Senta Berger: "Der Liebe wegen sind wir da“

Senta Berger im Interview. Über ihren besten Rat für die Liebe, Gedanken an den Tod und welchen Wunsch sie sich noch erfüllen möchte.

Sie ist die Grande Dame des österreichischen Films, in Hollywood hat sie Karriere gemacht. Senta Berger vereint die seltene Kunst, attraktiv fürs Publikum und dennoch ein kritischer Kopf zu sein. Jetzt läuft „Weißt du noch“ (ab 22.9.) im Kino an, eine Liebeskomödie, die sich einem 50 Jahre verheirateten Paar widmet. Doch geblieben sind Resignation und Sticheleien. Eine Wunderpille soll die alten Erinnerungen zurückbringen. Es folgt eine unvergessliche Nacht. Doch kann das anhalten?

Wir treffen Senta Berger an einem Nachmittag in einem Wiener Hotel. Halb zwei Uhr früh sei es gestern geworden im Kaffeehaus, sagt sie und lächelt. Dass ihr das nichts anhaben kann, merkt man sofort, ein wacher Geist, reflektiert und tiefgründig, ist sie von der ersten Frage an.

Frau Berger, Sie hatten Ihre Karriere eigentlich für beendet erklärt. Was hat Sie umgestimmt, dass wir Sie wieder im Kino sehen?

Da wurde ein Satz von mir sehr missverstanden. Ich sagte, ich löse mich langsam aus dem Beruf. Und lehne mich sehr stark zurück. Das habe ich gemacht. Dabei fiel mir das Drehbuch zu „Weißt du noch“ in die Hände.

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Es ist ein Film über die Stadien einer langen Ehe, das Altern als Zumutung, den Tod, Erinnerungen. Und dennoch eine Komödie.

Es ist oft so, dass ältere Menschen als Stereotype gezeigt werden. In Apotheker-Zeitschriften etwa sind Senioren immer irrsinnig gut drauf. Und ich finde das ganz furchtbar. Mit solchen Bildern soll etwas verkauft werden. Das müssen wir nicht mit unserem Film. Wir können ansprechen, was wirklich ist, die Angst vor dem Tod, die Vergeblichkeit, die Versäumnisse, die einen plötzlich überfallen, die Erinnerungen, die immer da sind. Und das alles in der leichten Art eines französischen Films. Leicht, aber mit Tiefe.

Die Gedanken an das vorhersehbare Ende des Lebens, wie gehen Sie damit um?

Haben Sie auch solche Gedanken? In Ihrem Alter kann man das natürlich besser verdrängen. Aber eigentlich ist der Gedanke an das Ende immer da.

Wann das erste Mal?

Zum ersten Mal, als ich meinen ersten Sohn Simon nach der Geburt in die Arme gelegt bekam. Da dachte ich zum ersten Mal an meine Endlichkeit. Mir wurde klar, dass ich nicht immer für dieses Kind da sein werde können. Später gewöhnt man sich an den Gedanken, schiebt ihn weg. Bis man ins letzte Kapitel seines Lebens kommt.

Gelingt es, den Tod noch zu verdrängen, wenn es ins Finale geht?

Das Leben lehrt dich, damit umzugehen. Freunde sterben. Die Eltern sterben. Die Jahre werden überschaubar. Was soll ich daraus lernen? Dass ich jeden Tag zutiefst deprimiert aufstehe? Das kann ich mir nicht leisten. Ich lebe in der Gegenwart. Vielleicht ist dieses Dilemma für religiöse Menschen einfacher auszuhalten. Ich aber werde nicht die Braut Jesu werden. Ich werde zu Erde. Und wie bei meiner Mutter setzen meine Kinder hoffentlich einen schönen Rosenstrauch aufs Grab. Das würde mir gefallen.

Was also tun?

Je mehr man sich mit dem sogenannten „Al di là“ (umgesetzt für: jenseits unseres Verständnisses, Anm.) beschäftigt, desto weniger vorstellbar wird es mir, eines Tages nicht mehr da zu sein. Also schiebe ich das weiter von mir weg. Überfällt mich die Traurigkeit dennoch ab und zu, bin ich traurig, und denke, schade, so ein schöner Sommertag in Wien, hoffentlich hab ich noch ein paar vor mir. Punkt. Mehr kann ich nicht tun.

Der Gedanke an den Tod muss einen nicht zwangsläufig lähmen, er kann auch beflügeln, die Zeit noch mehr zu genießen.

Ich war immer schon ein Genussmensch, ich muss mir das nicht allzu sehr vornehmen. Wenngleich der Körper nicht mehr so mitspielt, wie man sich das wünscht. Aber ich hätte schon noch ein paar Wünsche, die ich mir gern erfüllen würde. Zum Beispiel kenne ich die Bretagne nicht, da würde ich gerne einmal hin. Und ich würde gern nochmal nach New York fliegen, mit meinem Mann und den Kindern. Aber davon darf man nicht nur reden, das muss man tun.

Hollywood: Senta Berger und Kirk Douglas in „Der Schatten des Giganten“, 1966

©imago images/Mary Evans
Sind Sie ein sentimentaler Mensch?

Ja. Sentiment, das gehört dazu. Das ist die Grundlage von allem – Gefühl.

Sehen Sie sich manchmal alte Aufnahmen durch und aktivieren dieses Sentiment?

Muss ich gar nicht, ich bin ständig damit konfrontiert, immer wenn alte Filme mit mir im Fernsehen laufen. Zudem bekomme ich aufregende Autogrammpost aus China und Indien. Mit wunderschönsten Fotos aus meiner Hollywood-Zeit. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, der Antwort aus Gemeinheit ein Foto von mir heute beizulegen. Ich frage mich selbst, wenn ich die alten Bilder betrachte: Wer war das? Es ist so unwirklich. Aber ich schaue sie mir sehr gerne an.

Ist Erinnern wichtig, oder zählt das Hier und Heute mehr?

Gemeinsames Erinnern bindet auch aneinander. Gerade wenn man schon vergessen hat, warum man eigentlich aneinandergebunden ist. Dann quillt noch einmal das Gefühl hoch, das du damals so stark gespürt hast. Sehr viele Leute können nicht miteinander reden, dann klappt das über die Schiene der Erinnerung.

Senta Berger: "Man muss das Altern gestalten, eine Haltung dazu entwickeln"

©Mathias Bothor
Sagen Sie den Satz „Weißt du noch?“ oft?

Wenn ich in Wien bin, alle zwei Minuten! Aber auch sonst. Ist doch schön! Auch wenn es etwas Furchtbares ist, an das man sich zusammen erinnert, aber überstanden hat.

Sie sagten einmal, das Alter sei eine Zumutung. Ein Massaker gar, heißt es im Film.

Ein Massaker, das ist übertrieben. Aber eine Zumutung durchaus. Eine, der man sich stellen muss, der man nicht ausweichen kann. Man muss das Altern gestalten, eine Haltung dazu entwickeln. Manche Leute haben so etwas Beleidigtes an sich, wenn sie älter werden, als wären sie die Einzigen, die alt werden und denen das weh tut. Zu diesem Beleidigtsein bin ich nicht veranlagt, Wehleidigkeit ist mir wirklich verhasst. Trotzdem empfinde ich es als Zumutung, dass Radlfahren mir mittlerweile so schwerfällt. Zum Glück fahre ich inzwischen E-Bike.

Man versucht ja idealerweise, das Gute im Unvermeidlichen zu sehen.

All diese Veränderungen sind ja irgendwie auch aufregend. Ich schaue mir selber dabei zu, wie es mir damit geht. Manches Mal bin ich auch glücklich damit. Zuletzt habe ich im Liegestuhl liegend meine Beine betrachtet. Und was ich gesehen habe, waren die Beine meiner Mutter: So haben die Beine meiner Mutter ausgesehen. Fand ich sehr tröstlich.

Fanny Ardant meinte kürzlich in der Süddeutschen Zeitung: „Liebe ist das Einzige, wofür es sich zu leben lohnt. Alles andere, Geld, Macht, Ruhm, nichts im Vergleich zur Liebe.“ Stimmen Sie zu?

Ich würde sagen, das ist eine Binsenweisheit. Die reichsten und berühmtesten Menschen waren unglücklich aus Liebe. Der Liebe wegen sind wir da. Das ist ein Naturgesetz, darüber haben wir keine Kontrolle. Das überfällt uns.

Denken Sie, funktioniert das überhaupt noch: verliebt, verlobt, verheiratet?

Aber ja doch. Der beste Rat, den man dafür beherzigen kann, ist, nicht miteinander zu verschmelzen, sich nicht aufzugeben für den anderen. Zwei zu bleiben. Das klappt, bei Michael und mir. Wir haben immer über etwas zu diskutieren: Theater, Film, Politik und natürlich die Kinder – uns geht nie der Gesprächsstoff aus. Du musst bloß wissen, dass du den anderen eh nicht ändern kannst. Dann gelingt ein Zusammenleben.

Beim Interview: Redakteur Alexander Kern und Senta Berger 

©Privat
Die Kunst einer langen Beziehung liegt auch darin, sich gegenseitig nicht auf die Nerven zu gehen. Das Ehepaar im Film setzt sich furchtbaren Sticheleien aus.

Wie heißt es doch bei Erich Kästner: „Das Haar wird dünner, und die Haut wird gelber, von Jahr zu Jahr / Man kennt den andern besser als sich selber.“ Deshalb kann man so gut sticheln, weil einem die Wunde, in die man mit seinem Messer hineinbohrt, so bekannt ist. Das ist unfair, aber manches Mal muss man auch unfair sein. Und manches Mal will man auch unfair sein.

Sind Sie gut im Streiten?

Ich bin da recht vorsichtig, muss ich sagen, denn mich treffen Worte sehr. Es bleibt immer was hängen, selbst wenn man sich danach entschuldigt. Ich könnte nie zu meinem Mann sagen, du Idiot. Abgesehen davon würde mich das ja auch zur Idiotin machen, denn ich habe ihn ja zum Mann genommen. Aber ich kann auch gemein sein, natürlich. Und ich weiß auch wie.

Wenn heute Hochzeitstag ansteht, gehen wir auf die Wiesn und der Michael fährt mit mir Achterbahn und schießt mir ein Herz. So wie damals.

Wie war das, als Sie Ihren Mann kennengelernt haben?

Wir waren teilweise sehr erstaunt voneinander, teilweise auch völlig irritiert. Es gab glückliche Überraschungen, und dann wiederum Eigenschaften, gegen die ich jahrelang angegangen bin, es dann aber aufgegeben habe. Ich merkte, der ist so, lass ihn.

Was hat Sie damals aufgeregt, was heute noch?

Es ist so, mein Mann hat kein Zeitgefühl. Das macht mich wahnsinnig. Ich hatte auch keines, aber wenn man zusammenlebt, sollte man eines entwickeln. Auch des Berufs wegen. Ich bin überall und immer pünktlich. Mein Mann möchte das auch gerne sein, aber es gelingt ihm nicht. Mittlerweile mache ich es so: Wenn der Zug nach Berlin um zwei geht, sage ich ihm, er geht um eins. Dann glückt das mit dem Pünktlichsein.

Feiern Sie Hochzeitstag?

Ja, machen wir. Wir hatten so einen lustigen Polterabend damals, auf der Wiesn in München. Wenn heute Hochzeitstag ansteht, wiederholen wir das, wir gehen auf die Wiesn und der Michael fährt mit mir Achterbahn und schießt mir ein Herz. Und dann stoßen wir an. So wie damals.

Wie blicken Sie auf Ihre Zeit in Hollywood zurück?

Mit großer Freude. Es war ein sehr großer Schritt und hat meinen Horizont erweitert.

Sie haben mit vielen Stars von Kirk Douglas bis Frank Sinatra gedreht. An wen erinnern Sie sich besonders gern?

Ich habe mich eigentlich mit allen gut verstanden und war immer mit den ganzen Familien befreundet. Mit Michael etwa, dem Sohn von Kirk Douglas, er war damals der Regieassistent vom Regieassistenten. Mit Rocky, dem Sohn von Yul Brynner. Und mit Robert Wagner, seiner Frau und den Kindern. Es war aber nicht so, dass tiefe Freundschaften entstanden wären. Sie dürfen nicht vergessen, meine Partner waren teils 25 Jahre älter als ich.

Ich hatte damals einen Vertrag mit mir geschlossen: Ich lasse mich nicht demütigen.

Worin lag der Unterschied, wenn Sie einen Film in Hollywood oder einen europäischen Film gedreht haben?

Wir hatten weniger Geld und sehr viel mehr Spaß. In Italien haben wir bei Außenaufnahmen zu Mittag schon das erste kleine Fläschchen Rotwein geöffnet, im cestino, weil es immer im Körbchen kam, gemeinsam mit Mozzarella und anderen Köstlichkeiten. Die Mittagspause dauerte eine Stunde. Und wenn wir im Studio Cinecittà in die Kantine gingen, dauerte sie zwei Stunden. Ich war einfach vergnügt, wie auf einer Party, einem Kindergartenfest, so kam mir das vor.

Mich hat immer beeindruckt, was Sie in Ihrer Autobiografie geschrieben haben: Nämlich, dass Sie ziemlich schnell ziemlich unbeeindruckt davon waren, wie groß die Limousine war, die sie in Hollywood morgens zum Dreh abgeholt hat.

Von der Größe des Autos wird der Film nicht besser, den man dreht. Zu wissen, was wichtig ist und was nicht, das habe ich von meiner Mutter. Mir war egal, welches Auto mich abholt, ich fand das ein Zeichen der Höflichkeit und des Respekts, und das habe ich auch eingefordert. Später habe ich mir einen Volkswagen-Käfer gekauft, bin im Cabrio ganz frech durch Los Angeles gefahren und habe mir so die Stadt erobert. Das hat mir besser gefallen.

Dabei hätten Sie durchaus das Anrecht gehabt, sich Allüren zuzulegen.

Ja, aber das ist doch eine Scheinwelt. Eine Allüre ist ein Benehmen, das du vorgibst. Und das nicht zu mir gehört.

Berühmte Männer machten Ihnen Avancen. Es kam aber auch zu Übergriffen.

Manches Mal konnte es auch angenehm sein, den Hof gemacht zu bekommen, das ist in Ordnung, auch heute noch. Aber jemanden in eine Situation zu bringen, in der Macht missbraucht wird, um mich zu missbrauchen, das ist unangebracht. Ich hatte damals einen Vertrag mit mir geschlossen: Ich lasse mich nicht demütigen. Ich habe Vorfälle auch meinem Mann erzählt. Und Mario Adorf war dabei, als ich zum Filmproduzenten Sam Spiegel gesagt habe, Sam, du bist zu alt und zu fett für mich! Der Mario Adorf dachte damals, die kriegt nie wieder eine Rolle.

Senta Berger

Senta Berger

Senta Berger wurde 1941 in Wien geboren. Ihr Vater war Musiker, die Mutter Lehrerin. Sie spielte  in Filmen mit Heinz Rühmann und in Hollywood mit Dean Martin oder Charlton Heston. Berger war die „Buhlschaft“, und auch im TV hatte sie großen Erfolg. Seit 1966 mit Regisseur Michael Verhoeven verheiratet, zwei Söhne.

Dank #MeToo ist in den vergangenen Jahren viel passiert. Denken Sie, dieser Einschnitt wird langfristig etwas verändern?

Die Gleichstellung der Frau ist durch diese Diskussionen noch stärker betont worden. Mit der Gleichsetzung, die sich daraus ergeben soll, kann ich dagegen wenig anfangen. Dass Frauen am Theater Männerrollen spielen sollen sind Auswüchse, die ich noch aus den 1968er-Jahren kenne. Auch da wurde Liberalität in manchen Fällen missverstanden. #MeToo hat auf jeden Fall eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Wie sich das konkret auf die Büro-Praktikantin auswirkt, die von ihrem Chef betatscht wird, das kann ich allerdings nur schwer beurteilen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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