
So abstrakt sieht Österreich von der Drohne fotografiert aus
Abstrahierte Muster, überraschende Perspektiven: Österreich aus 90-Grad-Perspektive, das neue Projekt von Ernst Kainerstorfer.
Gravierte Striche im endlosen Grün. Einem Linienspiegel gleich legen sich die Stauden übers Feld, in Reih und Glied, von links nach rechts, wie mit dem Pinsel gezogen. Mittendrin ein Ausreißer. Eine lichte Stelle, ein freies Plätzchen, auf dem einsam ein Bäumchen wächst. Ein Zwinkern, vielleicht – als hätte ein schlafender, grüner Riese kurz ein Äuglein geöffnet.
Entstanden ist das Bild, das man gleich unter diesem Satz sieht, am Bisamberg im Bezirk Korneuburg in Niederösterreich.

Als ob ein Äuglein im Grün sich öffnen würde: Baum am Bisamberg bei Wien, aufgenommen mit einer Flugdrohne
©Kainerstorfer ErnstDie Elisabethhöhe, die Lourdes-Grotte oder der fantastische Ausblick ins Donautal – für Spazierer ist die Marktgemeinde ein beliebtes Ausflugsziel nahe Wien. So wie hier hat man es allerdings noch nie gesehen. Es ist der Blick von oben, der uns eine neue Perspektive auf bekanntes Terrain aufzeigt – und die abstrakte Schönheit der Natur.
People-Fotograf mit neuem Faible
Aufgenommen hat das Foto, wie auch die weiteren auf diesen Seiten, der Fotograf Ernst Kainerstorfer. Ein bekannter Name, den er sich vor allem mit den Porträts berühmter Menschen gemacht hat – People-Fotografie. Jetzt hat er ein zusätzliches Faible und ein Projekt mit dem Titel "90 Grad" entwickelt.
Gewandt steuert er seine Flugdrohne in lichte Höhen und bildet Österreich aus hoher Warte ab. Das Ziel bleibt dasselbe wie wenn Kainerstorfer Weltstars in Szene setzt: aufsehenerregende Momente, staunender Blick, unerwartete Blickwinkel.

Hoch wie nie: Ernst Kainerstorfer kennt man als Porträtist von Stars wie Mick Jagger oder Niki Lauda. Jetzt fotografiert er auch Landschaften per Flugdrohne
©PrivatGraphische Strenge
"Die Luftbilder und die Stille der Natur sind ein schöner Ausgleich zur People-Fotografie für mich", erklärt Kainerstorfer. Aus dem rechten 90-Grad-Winkel (und aus maximal 120 Metern Höhe) fördert er eine strenge, graphische Wirkung zutage. Der Blick auf die Felder am Land fasziniert ihn, die sich darin erkennbar machenden Details wirken auf ihn wie überirdische, geheime Zeichen – und sind tatsächlich doch meist von Menschen (und Traktoren) gemacht.
Die altbekannten Landschaften, die mitunter schon unbemerkt (weil viel gewohnt) an unseren Augen vorbeiziehen, lösen sich aus der Vogelperspektive in abstrahierte Muster und graphisch scheinende Elemente auf. Österreich, abstrakt.
Die Motivsuche kann dabei mehr Überraschungen bereithalten, als man denkt. "Oft stoße ich auf ein Fleckchen Erde, das vom Boden aus vielversprechend aussieht, doch dann beim Blick von oben enttäuscht", weiß Kainerstorfer. Dazu zählen etwa Sonnenblumenfelder.
Andere Herausforderungen werden ebenfalls von der Natur diktiert. Merke, der Wind ist der Feind der Drohne. Eine ist dem Fotografen bereits an einem Baum zerschellt. Künstlerpech. Wichtig ist natürlich auch das beste Licht, das sich meist möglichst früh oder möglichst spät am Tag zeigt – Fotografie erfordert manchmal Geduld. Oder auch Spontanität: Seine Flugdrohne hat Kainerstorfer jedenfalls immer im Kofferraum, wenn ein schönes Motiv an ihm vorüberzieht. Das Motto: allzeit bereit.
Spielberg, Bowie & Lauda
Das ist Ernst Kainerstorfer auch stets, wenn es in seiner Laufbahn darum geht, Superstars abzubilden. Die Liste der Porträtierten, die ihm bereits in die Kameralinse blickten, liest sich wie das "Who is Who": Billy Wilder, Steven Spielberg, David Bowie etwa, oder Jerry Lewis, Johnny Cash, Rod Stewart und Frank Zappa. Und da sind da natürlich die österreichischen Prominenten, die er etwa für Bunte, Gala und lange für die in Szene setzte, etwa Arnold Schwarzenegger, Friedrich Gulda oder Maximilian Schell.
Mit Formel 1-Legende Niki Lauda ("war ein super-lässiger Typ") ergab sich im Laufe der langen Zusammenarbeit fast so etwas wie eine Freundschaft, zudem verdiente der Bildermacher sich seine ersten Sporen einst mit Fotos bei Autorennen. Das erste Foto von Lauda nach seinem Unfall ohne Kapperl, einst ein medial heiß begehrtes Motiv – durfte denn selbstverständlich auch Kainerstorfer machen. Wo Vertrauen, da Verdienst.
Weg vom Getöse des Alltags
Fern von hohen Tieren faszinierte ihn jedoch die Höhe. Als in den Morgenstunden des 1. August 1976 etwa die Wiener Reichsbrücke einstürzte, charterte Kainerstorfer ein Flugzeug, um das Unglück für eine Zeitung festzuhalten. Das ist viele Jahre her. Die moderne Technik hat inzwischen vieles erleichtert. Und dem Fotografen ein neues Steckenpferd beschert.
Die Farbenspiele der Felder, die graphischen Polaritäten der Landschaft, die sichtbar werdenden Ränder und Grenzen auf weiter Flur – all das legen die Aufnahmen von oben frei, ob im sommerlich grünen Niederösterreich oder im winterlich verschneiten Tirol. Es ist auch ein Blick, der den Betrachter entschleunigt – weg vom Getöse und Tohuwabohu des Alltags wird man hinaufgezogen in eine wolkenhohe Stille, die beruhigt und fasziniert zugleich. Es ist ein Blick, der das weite Land nicht aufgeteilt zeigt, etwa in unterschiedliche Weltanschauungen – sondern in zuvor kaum erahnte Muster, Sektionen und faszinierende Geometrien.
Eine Ästhetik, die denn auch nicht vor der österreichischen Grenze Halt machen will – zumindest in naher Zukunft. Im Herbst plant Fotograf Kainerstorfer eine Reise nach Amerika. Dort wird er seine Tochter besuchen, die an der Uni von Pittsburgh eine Professur für Physik bekleidet. Im Zuge dessen möchte er bei einem Ausflug in den Grand Canyon auch dort seine Drohne aufsteigen lassen. Gewaltige Felsberge, grandiose Schluchten, anregendes Licht – die Natur wird sich auch in diesem Szenario als spannende graphische Konstruktion erweisen.
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