Backe, backe ohne Grenzen: Wie die perfekte Illusion gelingt

Sie sind Bäcker, Chocolatiers, Künstler und mittlerweile auch Ingenieure. Patisserie ist hipp geworden und stellt Grenzen in Frage. Von Nicola Afchar-Negad

Was der Niederösterreicher Matthias Krenn auf Instagram postet, ist große Kuchen-Kunst. Essbares Stillleben, das in jeder Galerie stehen könnte. Hier konstruiert, da dekonstruiert, meist streng geometrisch, gerne gewollt asymmetrisch und immerzu charmant. "Stilpluralismus" nennt das der studierte Bildhauer.

Krenn erinnert sich, wie alles begann: "Ich habe von klein auf Töpferkurse besucht – ich musste immer in die für Erwachsene, um die Kinder nicht zu frustrieren", lacht er. Der Konditormeister hat sich für einen ungewöhnlichen Werdegang entschieden – für einen kontrastreichen.

Nach der Töpferdrehscheibe folgte die HTL, dann das Bildhauerei- und Multimedia-Art-Studium in Wien – bei Professor Erwin Wurm. Erst mit knapp 30 kam der richtige "Move", wie er sagt. Er legte die Konditoren-Prüfung ab und übernahm ein Geschäftslokal in seiner niederösterreichischen Heimat. Zwei Welten kollidierten fortan miteinander: Bildhauerei und Patisserie. Und das sieht man. Zum einen auf den Seiten des Ende 2022 erschienenen Buchs "Dramatic Cake" und eben auf Social Media.

Krenn spricht davon, dass sein Beruf viel mit Planung, Statik und Illusionen zu tun habe. Er verwende gerne "formstabile Massen, wie Sacher-, Nuss- und Biskuittorte". Die Backwerke sind sehr österreichisch – im besten aller Sinne. "Österreichs Ausbildungsstätten gehören weltweit zu den besten für Süßspeisen. Nirgends kann man die Konditorkunst besser erlernen. Ein gutes Fundament eröffnet einem erst die unendlichen Möglichkeiten, die dieses Berufsfeld bietet."

Krenn weiß: "Patisserie ist hipp geworden." Auch alltagstaugliche Rezeptklassiker könne man variieren und für einen "Magic Moment" sorgen. Beispiel: Seine hauchzarten Cremeschnitten für Papa – zu finden auf Instagram. Oder seine Buchteln Deluxe – verewigt in "Dramatic Cake". Alles, nur nicht langweilig. Alles wie gemeißelt.

Besondere Back-Kreation

©bernhard bergmann

Magic Moments: Matthias Krenn (l.) und Michael Leiter, Autoren des Buchs
„Dramatic Cake“, denken Klassiker neu

©bernhard bergmann

Meringue und Raumfähren

Krenn steht für Cake Art, internationale Kollegen mixen gerne noch ein bisschen Technik mit in die Rezepte. Beispiel Amaury Guichon, Host der Netflix-Show "School of Chocolate". "Er ist ein Schokoladen Genie! Jedes seiner Videos geht viral!" So – und durchaus noch euphorischer – schallen einem die Huldigungen der Teilnehmer entgegen. Es gehe um die "perfekte Illusion", wurde Guichon nicht müde zu betonen. Stifte – ganz aus Schokolade –, die schreiben können. Ein maßstabgetreuer Pterodaktylus, bei dessen Präsentation er verspricht: "keine Tricks, keine Drähte, kein Holz."

Ja, der Dinosaurier ist aus Schokolade – und zwar komplett. „Aber wie?“, fragen die Schüler, allesamt selbst Profis, ehrfürchtig. Nicht anders ergeht es Guichons 11,5 Millionen Followern auf Instagram. Ob hyperrealistische Glocke, Tischfußballtisch oder Roboterarm. Der Franzose kreiert Unglaubliches – immer mit einem Dauerlächeln im Gesicht, schwarzen Handschuhen und einem stets reinweißen Patisserie-Hemd. Très chic und très genial. Einer seiner Follower bezeichnet ihn als Chocolineer – also ein Kunstwort aus Chocolatier und Ingenieur. Und das wiederum erinnert stark an seinen Kollegen aus Großbritannien, Andrew Smyth.

Die Backshow eines Ingenieurs

Auch Smyth hat eine Show auf Netflix. "Baking Impossible", ein Format, bei dem es ums Bakineering geht. Dazu muss man wissen: Der Mann ist eigentlich Ingenieur für Luft- und Raumfahrt und wurde 2016 bei der Show "The Great British Bake Off" Zweiter. Nur so als Referenz: Diese Sendung war damals das meistgesehene Programm in Großbritannien!

Smyth selbst war ein Anfänger, der mit von Da Vinci inspirierten „mechanischen Pies“ und dergleichen für Staunen sorgte. „Das bringt mich meinem Traum nach einem essbaren Auto ein Stück näher“, jubelte eine der Jurorinnen – nicht wissend, dass Smyth in seiner eigenen Backshow genau damit seine Schützlinge herausfordern würde. Der Querdenker war 2016 gerade mal 25 Jahre alt, als er zwei Disziplinen verschmolz, die auf den ersten Blick konträrer nicht sein könnten. Und genau das empfiehlt er in einem TED-Talk auch jedem von uns. „Die Welt dreht sich sehr schnell, und multidisziplinäres Denkvermögen ist der Schlüssel für Innovation.“

 

Besondere Back-Kreation

©Matthias Krenn

Kurz nach dem Finale von "The Great British Bake Off" (seiner "Feuertaufe", wie er sagt) schuf Smyth den Begriff Bakineering. "Bei der Vorbereitung eines Vortrags über Raumfahrttechnik realisierte ich, dass ich durch Back-Analogien das Ingenieurwesen erklären kann." In Videos zeigt er Parallelen von Karamell und Beton auf – oder von Meringue und Raumfähren. "Ähnlich wie in der Technik geht beim Backen der erste Versuch oft schief", lacht Smyth. "Wir feiern die Fehler als einen wichtigen Teil des Prozesses."

Planung, Statik, Illusion: Skulptural angehauchte Kreationen von Matthias Krenn, die man unbedingt auch essen sollte.

©bernhard bergmann

Sein Rat für Amateur-Bakineers: "Zuerst immer über die Struktur nachdenken – und darüber, wie das Gewicht verteilt ist. Man muss wissen, was man der Basis zumuten kann, ohne dass das Konstrukt zusammenbricht. Also: Entscheiden Sie sich, an welcher Stelle die Torte am stabilsten sein muss, und dann lassen Sie der Kreativität freien Lauf!"

Smyth, der über ein neues Netflix-Format verhandelt und mit Vorliebe mit Mikro in der Hand tourt, hätte auch Interesse an einem Bakineering-Buch. "Aber die Verlage fragen mich, in welchem Regal das Buch stehen solle, Technik oder Backen?" Am besten in beiden.

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