46-214609597

Ein Wochenende im Weinviertel: Unterwegs auf fruchtbarem Boden

Im Weinviertel sind der Grüne Veltliner und seine Kameraden sind allgegenwärtig. Doch es lohnt sich, jene Seiten der Region zu entdecken, die jenseits der Weinreben liegen.

Die Wände sind von den vielen Händen, die sie über die Jahrzehnte berührt haben, den Schultern, die sie bei der Arbeit gestreift haben und den Rücken, die schon an ihnen gelehnt haben, ganz glatt geworden. Unvorstellbar, dass sie einst von Bauern in mühevoller Handarbeit direkt in die Erde geschlagen wurden. Die Zeit hat ihre Spuren an den Mauern hinterlassen, sie geschmeidig gemacht. Die alte Kellerröhre ist dadurch  nur noch schöner geworden.

Angenehm warm ist es in dem Weinkeller in der Herrnbaumgartner Schindergasse, die von weiß gekalkten Presshäusern gesäumt ist. Vom frischen Wind, der vor der Kellertüre weht, ist nichts mehr zu bemerken. „Die Temperatur hier im Löss bleibt konstant. Im Winter ist es warm, im Sommer kühl, sodass der Wein sicher gelagert werden konnte“, erzählt die Kellergassenführerin. Hier, in einem der besten Weinbaugebiete der Region, taucht man unmittelbar in die Kultur des Weinviertels ein. Denn  es ist nun einmal sehr vieles mit der langen Geschichte des Weinbaus verknüpft – von der Landschaft über die Kultur, von der Architektur bis hin zur Kulinarik.

46-214609643

Die „Maulavern-Kellergasse“ in Zellerndorf erstreckt sich über 1,2 Kilometer – eine Perlenkette inmitten der Landschaft.

©weinviertel tourismus

„Schuld“ daran ist vor allem ein Mann: Kaiser Joseph II. Mit seinen Reformen hat er das Leben der Bauern deutlich verbessert – auch im Weinviertel. 1785 erließ er eine Verordnung, die den einst Leibeigenen das Recht gab, ihren eigenen Wein anzubauen. Also schafften  sich die Bauern „hintaus“, am Rande der bestehenden Orte, eigene Kellerröhren, und zwar vorzugsweise in Hohlwegen. 

Denn dort, wo die Witterung und der Viehtrieb bereits Vertiefungen ins Gelände geformt hatten, ließen sich die Keller direkt in den weichen Löss schlagen. Ein Material, das sich leicht formen ließ  und somit ein klarer Vorteil, wenn man alles per Hand graben musste. Damit waren die „Loimgrubn“ geboren, ein Begriff, der bis heute präsent ist. In den Lehmkellern konnte der Wein bei gleichbleibender Temperatur gelagert werden. Davor wurden Presshäuser gebaut, um die Trauben direkt vor Ort verarbeiten zu können. 

Über 800 Kellergassen finden sich heute noch im Weinviertel, rund 30.000 Presshäuser sind erhalten geblieben. Die längste Kellertrift liegt mit 1,6 Kilometern in Hadres, aber einzigartig ist jede von ihnen. In Mannersdorf an der March ziehen sich sieben übereinanderliegende Reihen von Kellern wie eine Perlenkette durch die Landschaft. Am Plateau des Rochusbergs hat Rudolf von Teuffenbach im Jahre 1648 eine Kapelle geschaffen – bis heute ein  Wahrzeichen.

Aus Film und Fernsehen

Ganz anders mutet die Kellergasse in Zellerndorf an; und sie kommt dem einen oder anderen Besucher  vielleicht sogar bekannt vor, wurden dort doch Szenen der Serie „Julia – eine ungewöhnliche Frau“ mit Christiane Hörbiger gedreht. Die „Maulavern Kellergasse“ ist 1,2 Kilometer lang und trägt ihren Namen, da hier einst ein Gerichtsplatz stand. Heute gibt es ein  Museum, das Einblicke in die Weinernten von längst vergangenen Zeiten gibt, sowie einen Selbstbedienungsladen – ideal, wenn man auf den Radwegen rund um Retz unterwegs ist. 

weinviertel tourismus

Ob Buschenschank oder Grean-Jause: Genuss ist im Weinviertel ein Muss.

©SoMe & MRC

Selbstverständlich hat die Region, die durch den Eisernen Vorhang lange Zeit ausgehungert wurde, das touristische Potenzial der Kellergassen längst erkannt – zum Vorteil der Besucher. Denn neben Besichtigungen werden auch Veranstaltungen in den charakteristischen Presshäuser-Zeilen organisiert. 

Und es finden sich dort auch viele  der berühmten Buschenschanken – ein weiteres Kulturgut, das man Joseph II. verdankt. Denn er erlaubte den Bauern, selbst produzierte Lebensmittel zu verkaufen. Der Hinweis „Ausg’steckt ist“ stammt noch aus dieser Zeit, wenn als Zeichen für den Verkauf einfach ein Büschel Zweige an die Keller gesteckt wurde. 

Bradlfettn und Grean-Jause

Um den Wein kommt bei einem Besuch im Weinviertel also niemand herum – was angesichts der Qualität der Tropfen aber auch ewig schade wäre. Denn wer  im größten Weinbaugebiet Österreichs unterwegs ist, sollte sich durch die gebietstypischen Sorten – klar erkennbar an der Herkunftsbezeichnung DAC („Districtus Austriae Controllatus“) – kosten. Immerhin sind sie nicht ohne Grund weltberühmt. 

46-214609797

Die fruchtbaren Böden der Region liefern weit mehr als nur Wein. Am besten schaut man in Bauernläden oder bei Ab-Hof-Ständen vorbei.

©weinviertel tourismus/nadine christine

Das Aushängeschild ist und bleibt der Grüne Veltliner – nur er verdient den Titel „Weinviertel DAC“. Daran ändern auch hervorragende Rotweine, die mittlerweile ebenso produziert werden, nichts. Es geht ums „Pfefferl“, also jenes Aroma, das so typisch für die Region geworden ist. 

Am besten sorgt man bei einer Verkostung gleich für eine passende Begleitung, denn das Weinviertel kann nicht nur flüssig; Bradlfettn, Blunzn, Grammelschmalz, Surfleisch oder Geselchtes gehören traditionell auf den Tisch. Einzigartig ist die Grean-Jause, die es nur rund um Ostern gibt. Einst wurden zu dieser die Helfer eingeladen, die Weinbauern wollten sich auf diesem Wege für die harte Arbeit während der Wintermonate bedanken. Heute ist dieser Brauch immaterielles Weltkulturerbe – und für Gäste verbunden mit einem Spaziergang durch die schier endlosen Reihen an Weinreben, begleitet von den Winzerinnen und Winzern.

Kuriose Fakten

Wussten Sie, dass...

  • … in Marchegg seit 130 Jahren Störche brüten? Damit handelt es sich um die größte auf Bäumen brütende Weißstorchkolonie Mitteleuropas. 
  • … das Habsburgerreich im Weinviertel sein Ende fand? Kaiser Karl trat von Schloss Eckartsau aus im März 1919 seinen Weg ins Exil an
  • … Wolfgang Amadeus Mozart sich in Raschala verewigt hat? Er erleichterte sich dort auf dem Weg nach Prag, der Pinkelstein erinnert daran.

Doch das Weinviertel hat auch andere Seiten – jene, die angesichts der malerischen Weinbaugebiete oft vergessen werden,  aber nicht weniger prägend für die Menschen und die Region waren. Sichtbare Spuren haben die Römer hinterlassen, erst vor kurzem wurde ein Brückenkopfkastell im Nationalpark Donau-Auen entdeckt. 

Pyramiden in NÖ

Das Weinviertel war aber schon viel früher dicht besiedelt, wie Fundstücke belegen. Ein Relikt der Hallstattzeit sind die „Weinviertler Pyramiden“, also jene Grabhügel, die sich zum Beispiel in Großmugl finden. Er ist mit seinen 50 mal 16 Metern der größte mitteleuropäische Grabhügel der Hallstattkultur.

Nicht weit entfernt davon liegt das Schloss Ernstbrunn, das in seinen ältesten Teilen bis 1300 zurückreicht und damit die älteste „Burg“ im Weinviertel ist. 

Über die gesamte Region verteilt finden sich einstige Adelssitze, sei es die mittelalterliche Burg Kreuzenstein oder das barocke Schloss Hof. Sie alle sind einen Besuch wert. In jenen Landstrichen, in denen das „einfache Volk“ wohnte, hielt man sich hingegen bewusst bedeckt. Meist liegen die Weinviertler Orte in Senken, denn die flache Landschaft bot ansonsten nur wenig Schutz vor Angreifern. 

Eben jene Topografie ist es, die der Gegend hier heute zum Vorteil gereicht. Denn direkt vor den Toren Wiens gelegen erkunden sie immer mehr Menschen mit dem Rad oder auf Wanderwegen, die sich durch die gesamte Region ziehen. Selbst die höchste Erhebung, der Buschberg, ist mit seinen 491 Metern auch für Familien gut zu meistern. Oben angelangt kann man sich bei der Buschberghütte (übrigens die niedrigstgelegene Hütte des Österreichischen Alpenvereins) mit einer Mahlzeit belohnen. Vom Gipfelkreuz aus hat man einen herrlichen Blick über die Leiserberge, jenen Naturpark, der mitten im Weinviertel liegt.

Naturschauspiel zu Füßen

Apropos Natur: Zwei von sechs Nationalparks in Österreich liegen im Weinviertel. Der eine in den Donauauen, der andere im Thayatal im Norden des Viertels. Beide wurden durch ihre Flüsse geprägt, könnten aber unterschiedlicher kaum sein. Rund um die Thaya erstrecken sich Wiesen, steile Hänge und Felsplateaus. Der Großteil des Parks ist von Eichen- und Buchenwäldern überzogen. Die Donauauen sind hingegen denkbar flach; in der Stopfenreuther Au wurde Geschichte geschrieben, Proteste haben den Bau eines Kraftwerks verhindert. Die prachtvolle Natur und ihre Tiere, die dank der Unermüdlichkeit der Demonstranten gerettet werden konnte, kann man am besten bei einer Bootstour erleben.

Ich packe in meinen Koffer...

  • … einen Weinviertelkrimi. Die Polt-Reihe ist ein Klassiker, die neben spannenden Fällen auch viel über das Wesen der Weinviertler verrät.
  • … eine Picknick-Decke. So kann man die Natur in vollen Zügen genießen – wo man will und wann man will. Regionale Spezialitäten natürlich auch.
  • … ein Stoffsackerl. Immerhin muss ein Grüner Veltliner von alten Reben des Falstaff-Winzerpaares Ebner-Ebenauer mit nach Hause.

Eine Unternehmung, die garantiert hungrig macht. Zum Glück ist gutes Essen im Weinviertel nicht schwer zu finden – es liegt tatsächlich auf der Straße. Denn die Landwirtinnen und Landwirte verkaufen ihre  Produkte oft und gerne in Ab-Hof-Hütten. Auch Bauernläden gibt es – zum Beispiel in Wagram an der Donau, nur fünf Kilometer vom Nationalparkzentrum entfernt. Die Regale der Familie Unger sind über und über gefüllt mit dem Besten, was das Marchfeld zu bieten hat. Dazu gehört Spargel ebenso wie Marillen, immerhin ist das Weinviertel auch für die süßen Früchte das größte Anbaugebiet Österreichs. 

In der Kellergasse

Doch ganz gleich, wie viele Superlative noch geboten werden: Die größte Bühne gehört im Weinviertel dem Wein. Und das ist gut so. Zurück in Herrnbaumgarten schlängelt sich die Kellertrift immer weiter den Hügel hinauf, vorbei an den gemauerten Kellereingängen, den sogenannten „Vorkappeln“.  So lange, bis man  in den Weingärten angekommen ist. Dort wärmen einen die letzten Sonnenstrahlen, die umliegenden Hügel und ihre Reben sind in ein tiefes Abendrot getaucht. Der Moment, in dem einem das Weinviertel zu Füßen liegt.

Über Michaela Höberth

Kommentare