Geschichte des "French 75": Prickelnde Durchschlagskraft

Was haben eine französische Kanone, die amerikanische Prohibition und ein ewiger Kult-Film mit einem Cocktail gemeinsam? Die spannende Geschichte des "French 75".

Ausgetrunken

In diesem Format beleuchtet die freizeit die Historie diverser Drinks und wirft einen Blick auf deren kulturelle Bedeutung.

Er ist einer der legendärsten Drinks der Cocktail-Geschichte, der Inbegriff der "Roaring 20s", als Alkohol in den USA zwar verboten war, aber man in Speakeasy-Bars fröhlich auf dieses Verbot pfiff, und man in Berlin ekstatisch am Rand des Vulkans tanzte. Und ja, er ist natürlich der Drink aus dem Kult-Streifen schlechthin: Casablanca. In Richard „Rick“ Blaines „Café Américain“ wird er gern und viel getrunken, der "French 75".

Oft wird seine "Erfindung" dem berühmten schottischen Barkeeper Harry MacElhone zugeschrieben, Chef der Harry's Bar in Paris, wo Ernest Hemingway, Scott und Zelda Fitzgerald gern einkehrten. MacElhone war zumindest der erste, der einen Cocktail namens "75" in einem Buch erwähnte, nämlich seinem 1922 erschienenen "Harry's ABC of Mixing Cocktails", einer Art Bibel für Mixologen, auch heute noch.

Der Drink war damals allerdings schon einige Jahre älter, seine Entstehung hat, genau wie der Name, direkt mit dem Ersten Weltkrieg zu tun.

Wahrscheinlich war es der französische Barkeeper Henry Tepe aus der nicht ganz so bekannten "Henry's Bar" in Paris, der als erster einen Cocktail "75" genannt hat. Und zwar in den Jahren 1914 oder 1915. Er bezog sich dabei auf die durchschlagskräftige und schnell feuernde Kanone, mit der der Vormarsch der Deutschen gestoppt werden sollte. Entsprechend bezeichnete der britische Schriftsteller Alec Waugh, der selbst am Kriegsgeschehen teilnahm, als "stärksten Drink der Welt".

Wer allerdings einen "75" nach Original-Rezept trinkt, würde ihn wohl kaum erkennen. Dry Gin, Weinbrand, Grenadine und Zitronensaft waren damals die Ingredienzien. Wirklich ganz schön heftig, da hatte Mister Waugh durchaus recht. Aber wir erinnern uns, es ging um "Durchschlagskraft".

In den frühen 1920ern ließ man dann den Cognac weg und servierte ihn folgendermaßen: Dry Gin, Calvados und Zitronensaft. Auch nicht ohne. Der oben bereits erwähnte Harry MacElhone setzte da noch einen drauf und tauschte den Zitronensaft gegen Absinth aus. Das wird Ernest und seine Trinkkumpane durchaus gefreut haben, möchte man meinen.

 

Sein modernes Gesicht erhielt der "75" schließlich 1927, als sich Norman Anthony, ein amerikanischer Cartoonist und Illustrator, mitten in der Prohibitionszeit einen unglaublichen Streich erlaubte: Er brachte mit "Here's How" ein Buch der beliebtesten Cocktails der Roaring Twenties heraus. Und voila!, da ist dann schließlich der Champagner im "75", der nun endlich auch "French" heißt, weil wenn damals etwas aus Frankreich kam, dann hatte es Chic. So konnte der Cocktail durchstarten wie kaum ein anderer, er war einer der Signature-Drinks im berühmten New Yorker Stork Club, und spielte nicht nur in Casablanca, sondern auch in Filmen des Über-Machos John Wayne ("A Man Betrayed" 1941, "Jet Pilot" 1957) eine prickelnde Rolle. Und die britische Erfolgsserie "Mr. Selfridge", die uns so charmant ins London der 1910er und 20er zurückführt, wäre ohne ihn praktisch nicht denkbar.

 

Gin, Champagner, Zitronensaft. So einfach war der "French 75" damals - und so einfach ist er heute noch. Weil gute Dinge nicht unbedingt kompliziert sein müssen. Welchen Gin man dafür nimmt, einen sanften Tanqueray oder vielleicht einen etwas wacholderbissigeren Hepple, das bleibt jedem selbst überlassen. Wichtig war und ist die Balance aus Süße und Säure, der Kraft des Gins und des Champagners zu finden. Dafür gilt als grobe Richtlinie ein Verhältnis von 4:2:1, also vier Teile Sprudel, zwei Teile Gin und je ein Teil Zitrone und Zuckersirup (oder extrafeiner Zucker, wie von Anthony empfohlen).

Und ja, natürlich funktioniert der Cocktail auch mit Prosecco, Cava oder Sekt.

In diesem Sinne: Prost!

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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