Melzer: „Man denkt darüber nach. Bei jedem Schlag“
Jürgen Melzer kehrt zurück auf den "heiligen Rasen", im Legenden-Doppel in Wimbledon. Das freut den Tennisprofi, den viele Themen beschäftigen. Ein Interview über Druck, Hassliebe, Nachwuchshoffnungen, Krisen – und Dominic Thiem.
In der zweiten Turnierwoche, die morgen eingeläutet wird, steht er wieder auf dem "heiligen Rasen" in Wimbledon: Gemeinsam mit dem Luxemburger Gilles Müller, der vor knapp fünf Jahren auf Platz 21 der Weltrangliste rangierte, spielt er im so genannten Legendenturnier. Ansonsten ist der Tennisprofi nach seiner aktiven Spielerkarriere nun Sportdirektor beim Österreichischen Tennisverband (ÖTV). Im Interview spricht er über seine neue Rolle und das, was ihn am meisten bewegt.
Sie sind unter anderem ehemalige Nummer acht der Weltrangliste, selbst noch in der Meisterschaft aktiv, mittlerweile auch Sportdirektor beim Tennisverband und trainieren den Nachwuchs. Wie viel Zeit bleibt da noch für das aktive Spielen?
Ganz wenig. Ich habe es nicht mehr geschafft, vor der Meisterschaft so viel zu trainieren, dass ich dort für mich zufriedenstellende Leistungen erzielt hätte. Aber es geht einfach nicht. Mit der Hybrid-Lösung zwischen Büro und Tennisplatz mit den Kindern bleibt ganz wenig Zeit für mich. Und die wenige, die ich habe, verbringe ich dann lieber mit meiner Familie.
Bei eben dieser Meisterschaft haben Sie sich offenbar über sich selbst sehr geärgert. Man kennt das von vielen Tennisprofis. Aber wird man mit den Jahren etwas gelassener?
Ja und nein, die Karriere hatte ich ja, weil ich einen gewissen Ehrgeiz mitbrachte. Und wenn man älter wird, schafft der Kopf manchmal etwas an, was der Körper nicht mehr ganz so zusammenbringt – dann kann man sich eben ärgern.
Leben Sie den Ehrgeiz auch Ihrem Sohn vor? Er steht mittlerweile ja auch am Platz.
Ja, aber nur einmal pro Woche, und da steht der Spaß im Vordergrund.
Möchte er in Ihre Fußstapfen treten?
Das ist noch ganz weit weg. Für ihn ist Sport reiner Spaß, er schwimmt auch. Für mich ist es wichtig, dass er eine breite sportliche Ausbildung bekommt – dann irgendwann später könnte der Sport mehr in seinem Leben werden. Aber im Moment soll er sich als Kind entwickeln, gerade nach dieser schweren Zeit in der ja relativ wenig Soziales möglich war.
Eben in dieser Zeit der Pandemie kam es aber zu einem Tennis-Boom, da dieser Sport im Vergleich zu anderen erlaubt war, Stichwort „kontaktlos“. Wie kann man diesen Hype in die nächste Zeit mitnehmen?
Wir haben verschiedene Aktionen gestartet, um vor allem Kinder zum Tennis zu bringen, etwa Veranstaltungen. Es sind auch einige Sportbegeisterte anderer Sportarten zu uns gewechselt. Wir haben uns gerade in den vergangenen Jahren bemüht, zu zeigen, wie toll Tennis sein kann, jetzt gilt es das weiterzuziehen.
Im Trend liegt auch Paddel-Tennis. Ist das eine Verwässerung des klassischen Spiels oder eine Chance, weitere Menschen für Tennis zu begeistern?
Ich sehe das als absolute Chance. Grundsätzlich gilt: Jede sportliche Betätigung ist extrem wichtig. Wir müssen die Kinder zum Sport und zum Ball bringen. Paddel ist eine Sportart, die man viel schneller lernt als Tennis. Ich sehe das nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung. Daher soll auch diese Sportart gepusht werden, es braucht mehr Plätze in Österreich damit sich die Leute mit dem Sport beschäftigen. Und das zahlt sich aus, weil es echt lässig ist, ich spiele es auch.
Mit Ihrem Sohn?
(lacht) … Nein, das geht sich noch nicht aus, da muss er noch ein bisschen üben. Er ist ja noch ein Kindergartenkind, aber es wird.
Bleiben wir beim Nachwuchs: Ist es für Junge im Sportbusiness heute leichter oder schwerer als früher?
Ich glaube, für die Jungen ist es schwieriger, weil es viel mehr Ablenkung gibt. Wir hatten, als wir jung waren, kein Handy, wir sind rausgegangen und haben einfach Sport gemacht. Und jetzt? Mittlerweile ist es leider so, dass die junge Generation ständig vor dem Handy oder Tablet sitzt, die muss man erst einmal rauslocken.
Und auf dem Platz? Gibt es Eigenschaften, mit denen sich der Nachwuchs von früheren Generationen unterscheidet?
Es geht heute viel professioneller zu, etwa bei uns im Leistungszentrum in der Südstadt. Aber man muss die Bereitschaft haben, alles zu geben. Ein bisschen Tennis zu spielen, genügt nicht mehr. In meiner Jugend habe ich nebenher noch Fußball gespielt, das wäre heute nicht mehr vorstellbar. Man muss mit 12 Jahren schon wissen, was man will.
Wieso hat sich das so verändert?
Weil jene im Spitzensegment nach absoluter Perfektion streben, mehr denn je. Die Konkurrenz ist härter geworden.
Das bringt viel Druck mit sich.
Deshalb ist es so wichtig, dass Kinder sich noch natürlich entwickeln können und eine multisportive Ausbildung haben. Spielt ein Kind von sechs Jahren weg nur Tennis und wird nur in diese eine Sportart ausgebildet, verliert es andere qualitative Fähigkeiten. Ich glaube, jeder wirklich gute Tennisspieler unter den Top Ten war zumindest in einer anderen Sportart mindestens genauso talentiert.
Was war das bei Ihnen?
Fußball. Spiele ich auch heute noch relativ gerne. Mir fehlt dafür nur leider die Zeit.
Nach dem Absturz von Dominic Thiem rangiert kein Österreicher mehr unter den Top 100. Hat die Nachwuchsarbeit der vergangenen Jahrzehnte versagt?
Nein, aber es ist wichtig, dass die Basis-Trainer sehr gut ausgebildet werden – sodass Kinder nicht schon in jungen Jahren etwas falsch lernen, das sie sich später nur ganz schwer wieder abgewöhnen. Da müssen wir die Ausbildung verbessern, sodass nur wirkliche Topleute mit den Jungen arbeiten.
Wie war Ihr erster Trainer?
Toll! Heribert Elias hat mich super ausgebildet. Danach hatte ich mit den beiden Brüdern Bernd und Karlheinz Wetter zwei, die mich gut übernommen haben. Bernd bin ich sehr dankbar, weil zuvor habe ich mit zwei Händen gespielt. Ohne sein Training würde ich jetzt nicht hier sitzen, zumindest nicht als ehemaliger Tennisspieler. Karlheinz hat mich dann über 13 Jahre begleitet und ich bin ihm sehr dankbar für die Ausbildung, die ich genossen habe.
Jede Spitzensportkarriere hat aber auch Tiefs. Haben Sie einmal daran gedacht, alles hinzuschmeißen?
Ich glaube, es ist normal dass, wenn man eine Sportart liebt, sie hin und wieder auch hasst. Erfolg und Misserfolg liegen so eng beieinander. Und wenn man eine wochenlange Phase hat, immer in der ersten Runde zu verlieren, macht das schon etwas mit dir. Dazu kommt der öffentliche Druck: Es ist nicht lustig, wenn du Dinge über dich in Medien oder auf sozialen Netzwerken liest, die nicht positiv sind. Nichtsdestotrotz musst du lernen damit umzugehen, wenn du ganz rauf willst.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich hatte 13 Jahre lang auch eine Mentaltrainerin, die mich da unterstützt hat und mir Mechanismen beibrachte, zur Ruhe zu kommen und das nicht zu nahe an mich rankommen zu lassen.
Doch Medien können einen Spielverlauf nicht ändern, sondern nur darüber berichten, wie er eben ist.
Ja, Journalisten machen auch nur ihren Job. Aber heutzutage wird es ganz schnell persönlich. Vor allem auf Social-Media-Kanälen kann man jemanden ganz schnell unter der Gürtellinie angreifen. Ich würde mir wünschen, dass Sportler hier besser geschützt werden und dem nicht so ausgeliefert sind.
Das gilt wahrscheinlich auch für Dominic Thiem, der in einer sportlichen Krise steckt. Haben Sie Kontakt miteinander?
Sporadisch ja, mehr allerdings mit seinem Manager, weil ich den sehr gut kenne. Aber als Außenstehender ist das dennoch schwer zu kommentieren, von draußen schlau zu reden, wäre unseriös. Er wird schon wissen, was er tut. Er war die Nummer drei der Welt, also wird er sich da auch wieder rauskämpfen. Ich hoffe, dass das Handgelenk hält, dass sein Körper hält. Wenn das der Fall ist, bin ich davon überzeugt, dass er sich wieder vorne hineinspielt. Ob es wieder für ganz vorne reicht, ist fraglich, da spielen so viele Faktoren zusammen. Aber er ist definitiv besser, als er jetzt dargestellt wird.
Es ist für ihn aber ja nicht nur eine körperliche, sondern auch eine mentale Herausforderung.
Definitiv. Er konnte sehr lange seinem Beruf nicht nachgehen. Das Handgelenk ist eines der wichtigsten Körperteile eines Tennisspielers. Wenn man da so eine Verletzung hat, bei der man nicht weiß, ob das wieder wird, belastet das einen natürlich. Und dann denkt man darüber nach. Bei jedem Schlag. Ich hoffe, dass die Zeit da die Wunde heilt und er dann wieder so zurückkommt, wie wir ihn alle kennen.
Das hoffen wir alle. Wie sieht es mit dem restlichen Tennisösterreich aus? Gibt es Nachwuchsspieler, in die wir unsere großen Hoffnungen setzen können?
Wir haben definitiv Talente im Nachwuchs, die diesen Weg gehen können.
Welche?
Da sind wir wieder beim Druck. Haue ich da jetzt vier Namen raus, mache ich ihnen unnötig Druck. Aber wir haben sie, vor allem zwei Mädels, eine ist elf, eine 13. Ein junger Mann ist 16 und sehr gut. Es ist ein steiniger Weg, den man erst einmal gehen muss doch sie sind definitiv bereit dazu und haben auch die nötige Einstellung, das schaffen zu können.
Jeder braucht auch Erholung. Gibt es in diesem Sommer Urlaub für Sie?
Im Sommer weniger, weil es die Hauptsaison im Tennis ist. Wir fahren als Familie immer im November für zwei Wochen ins Warme. Im Sommer geht es nur für eine Woche ins Ausland.
See oder Meer?
Meer, mit Schwager und Schwägerin und ihren Kindern.
Bleiben wir gleich beim Wordrap. Zwei Begriffe, welcher sagt Ihnen mehr zu: Tee oder Kaffee?
Kaffee.
Fleisch oder Fisch?
Fleisch.
Sandplatz oder Hartplatz?
Hartplatz.
Wimbledon-Favorit: Djokovic oder Nadal?
Nadal.
Apropos Wimbledon, das Turnier läuft derzeit. Macht Sie das sentimental, im Sinne von Erinnerungen an Ihre Tennisprofikarriere?
Schon ein wenig. Aber das Schöne ist, dass ich beim Legenden-Turnier eingeladen bin und in der zweiten Woche mit anderen ehemaligen Tennisprofis aufschlagen darf. Da freue ich mich sehr darauf. Da spielt man nicht mehr um Punkte, es geht nur noch um den Spaß.
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