Wimbledon: Was den Flair des berühmten Centre Courts ausmacht

Der Centre Court in Wimbledon ist heuer 100 Jahre alt. Die Anlage im Londoner Stadtteil an der Church Road hat für seine Besucher viel Tradition und zauberhaftes Flair zu bieten. Und die Fans danken es dem Sport, indem sie ihm höchsten Respekt entgegenbringen.

Es gibt ja einzigartige Bauwerke, in denen einem beim erstmaligen Betreten der Atem stockt, die Gänsehaut kommt oder Tränen in die Augen steigen. Der Petersdom in Rom etwa, der Eiffelturm in Paris, das Camp-Nou-Stadion in Barcelona. Im Mekka des Tennissports Wimbledon ist das zunächst nicht der Fall. Die Anreise per U-Bahn und Gehweg entlang der Church Road ist unspektakulär. Kleine Einfamilienhäuser säumen den Weg, die Gegend ist chic, aber nicht elitär. Selbst beim Betreten des „All England Lawn Tennis and Croquet Club“ ist man ob einer gewissen Schlichtheit noch nicht voll euphorisiert. Wer aber aus den (ebenfalls unspektakulären) Katakomben des ältesten und berühmtesten Tennisstadions der Welt hinaustritt, erstmals den berühmten Rasen und die dunkelgrünen Tribünen sieht, bleibt stehen, holt tief Luft und atmet Geschichte, Flair und Emotion ein, wie in keiner anderen Tennis-Arena der Welt. Der Centre Court ist mit einer Kapazität von 15.000 Besuchern nicht der größte. Aber er ist einzigartig. Man hat das Gefühl, ganz nahe am Spielfeld zu sitzen. Es ist die Kathedrale des Tennissports.

Das Publikum in Wimbledon ist das fachkundigste und bestgekleidete auf der Tour. Wer eine Karte ergattert hat, erweist dem Sport hier die größtmögliche Ehre. Die Männer tragen Sakko und Stoffhose, die Damen Kleider und viel Hut. In der Royal Box sitzt zuweilen das beliebte Prinzenpaar, gegenüber in der Presidential Box die Funktionäre und VIPs. Kommt hier jemand mit 500 Pfund teuren Sneakers, wird er freundlich am Betreten der Box gehindert. „No Sneakers, please.“ Schlachtgesänge auf den Rängen, wie sie in großen Tennisstadien in Paris, Melbourne oder New York mittlerweile (leider) üblich sind, finden nicht statt. Nur wenn ein britischer Spieler um den Sieg kämpft, kann es laut werden. Doch bei den 15.000 Besuchern hat man den Eindruck, mit dem Tennissport vertraut, ins Tennis verliebt zu sein.

Stammgäste in der royalen Loge am Centre Court von Wimbledon: Herzogin Kate und Prinz William

©APA/AFP/ADRIAN DENNIS

Hier trägt der Sport noch Weiß

Das Flair, das hier verbreitet wird, überträgt sich natürlich auch auf die Spieler. Sie müssen in Wimbledon übrigens ausschließlich weiße Tenniskleidung tragen. Spieler, die selbst beim Training auf einem der Außenplätze mit einem hellgrauen Shirt einschlagen, werden von den Ordnern vom Feld geholt und um einen Leiberl-Wechsel gebeten. Auf den Plätzen gibt es keine Werbeschriftzüge.

Historisch gewachsen ist auch die Organisationsstruktur, oder besser gesagt: Sie ist so, wie vor vielen Jahrzehnten. Veranstalter ist kein riesiger Konzern, sondern der Tennisclub Wimbledon selbst. Dieser hat nur rund 500 Mitglieder, in den Turnierwochen werden 300 Millionen Euro umgesetzt. Mitglieder haben das Recht auf Tickets, sie haben die Möglichkeit, außerhalb der Turnierwochen auf dem heiligen Rasen zu spielen. Mitglied werden ist für Normalsterbliche fast unmöglich. Der Auswahlprozess ist anspruchsvoll wie der eines Headhunters, wenn es um Spitzenpositionen in der Wirtschaft geht. Doch die Veranstalter von Wimbledon zeigen sehr gerne ihre soziale Seite. Bei den Eintrittskarten werden die Preise nicht in exorbitante Größen gesteigert. Wer sich frühmorgens auf der dem Eingang gegenüberliegenden Wiese anstellt, hat Chancen, Resttickets zu vernünftigen Preisen zu kaufen. Und selbst der berühmte Champagner mit Erdbeeren ist erschwinglich.

Champagner und Erdbeeren auf den Picknick-Decken am Henman Hill. 

©Katie Collins / PA / picturedesk.com/Katie Collins/picturedesk.com

Wer keine Sitzplatzkarten für den Centre Court ergattert hat, kann sich auf den Außenplätzen hautnah Spiele ansehen, die bei anderen Turnieren zu Endspielen gereichen würden. Oder man setzt sich auf eine Picknick-Decke auf dem berühmten Henman-Hill, der nach dem früheren britischen Tennisprofi Tim Henman benannt wurde. Auf zwei großen Video-Walls können hier die Spiele in den beiden großen Stadien verfolgt werden.

Wer keine Sitzplätze im Stadion hat, macht es sich am Henman Hill gemütlich

©APA/AFP/POOL/AELTC/ANDREW BAKER

Österreicher haben in Wimbledon beim Einzel nie viel gewonnen. Dominic Thiem ist einmal ins Achtelfinale vorgestoßen, Thomas Muster ist die einzige Nummer eins der Welt, der nie auch nur ein einziges Match in Wimbledon gewonnen hat. Erfolgreichster Starter war der jetzige ÖTV-Sportdirektor Jürgen Melzer. Er hat im Herren-Doppel und Mixed-Doppel sogar den Sieg geholt und den Junioren-Bewerb gewonnen. Rasentennis ist in Österreich kein Thema. Die einzige Anlage steht in Kremsmünster in Oberösterreich.

Dabei kann Rasentennis so schön sein, vor allem, wenn man in Wimbledon gewinnt und beim Verlassen des Platzes vor der königlichen Loge den Knicks oder den Diener machen darf (2003 wurde die Verpflichtung dazu abgeschafft). Denn wer es in den Hauptbewerb geschafft hat, kann sich selbst bei einer Niederlage in der ersten Runde über 50.000 Euro Preisgeld freuen. Und wer die sieben Spiele bis zum Turniersieg gewinnt, streift mehr als zwei Millionen Euro ein – und so viel Ruhm, dass man für sein Leben ausgesorgt hat. Außer man heißt Boris Becker, aber das ist eine andere Geschichte in einem Gefängnis in einem anderen Stadtteil von London.

Richard Grasl

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