
Wie Wien wohnt: Der Blick hinter fremde vier Wände
Marie-Louise Gahleitner besucht für ihren Blog "Wie Wien wohnt" wildfremde Menschen zuhause. Warum uns das so fasziniert.
Würden Sie einfach so einer fremden Person mit einer Kamera die Türe zu Ihrer Wohnung öffnen? Wahrscheinlich nicht, und dennoch verdient Marie-Louise Gahleitner genau damit ihr Geld.
Die 31-Jährige betreibt seit mehr als fünf Jahren auf den Sozialen Netzwerken Instagram und TikTok äußerst erfolgreich den Account "Wie Wien wohnt" und porträtiert darin das Zuhause von Menschen, die nicht unterschiedlicher sein könnten.
Wie sie es schafft, dass wildfremde Menschen ihr die Türe öffnen, wollen wir wissen: "Mir geht es nicht darum, Wohnungen zu bewerten, sondern ich wollte eine Plattform erschaffen, wo Leute sich bzw. ihre Wohnungen so zeigen können, wie sie sind. Ich begegne jeder Wohnung mit Respekt und echtem Interesse. Und das spüren die Menschen", so Marie-Louise, die sich ihren mittlerweile fast 90.000 Followerinnen und Followern (allein auf Instagram) als Malou vorstellt.
Entstanden aus Neugierde
Anfangs waren es lediglich Fotos, doch mittlerweile sind es kurze Videos – neuerdings sogar mit Ton –, in denen sie mit liebevoll kuratierten Aufnahmen die schönsten Ecken, charmanten Details, persönlichen Erinnerungsstücke und eindrucksvollen Designobjekte einfängt.

Marie-Louise Gahleitner
©©wiewienwohntSo entsteht ein authentisches Bild, das den ganz eigenen Stil der Wohnung und ihrer Bewohner widerspiegelt. Mittlerweile ist "Wie Wien wohnt" ihr Brotberuf, jedoch war es anfangs keinesfalls als Businessidee gedacht: "Das Projekt ist 2019 aus purer Neugierde entstanden. Ich liebe es, durch Wien zu spazieren, auf Fenster zu blicken und mir vorzustellen, wie es dort drinnen wohl aussieht. Eines Tages hab ich mich dann gefragt, warum nicht einfach nachfragen?"
Dafür ganz klassisch an Türen zu klopfen war Malou, die sich eigentlich als schüchtern beschreibt, aber doch zu persönlich und so startete sie ihren Account auf Instagram. Zu Beginn porträtierte sie Wohnungen von Freunden und Bekannten, aber schnell kamen dann auch Anfragen von außen. Seinen Durchbruch hatte der Blog aber im ersten Lockdown, im Frühling 2020. "Ich hatte das Gefühl, dass sich damals viele Menschen einsam gefühlt haben und meine Plattform hat ihnen irgendwie das Gefühl gegeben, nicht mehr alleine zu sein."

"Eine Wohnung erzählt sehr viel über den Menschen – doch manchmal zeigt sie nur die Version, die bewusst präsentiert werden soll.“ - Marie-Louise Gahleitner
©Wie Wien wohnt"Wir lieben es, uns von anderen etwas abzuschauen"
Dieser Wunsch nach Nähe und gleichzeitig aber auch das Stillen von Neugier sind zwei wesentliche Zutaten im Erfolgsrezept von "Wie Wien wohnt". Auch die Erfinderin der Plattform sieht darin wichtige Punkte. "Fremde Wohnungen üben eine gewisse Faszination aus. Wir wollen wissen, wie andere ticken und ob sie den gleichen Stil haben. Wir lieben es, uns von anderen etwas abzuschauen", sagt sie.
Und anscheinend wollen auch viele ihr Zuhause zeigen. Rund 20 bis 30 Einladungen bekommt Malou pro Woche. Wie viele Wiener Wohnungen sie inzwischen besucht hat, weiß sie selbst nicht. "Sicher schon mehr als 300", schätzt sie. Alle von ihnen waren unterschiedlich und jede Einzelne hatte ihren ganz persönlichen Touch.
Malous ehrliches Interesse an den Menschen und den Wohnungen hebt "Wie Wien wohnt" von anderen Accounts ab. Es ist nie urteilend, nie wertend, immer unvoreingenommen. Das liegt daran, dass auch sie die Wohnungen zum ersten Mal sieht. Wenn sie Menschen besucht, dann weiß die 31-Jährige nicht, was sie erwartet. "Ich brauche keine Fotos, sondern einfach nur eine Nachricht, dass man mitmachen will. Jeder, der mir schreibt, kann dann dabei sein."
Angst vor Verurteilung brauchen die Teilnehmenden nicht haben. "Ich bin keine Richterin, die über richtig und falsch urteilt. Ich will, dass jeder, der mitmacht, die Möglichkeit hat, ein schönes Porträt zu bekommen."
Besonderer Draht
Malou scheint es leicht zu fallen, auf Menschen zu zugehen. Aber wie schafft sie das? "Ich frage meist nach dem Lieblingsmöbelstück oder der Geschichte dahinter. So kommt man immer gut ins Gespräch. Aber es gibt auch Menschen, die nicht reden wollen, und das ist für mich auch okay."
Ob gesprächig oder zurückhaltend – Malou begegnet den Menschen stets offen und unvoreingenommen. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Ihre jüngste Teilnehmerin war gerade einmal 18 Jahre alt, ihr ältester stolze 95. "Jede Altersgruppe hat ihre eigene Perspektive aufs Wohnen – das finde ich sehr spannend", erzählt sie.
Und so wundert es auch nicht, dass einige der Aufeinandertreffen nachhaltige Spuren hinterlassen, besonders zwei Begegnungen: "Zum einen denke ich gerne an Evelyn zurück, die inzwischen leider verstorben ist. Sie war pflegebedürftig und ihre Wohnung, genau wie sie als Person, war sehr interessant und ich habe mich gefreut, sie kennenlernen zu dürfen. Und eine zweite sehr prägnante Erinnerung ist an Tom im 8. Bezirk. Er hat seine Wände mit besonderen Tellern quasi tapeziert. Die ganze Wohnung hatte ihren eignen Stil."
Viele betrachten ihr Zuhause als Spiegel der eigenen Persönlichkeit. Kann Malou diese Annahme aus eigener Erfahrung bestätigen? "Eine Wohnung erzählt sehr viel über den Menschen – doch manchmal zeigt sie nur die Version, die bewusst präsentiert werden soll."
Zukunftspläne
"Wie Wien wohnt" wird heuer bereits sechs Jahre alt. Ihre Arbeit macht Marie-Louise aber noch immer Spaß. "Wenn der einmal weg ist, dann höre ich auf", sagt sie.
Davon ist momentan aber nicht die Rede. Derzeit arbeitet sie an einem eigenen Buch. Und vielleicht kann sie sich auch bald einen weiteren Traum erfüllen: "Ich würde wahnsinnig gerne die Wohnung von RAF Camora porträtieren. Darauf warte ich schon seit fünf Jahren", sagt die 31-Jährige lachend.
In der Zwischenzeit besucht Malou aber munter weiter die vielen uns noch verborgenen Ecken dieser vielseitigen Stadt und zeigt auf ihre einzigartige Weise, was jedes Zuhause so besonders macht.
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