Würzig-Herzhaft: Umami in Suppenform

Besser als das Image: Wer hat Angst vor Glutamat?

Der negative Ruf lässt sich möglicherweise auf einen schlechten Scherz zurückführen – was dahinter steckt.

Es schmeckt halt einfach. Da kann das Glutamat über die Jahre noch so sehr in Verruf gekommen sein, im Essen ist es quasi unwiderstehlich. Der Grund: Es ist für den Umami-Geschmack verantwortlich. Neben süß, sauer, bitter und salzig ist dieser unser fünfter Geschmackssinn, und bezeichnet fleischig-würzig-herzhaftes. Als solcher definiert wurde der Geschmackssinn im Jahr 1909 vom japanischen Chemiker Kikunae Ikeda. Die Erkenntnis verdankte er der von seiner Frau zubereiteten Dashi-Brühe: Einem traditionell-japanischen, auf Seetangbasis hergestellten Sud. Als Geschmacksträger seines herzhaften Aromas identifizierte der Forscher schließlich Glutamat, das er aus einem Seetangextrakt isolierte. 

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Er ließ sich seine Entdeckung patentieren und begann bald mit der Massenproduktion von Mononatriumglutamat (MNG) - das Salz der Glutaminsäure. In dieser Form fand es rasant weltweite Verbreitung. Zwar schmeckt es alleine nicht nach sehr viel - gemeinsam mit anderen Aromen wirkt es aber geschmacksverstärkend und aktiviert die Umami-Rezeptoren auf unserer Zunge. Woher kommt nun der schlechte Ruf - und hat es diesen verdient? Jürgen König, Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften an der Uni Wien, hat darauf im Gespräch mit dem KURIER eine ganz klare Antwort: "Der schlechte Ruf ist unbegründet. Die ganzen Effekte, die da etwa im Internet kursieren, sind nicht einmal ansatzweise wissenschaftlich bestätigt." 

Am Anfang war ein Brief

Doch von Anfang an: Der Beginn der üblen Glutamat-Nachrede lässt sich zu einem Leserbrief aus dem Jahr 1968 im New England Journal of Medicine zurückverfolgen. Verfasst hatte ihn ein gewisser Robert Ho Man Kwok, Forscher an der National Biomedical Research Foundation in Maryland. Er gab an, immer an merkwürdigen Symptomen zu leiden, nachdem er in einem Chinarestaurant gegessen hatte: Eine in Arme und Rücken ausstrahlende Taubheit im Nacken, Herzrasen und ein Schwächegefühl. Nach etwa zwei Stunden wäre der Spuk zumeist vorbei. Als einen potentiellen Verursacher führte er MNG an, das den Speisen im Restaurant zugefügt wurde. Die Spekulation verbreitete sich schnell, bald berichteten auch Medien wie die New York Times über das sogenannte Chinese-Restaurant-Syndrome

Um dieses zu ergründen und einen möglichen Zusammenhang zwischen MNG und diversen Krankheiten, darunter Alzheimer, Parkinson oder Migräne, zu belegen, wurden über die Jahre zahlreiche Studien durchgeführt. "Die meisten waren aber entweder schlecht gemacht oder liefern widersprüchliche Ergebnisse", sagt König dazu. Darunter waren etwa nicht verblindete Studien, bei denen die Studienteilnehmer wussten, dass ihnen Glutamat vorgesetzt wurde - perfekte Voraussetzungen für den Nocebo-Effekt, bei dem man davon ausgeht, etwas Schädliches zu sich zu nehmen und sich dann auch dementsprechend fühlt. In anderen Studien wurden etwa Mäusen hohe Glutamat-Dosen direkt in den Bauch injiziert - was sich auch nicht wirklich auf den üblichen Glutamat-Einsatz in der Küche umlegen lässt.

Wissenschaftlich fundierte, doppel-blinde Studien konnten schließlich keinen Zusammenhang zwischen dem Geschmacksverstärker und den diversen, ihm zu Last gelegten Leiden nachweisen. Verschiedene Gesundheitsbehörden, darunter auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder die amerikanische Food and Drug Administration (FDA), haben MNG mit einer Tagesdosis von 30 mg pro Kilo Körpergewicht als unbedenklich eingestuft. 

Allergie?

Für die öffentliche Meinung kamen diese Korrekturen zu spät und fanden zu wenig öffentlichen Widerhall. Das kann auch Kevin Chao, Wiener mit taiwanesischen Wurzeln, bestätigen. Bereits seine Großeltern führten in Wien Chinarestaurants, eines davon übernahmen schließlich seine Eltern. Chao arbeitete jahrelang, auch während seines Studiums, im Familienbetrieb mit und bekam direkt die Auswirkungen der zunehmenden Vorbehalte mit. "Auch durch die damalige Berichterstattung in den Medien wurde Glutamat von vielen unserer Gäste als gesundheitsschädlich wahrgenommen. Ich habe oft gehört: ,Für mich bitte ohne Glutamat, ich bin allergisch" oder ähnliches. Hat es dann aber in den Speisen gefehlt und wurde nicht zum Abschmecken eingesetzt, haben sich die Gäste auch wieder beschwert ,Das hat ja keinen Geschmack.'"

Schließlich würden ja Österreicher, sagt Chao, nun einmal gerne salzig und deftig essen. Dass viele asiatische Restaurants heute gar nicht mehr darum herumkommen, auf ihrer Website oder Menükarten zu vermerken, dass glutamatfrei gekocht wird, bewertet er weniger als Qualitätsmerkmal sondern viel mehr als notwendige Marketingstrategie. Er hält das Thema für medial aufgebauscht. 

Körpereigen

Auch Jürgen König bewertet die öffentliche Abneigung eher als Trend: "Konsumenten achten eben immer auf den Zusatz ,frei von...'. Man muss ja auch bedenken, dass viele Lebensmittel auf natürliche Weise Glutamat enthalten." Immerhin sei die Glutaminsäure eine der am häufigsten vorkommenden Aminosäuren, die sich als Eiweißbaustein in so gut wie allen proteinhaltigen Nahrungsmitteln findet - und auch vom menschlichen Körper produziert wird: Es gehört z.B. auch zu den Bestandteilen der Muttermilch. Für den Menschen mache es, so der Experte, keinen Unterschied, ob das aufgenommene Glutamat aus natürlicher oder künstlich zugesetzter Quelle kommt. 

Mit anderen Worten: Wem es nach einem Teller "Acht Schätze" oder "Chop Suey" körperlich schlecht geht, der müsste nach dem Genuss von Pasta mit reichlich Parmesan, getrockneten Tomaten, gekochten Erdäpfeln oder Parma-Schinken an denselben Symptomen leiden. 

Rassismus

In den vergangenen Jahren kam es zu einem differenzierteren Blick auf das Glutamat. Dass sich der schlechte Ruf dermaßen hartnäckig halten konnte, hängt, so Kritiker und Aktivisten, auch mit nach wie vor gängigen anti-asiatischen Vorurteilen zusammen. Sogar Starköche schlagen mittlerweile eine Bresche für den Geschmacksverstärker. Darunter etwa Heston Blumenthal, Inhaber des mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants „The Fat Duck“ bezeichnet "das Märchen, dass Glutamat schlecht für dich ist" als "kompletten Blödsinn". Anthony Bourdain ging in einer Folge seiner beliebten Kulinarik-Dokuserie "Parts Unknown" noch einen Schritt weiter: "Was das China-Restaurant-Syndrom auslöst? Es ist Rassismus." 

Will man dennoch auf zugesetzten Geschmacksverstärker verzichten, muss man als Konsument das Kleingedruckte lesen - und richtig zu interpretieren wissen. Man erkennt Glutamat auf den Inhaltslisten an den E-Nummern 620 bis 625. "Manche Firmen gehen aber einen Umweg, indem sie zwar kein Glutamat zusetzen - aber glutamathaltige Lebensmittel", erklärt König. Beliebt ist hier der Hefeextrakt, der hohe Glutamatwerte aufweist. "Rechtlich ist es dann in Ordnung anzugeben, etwas sei frei von Glutamat obwohl eigentlich der Gehalt sehr groß ist."

Zurück zum Absender

Die Lesebrief-Geschichte, mit der die Vorbehalte ihren Anfang nahmen, fand schließlich ein skuriles Ende. 50 Jahre, nachdem der Brief abgedruckt wurde, gab Howard Steel, ein amerikanischer Chirurg, zu, der Verfasser des Briefes zu sein: Sowohl Dr. Kwok als auch seine Arbeitsstätte in Maryland seien erfunden. Eine Wette unter Kollegen, dass er es sicher nicht schaffen würde, in dem Fachmagazin publiziert zu werden, verleitete ihn zu dem Streich. Der Inhalt des Briefes: Pure Fiktion. Doch auch an dieser Geschichte gibt es Zweifel, denn es gibt, stellte sich heraus, die Forschungsstätte in Maryland - und dort arbeitete zur fraglichen Zeit ein gewisser Dr. Kwok. Beide potenzielle Verfasser des Briefes sind mittlerweile verstorben. Wer nun der Absender war, wird sich nicht mehr abschließend klären lassen. Eines jedenfalls hat sich seither geklärt: Für eine Glutamat-Unverträglichkeit gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg. 

Anya Antonius

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