Warum Nichtstun wichtig ist um Kraft zu tanken
Was salopp als „Seele baumeln lassen“ bezeichnet wird, ist laut Neurowissenschaft eine ausgesprochen gesunde Kraftquelle. Darum: Gönnt euch regelmäßig eine Auszeit, um nichts zu tun.
Gar nicht so leicht, die Sache mit dem Nichtstun. Still werden, runterkommen, abschalten, ausklinken, durchatmen. Im besten Fall schweifen dabei die Gedanken ab und man driftet sanft in das Reich der Tagträume ab. Ein angenehmer Zustand, für den sich weltweit immer mehr Neurowissenschafter interessieren. Vor allem seit der Radiologe Marcus Raichle von der Washington University in St. Louis zu Beginn der 2000er-Jahre ein sonderbares Phänomen entdeckt hat. Bei Probanden, die zu Testzwecken untätig, bisweilen leicht gelangweilt, in der Röhre eines Tomografen lagen, zeigte sich, dass plötzlich ein spezifisches Netzwerk von Hirnarealen zu arbeiten begann. Raichle taufte diese Kortex-Regionen „Default Mode Network“, zu deutsch: Ruhemodusnetzwerk. „Diese neuronalen Areale bzw. Schaltstellen sind deshalb interessant, weil diese just dann auf Touren kommen, wenn man gerade nichts anderes tut, als seine Gedanken schweifen zu lassen. Das Ruhemodusnetzwerk wird also dann aktiv, wenn wir uns entspannen“, sagt Unternehmenspsychologin Natalia Ölsböck.
Was beim Abschalten hilft
Diese Terra incognita des schweifenden Geistes ist aus mehreren Gründen interessant. Einerseits werden in dem Zustand gegenwärtige Erfahrungen verarbeitet und für die Zukunft im „Ordner Erfahrungsschatz“ abgespeichert. Andererseits beeinflussen auf diese Weise aktivierte Hirnareale nachweislich die Kreativität. „Das ist mit einer der Gründe, weshalb einem beim entspannten Nichtstun oft die besten Ideen, mitunter echte Geistesblitze kommen“, sagt Ölsböck und plädiert für mehr Müßiggang im Alltag.
Das muss nicht heißen, dass man gar nichts tut. Den Zustand schöpferischer Nichtarbeit und produktiven Träumens kann man auch durch „tätige Entspannung“, wie Natalia Ölsböck es nennt, erreichen. „Rasenmähen, Gartenarbeit, ein Spaziergang in der Natur fördert das. Ich persönlich stricke gerne. Solche Dinge schaffen Raum für Kreativität“, sagt die Psychologin und ermutigt ihre Klienten immer wieder zu solchen mentalen Auszeiten.
Klingt alles logisch und einfach – wäre da nicht die Leistungsgesellschaft, unser getakteter Alltag, der tägliche Stress in der Arbeit – alles Umstände, die Abstechern ins Reich des Nichtstuns hinderlich sind. Beschleunigung regiert den Alltag. Wer Pause macht und dem süßen Nichtstun frönt, ist schon verdächtig. Ja, der Müßiggang hat viele Feinde und in unserer schnellen und digitalen Welt einen besonders schlechten Stand. Selbst dann, wenn sich die eine oder andere Minute der Ruhe auftun würde, wird sofort nach Ablenkung gesucht.
Sogar Kinder haben schon „Kurs-Stress“: Flötenstunde, Ballettkurs, Fußballtraining. Mal nur schlendern, ins Narrenkastl schauen? Fehlanzeige! Für Nichtstun ist, ja darf heutzutage einfach keine Zeit sein. Dabei wäre das so wichtig. Natalia Ölsböck kennt dieses Phänomen. Ihre Praxis ist voll mit Menschen, die – im wahrsten Sinn des Wortes – nicht mehr abschalten können. „Tatsächlich fällt das vielen heutzutage zusehends schwerer. Ich erlebe sogar immer wieder Klienten, die tatsächlich nicht wissen, wie sie ihr Handy überhaupt abdrehen können. Dabei wäre gerade das Abdrehen der Schlüssel zum Abschalten“, sagt Natalia Ölsböck und hat für alle „Dauer-unter-Strom-Steher“ Tipps, um aus dem Hamsterrad auszusteigen – mit dem Ziel regelmäßiger Mußeminuten, wenn schon nicht Mußestunden.
Berühmte Müßiggänger
Vorbildhaft sind hier etliche historische Persönlichkeiten, die den Müßiggang zeit ihres Lebens gepflegt haben, damit gut gefahren sind und sogar, ganz nebenbei, so gutes Geld verdient haben.
Ein begnadeter Müßiggänger war Diogenes. Er legte Wert darauf, jeden Tag ungestört eine gewisse Auszeit zu haben. Als ihn kein Geringerer als Alexander der Große einmal dabei störte, um ihn nach irgendeiner Belanglosigkeit zu fragen, soll Diogenes lediglich geantwortet haben: „Geh mir aus der Sonne.“ So viel Gelassenheit muss man erst einmal haben.
Ähnlich konsequent war auch Winston Churchill. Der tägliche Mittagsschlaf war dem Politiker heilig. Sprach man ihn auf seine, von vielen als Schrulle abgetane Lebensart an, konterte er belehrend: „Zwischen Mittagessen und Abendessen muss man schlafen, und zwar ohne halbe Sachen. Ziehen Sie Ihre Kleider aus und legen Sie sich ins Bett. Denken Sie nur nicht, dass Sie weniger Arbeit schaffen, wenn Sie am Tag schlafen. Das ist eine dumme Idee von Leuten ohne Vorstellungsvermögen. Wetten, Sie werden nachher sogar mehr bewerkstelligen.“
In Ruhe schaffen
Wie man mit Muße sogar ein Vermögen verdienen kann, hat der Musiker John Lennon vorgezeigt. Er selbst hat sich immer als „Meister des Müßiggangs“ bezeichnet. Obwohl der Faulste unter den Beatles, war er dennoch der Produktivste. Autor Ulrich Schnabel erzählt im Buch „Muße: Vom Glück des Nichtstuns“ dazu folgende Geschichte: „Der Sänger hatte morgens geschlagene fünf Stunden versucht, einen Song zu schreiben, der gut war und Bedeutung hatte.“ Weil ihm das aber nicht gelingen wollte, ging Lennon einfach wieder ins Bett. Und wie so oft, wenn man gerade nichts tut, hatte er einen dieser genialen Geistesblitze. „Da kam Nowhere Man, Text, Musik und das ganze Ding“, erzählte Lennon. Später inszenierte er mit Gattin Yoko ein Friedensprojekt in Form sogenannter Bed-ins. Dazu legte sich das Paar von 10 bis 22 Uhr ins Bett und jeder, der zu Besuch kam, wurde mit friedvollen Slow-down-Gedanken empfangen. Nie wieder wurde Müßiggang so medienwirksam inszeniert. Es ist also ganz simpel: Let it be!
Wir leben in einer Zeit der Beschleunigung. Und der Erschöpfung. Natalia Ölsböck betont: „Umso wichtiger ist es deshalb, sich regelmäßig Auszeiten ohne Ziel zu nehmen. Wer das tut, ist weniger krank, hat mehr Widerstandskraft, um auch problematische Situationen im Leben zu meistern. Das spielt stark in die Resilienzforschung hinein. Am Ende sind solche Menschen stabiler und gelassener.“
In diesem Sinn: Handy aus, Tablet weg und raus ins Freie. In den blauen Himmel lassen sich die schönsten Löcher starren. Siegfried Lenz sprach in dem Zusammenhang sogar einmal von den „großen Augenblicken schöpferischer Faulheit“.
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