Kink-Sex oder doch lieber Vanilla-Style: Jeder, wie er mag

Die einen experimentieren, die anderen tun es nicht – na und? Jeder wie er mag, denn Lust bedeutet Vielfalt.

Gut, schlecht. Cool, uncool. Aufregend, fad. Der Mensch kategorisiert und bewertet gerne, so scheint das Leben übersichtlicher und auf seltsame Weise spannend. Damit verbunden ist der Vergleich: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Doch so ist das nun mal: "Jede Bewertung ist zugleich eine Entwertung" (Georg-Wilhelm Exler), sie macht uns unzufrieden. Das gilt auch für Sex, vor allem aber für die Frage, wie Sex genau sein sollte, damit er als gut, als aufregend und besonders empfunden wird. Oder als etwas, mit dem man ein bisschen angeben kann. Erst unlängst erzählte mir ein Bekannter, dass er irritiert lauschte, als sich bei einem 50er zu später Stunde plötzlich zwei Paare als "neuerdings kinky" outeten.

Sie erzählten, dass sie die ewig fade Herumturnerei zwischen Missionar und Doggy-Style satt hätten, das Experimentieren sei nun das absolute Nonplusultra. Dann wurde über ehelichen Öd-Sex gelästert. "Abgesehen davon, dass ich nicht genau weiß, was die unter 'kinky' verstehen, fühlte ich mich auf einmal alt und schubladisiert. Als fiele ich, als eher konservativer Beischläfer, in die Ausrangiert-Kategorie. Muss ich mich genieren, nur, weil ich nicht an Füßen oder Latex lecke, um geil zu werden? Und darf nicht jeder so, wie er mag?"

Unkonventionell, aber kein Fetisch

Nein, muss er nicht, ja darf er. Wobei: Auch dieser Mann vermischt Dinge. Zwar rangiert "Kink" im Genre "unkonventionell", gilt aber nicht als Fetisch. Einen Fetisch "braucht" man, um Lust zu entwickeln, ohne den geht nix mehr. Man ist auf etwas fixiert oder gar besessen davon – eine bestimmte Spielart, eine Idee, Körperteile, Materialien, Gegenstände, Praktiken. Kinky Menschen experimentieren hingegen nur, sie sind neugierig und spielerisch – abseits des gängigen Penis-in-Vagina-rein-Raus.

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Kinks animieren etwa zu bestimmten Rollenspielen, sie erotisieren auf andere Art – das geht beispielsweise vom Sex mit mehreren, bis hin zu dem Gedanken, es als Frau mit Frauen zu treiben. Andere wiederum lieben es, Sex an Plätzen zu haben, wo sie ertappt werden könnten. Paare malen sich bestimmte Situationen aus, sie erleben das Bett als Bühne. Man beißt, leckt, kratzt oder geilt sich an Themen wie Unterwerfung und Dominanz auf. Fantasien werden gelebt und nicht nur gedacht – können aber jederzeit switchen.

Sie erzählten, dass sie die ewig fade Herumturnerei zwischen Missionar und Doggy-Style satt hätten, das Experimentieren sei nun das absolute Nonplusultra. Dann wurde über ehelichen Öd-Sex gelästert.

Fetisch muss sein – ohne den geht’s einfach nicht, da ist wenig Spielraum. Der Vollständigkeit halber: Da gäbe es noch den Begriff "Vanilla-Sex", mitunter etwas abwertend "Blümchensex" genannt. Man assoziiert damit Menschen, die im biederen Baumwollnachthemd und Pyjama unter die Bettdecke kriechen, um in der Dunkelheit eine eher unspektakuläre Nummer zu schieben. An dieser Stelle zurück zu unserem irritierten Vanilla-Mann ohne Kink, dem ich hiermit eine hochoffizielle Entschuldigung schreibe, die da lautet: "Liebe Leute, Herr J. darf 'fad' vögeln, solange ihm dabei nicht fad wird. Es ist seine Sache und das hier ist seine Lizenz zum Genießen nach Art des Hauses. Punkt."

Das ist wichtig, weil ich was gegen Sex-Schablonen habe. Es gibt kein Schema, kein Muss. Lust hat viele Gesichter, sie lebt von der Vielfalt genauso wie von gewissen Graubereichen. Wer spielen mag, muss sich weder für "Schwarz" noch für „Weiß“ entscheiden, sondern darf frei herumprobieren und experimentieren. Freitags Ekstase auf der Sexparty, sonntags das große Glück in der Missionarsstellung und nachher Häferlkaffee. Da wie dort ist es gut. Wichtig ist nur der Mut, seine Bedürfnisse a.) zu erkennen, um b.) dazu zu stehen und sich nicht womöglich mit etwas zufriedenzugeben, das man gar nicht ist.

Altersvorsorge

Wie positiv sich sexuelle Aktivitäten auf die mentale Gesundheit auswirken können, zeigt nun eine Längsschnittstudie von US-Soziologen. Bei der Analyse der Daten konnten Shannon Shena vom Hope College und Hui Liub von der Purdue University feststellen, dass Sex in allen Altersgruppen mit einer besseren Gesundheit des Gehirns und Herz-Kreislaufsystems zusammenhängt.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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