber herrlich beruhigend.

„Stürmische Begegnung“: der erste Pilcher-Film, mit Sophie von Kessel 

©ZDF/David Farrwell

Die feine englische Art

In turbulenten Zeiten wie diesen ist das Pilcher-Universum das Ticket zu einer konstant heilen Welt und lässt uns Sonntagabend doch noch beruhigt schlafen gehen. „Wir bieten den Menschen eine Alternative zum aufregenden Weltgeschehen“, so Smeaton. „All jenen, die sich von diesem Stress erholen möchten und einen Ruhepol benötigen, bieten wir eine willkommene Pause an.“

Die Zuschauer wissen, was sie daran haben: Solange pleite gegangene Lords versuchen, mit Charme ihr Schloss zu retten, hübsche Millionenerbinnen sich auf die Spuren alter Liebesbriefe heften und junge Hoteliers bei Autopannen aus dem Oldtimer steigen und plötzlich der Liebe ihres Lebens wiederbegegnen, sind das Kalamitäten, für die sie sich ausreichend gewappnet fühlen.

Mission Herzschmerz: Lara Joy Körner (hier in „Bis ans Ende der Welt“) war am öftesten in den Rosamunde-Pilcher-Filmen zu sehen

©ZDF und Jon Ailes/ZDF/Jon Ailes

Die Landschaft, selbst von unwiderstehlicher Leidenschaft durchseucht, tut ihr Übriges. Cornwall in Südwestengland ist das Xanadu der Deutschen und Österreicher. Ein Sehnsuchtsort. Tosende Fluten branden hier an zerklüftete Felsen, herrschaftliche Cottages in geheimnisvollen Grafschaften harren der Entdeckung, und die Liebe wartet stets an der nächsten Küstenkurve.

Das alles wird serviert auf die feine englische Art: Ohne Tweed und Tee ist dieses Paralleluniversum nicht denkbar. Mit dem Akzent nimmt man’s dabei nicht allzu genau. Der Lord darf klingen wie ein Bayer, ein Schauspiel, das frappant an die Schwarzwald-Western um Winnetou und Old Shatterhand gemahnt, in denen gestandene Cowboys piefkinesischen Zungenschlag bewiesen. Auch die nebelverhangenen Filme der Edgar-Wallace-Reihe mit Joachim Fuchsberger oder Klaus Kinski, die auf den Charme des alten Britanniens setzten, sind Geistesvettern. Die Royals wissen es längst: Das Klischee vom Königreich zieht.

Rosamunde Pilcher: 66 Millionen verkaufte Bücher

©APA/dpa-Zentralbild/Jens Kalaene

Pilcher war keine Romantikerin

Mit König Charles, damals noch Prinz, machte sogar ein echter Adeliger seine Aufwartung. Er lud das Filmteam und Rosamunde Pilcher zu einem Empfang in Cornwall, bei dem er sich ausdrücklich für die Filme bedankte. Bei der Gelegenheit wurde auch eine royale Leserin publik – Gemahlin Camilla outete sich als Fan der leichten Lektüre.

Über die vielen Touristen freut sich zudem das Bruttoinlandsprodukt: Ganze Reisebusladungen besuchen die schönsten Drehorte und ergötzen sich am schneeweißen Trevose-Head-Leuchtturm, den spektakulären Klippen um Trevose Head oder am alten Fischerdörfchen St. Ives. Orte, an denen die Protagonisten auch in den nächsten Filmen ihre Herzen entflammen lassen und die Münder zum Kuss spitzen sollen.

Rosamunde Pilcher selbst, das mag erstaunen, war dagegen weit davon entfernt, romantisch veranlagt zu sein. „Richtig verliebt war ich überhaupt nie in jemanden“, gestand sie einmal in einem Interview. „Passionen können sehr destruktiv sein.“

Besitzansprüche an Partner zu stellen, hielt sie für höchst unratsam, von Eifersucht fühlte sie sich befreit. „Ich habe in meinem Leben mehr gebügelt als geliebt“, gab sie an anderer Stelle zu Protokoll. „Doch das bereue ich nicht. Ich bin nicht sehr emotional.“

Davon, 66 Millionen Bücher zu verkaufen, hielt diese Einstellung sie dennoch nicht ab. Zumal das Schreiben Pilchers große Passion war. Mit 18 veröffentlichte das Mädchen aus Cornwall ihre erste Kurzgeschichte. Mit ihrem Mann Graham lebte sie im schottischen Dundee, an einem Fluss, umringt von idyllischen Weiden. Geschrieben hat sie am Küchentisch, sobald ihre vier Kinder in der Schule waren.

Schmachten für Pilcher: Jacqueline Bisset, zuvor in Filmen von Polanski und Truffaut zu sehen

©ZDF und Tele München/ZDF/Tele München

Michael Smeaton kannte sie persönlich. Mit Heidi Ulmke gewann er sie 1993 für die Verfilmungen. Witziges Detail am Rande: Ulmke und Smeaton kommen aus einer Ecke, die der englischen Herrenhaus-Klasse diametral gegenübersteht: der Frankfurter Hausbesetzerszene. Echte 68er. Und dennoch genau die Richtigen für den Job.

Zigaretten und Busen sind tabu

„Rose war eine ungemein lebensfrohe, positiv denkende und bescheidene Person“, so Smeaton. „Eine Frau, die sich nie beklagt hat oder in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, die sie lange einnahm, abgewertet fühlte. Gleichzeitig war sie frech und selbstbewusst. Und frei von Eitelkeit und Narzissmus. Über jede Ehrung hat sie sich beinahe kindlich gefreut.“ Liebevoll sorgt Smeaton dafür, dass der Weg, der mit den Filmen eingeschlagen wurde, auch weiter beibehalten wird. Pilcher muss Pilcher bleiben.

Dazu gehören auch wichtige Regeln. Sex wird nicht gezeigt, Nacktheit ist tabu. „Blanker Busen? Machen wir nicht“, erklärt Smeaton. Rauchen ist verboten, Drogen sowieso. Fremdgehen kommt auch nicht vor, und wenn, dann ist es vor der eigentlichen Lovestory passiert. Und: Es darf nicht regnen.

Was noch nicht passieren darf? Die Ideen dürfen nicht ausgehen, für neue Filme. Drei neue nahen 2024. Alle Romane sind längst verfilmt, was also tun? Längst dienen die Kurzgeschichten, die Pilcher für Frauenillustrierte schrieb, als Vorlage, die von Drehbuchautoren dann auf bewährte Weise ausgebaut werden. Dazu kommt ein Schatz, der gehütet wird wie die Blaue Mauritius: ein kleines, schwarzes Notizbüchlein, in das Pilcher Ideen und Handlungsentwürfe eintrug – und das in einem Banktresor sicher verwahrt wird. „Das Büchlein ist über die Jahre ein Mythos geworden – und dennoch existiert es wirklich“, weiß Michael Smeaton.

Die Storys sind inzwischen auch vielschichtiger geworden. Inklusion, Diversität werden gepflegt, „die Welt ist bunter geworden“, weiß Smeaton. Und wer spielte in dieser Welt nicht aller mit! Die Wussows, eh klar. Harald Krassnitzer, Uschi Glas. Senta Berger. Nadja Tiller. Aber auch Hugo Egon Balder. Florian David Fitz. Harald Schmidt als hypochondrischer Lord. Und sogar Lawrence von Arabien – alias Peter O’Toole.

Auch die Jungen lieben Pilcher

„Die Pilcher-Filme können ein Zufluchtsort für uns sein“, analysiert Psychologe Georg Hafner das Seherverhalten. „Sie bieten ein Gefühl des Glücks und die Bestätigung, dass alles gut ist. Gerade wenn jemand vom Alltag überfordert ist, kann der Konsum sehr angenehm ausgleichend wirken.“

Wenn emotionale Bedürfnisse wie Liebe oder Freude zu kurz kommen, weil stressgeplagt kaum Zeit dafür bleibt – Sonntag einzuschalten schafft schnelle Bedürfnisbefriedigung, als würde man zu Schokolade greifen. „Die Gefühle wirken auf einen, sie werden teilweise zu den eigenen.“

Das sehen sich auch immer öfter junge Menschen an, wie man weiß. Wie sich das erklärt? Etwa mit dem verstärkten Harmoniebedürfnis einer Generation, die sich vielen psychischen Herausforderungen ausgesetzt sieht, sei es durch Pandemie, Krisen und Kriege, zu wenig Zuwendung von Eltern oder Lehrern oder der chaotischen, ungefilterten Wissensflut im Internet. Die Pilcher-Filme stillen Bedürfnisse wie die Sehnsucht nach einem besseren Leben, spenden Trost – und dazu werden einem tolle Naturerlebnisse geboten, weiß Hafner. „Beinahe wie ein Mini-Urlaub – bloß ohne den Kosten.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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