Gabriele Kuhn und Michael Hufnagl

Paaradox - Szenen einer Redaktionsehe: In der Unruhe liegt die Kraft

Zwei Menschen – und ein viereinhalbstündiger Theaterbesuch als Prüfung für seine Psyche und ihre Bandscheiben. Ein Schicksal, das es auszusitzen galt

Sie

Allerlei seltsame Anekdoten ranken sich um den Mann gegenüber, glauben Sie mir: Ich kann sie alle auswendig – so wie einst, in der Schule, den "Erlkönig". Mithörgelegenheiten hatte ich unzählige, weil er gerne und wiederholt Schwänke (vorzugsweise mit sich in der Hauptrolle) zum Besten gibt. Ungefähr so: Ich weiß jetzt nimmer genau, ob ich’s schon erzählt habe, aber es war so lustig wie ich damals… Ruckzuck – und schon sind die Zuhörer mitgehangen, mitgefangen. 

Etwa im blumigen Schwank über diesen inneren Dauer-Derwisch, der ihn als Bub, auf der Fahrt in den Urlaub, bereits bei Purkersdorf brüllen ließ, er könne keine Sekunde länger mehr sitzen. Dass die Eltern akut anhalten mussten, damit ihr Burli das "komische Jucken" in den Beinen mit zwanzig 100-Meter-Sprints kalmieren konnte.

Zappeln

Ganz herausgewachsen hat sich das nicht, da sage ich nur: Gehen Sie mit so jemandem in die aktuelle Viereinhalb-Stunden-Inszenierung des Stücks "Heldenplatz" ins Burgtheater und bleiben Sie beim Zappeln des empörten Bernhardianers gelassen, wenn er nonstop an Ihrer Bluse zupft und Ihnen ins Ohr flüstert: Da steht Thomas Bernhard drauf, aber da ist kein Thomas Bernhard drin! Der in der Pause daraufhin fünf Kompensationsbrötchen verschlingt, und sich dabei nicht nur über das Stück, sondern auch über die Paradeisergarnitur outriert. 

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Der nach dem Theater, also gegen 23.30 h, ganz dringend 7,1 Kilometer nach Hause gehen möchte, um sich "ein bisserl die Beine zu vertreten", obwohl es nieselt und stürmt. Der während der ersten drei Geh-dann Kilometer das Bühnenstück zerpflückt, als wäre er der Theatermacher persönlich oder müsse er gleich morgen ein Pro-Seminar über Aufführungsanalyse und Narrativität absolvieren. Bei Kilometer 4,2 blieb ich schließlich stehen und würgte seinen Sprechdurchfall ab, indem ich Bernhard, leicht adaptiert, bemühte: "Du bist ein Übertreibungsspezialist." Dann rief ich ein Taxi.

Er:

So ein Zappelphilipp-Syndrom ist mühsam. Ich bekomme wegen des Delikts Spontan-Spaziergang zwar heute keine Klassenbucheintragungen mehr, für strenge Blicke da und dort reicht’s aber immer noch. Im Theater wäre es freilich keine gute Idee, zur Auflockerung durch die Reihen zu schlendern. Obwohl die Zuseherschaft im aktuellen "Heldenplatz"-Fall vermutlich gar nicht so verstört gewesen wäre, sondern eher gedacht hätte, mein Aktionismus sei sicher auch so ein Teil der Inszenierung zur Schaffung von Verständnisdefiziten. 

Also blieb ich sitzen. Stundenlang. Bemüht, die erwachsenen ADHS-Ausläufer und die Regieideen wegzuatmen. Und während irgendeines dramaturgisch-wertvollen Bühnengebrülls beugte sich meine Frau zu mir und flüsterte: Was du auf einem Sessel herumwetzt, ist unfassbar. Bin ich froh, dass ich neben und nicht hinter dir sitze. Ich konnte sie verstehen.

Transformation

Und gleichzeitig war ich fasziniert von ihrer Körperbeherrschung. Immerhin hatte sie vor dem Abend gesagt: Ein bisserl fürchte ich mich vor der Länge des Stücks und den quälenden Monologen meiner Bandscheiben. Aber dann saß sie da, als würde sie für einen Meditationsweltrekord trainieren oder sich als Hauptdarstellerin bewerben – für den provokanten Einakter "Wirbelsäulen sind überschätzt." Weshalb sich nach zwei, drei oder vier Stunden (für Zeitgefühl blieb nur die Statistenrolle) folgender Flüsterdialog zutrug. 

Ich: "Schläfst du?" Sie: Spinnst du? Ich: "Du bist so stoisch." Sie: Ich transformiere. Ich: "Oha, was zu was?" Sie: Sinnfragen zu Gelassenheitsmantras. Das beeindruckte mich. Gegen Ende fiel mir ein Bernhard-Zitat aus "Alte Meister" ein: "Die Kunst ist das Höchste und Widerwärtigste gleichzeitig." Das offenbarte ich meiner Frau, während wir dem bewundernswerten Ensemble unseren Applaus schenkten. Und sie antwortete nur: Jetzt freu’ ich mich aufs Heidimachen. Das war Gnä-Kuhn-Theater, wie es hinreißender nicht sein könnte. 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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