Österreichischer Vorlesetag

Vorlesen schenkt Vertrauen und Nähe

Am 23. März wird wieder österreichweit vorgelesen. Mitmachen kann jeder. Dazu braucht es nicht viel – ein Buch, eine Zeitung, eine Geschichte.

Am Donnerstag (23. März) liest ganz Österreich. Oder besser gesagt: Ganz Österreich lässt sich vorlesen – in Schulen, Bibliotheken, Seniorenhäusern, Kaffeehäusern und sogar in der Therme Oberlaa. Dort liest zum Beispiel Michael Schottenberg ab 14.30 Uhr aus seinen Reiseromanen. Das ist aber nur eine von vielen Veranstaltungen, die im Rahmen des Österreichischen Vorlesetags stattfinden werden. Sie sollen nicht nur unterhalten, sondern auch den Fokus auf das Thema richten. Denn Vorlesen vermittelt Wissen – und verbindet: „Es schenkt eine vertraute Stimme, Nähe und wohlwollende Blicke“, sagt Reinhard Ehgartner.

Der Geschäftsführer des Österreichischen Bibliothekswerks und Initiator des Projekts „Buchstart“ lässt im KURIER-Gespräch keine Zweifel offen: Lesen kann man überall. Vorlesen auch. Was zählt, ist die gemeinsame Zeit.

KURIER: Vorlesen ist wichtig. Das ist unbestritten. Warum muss man das trotzdem immer wieder betonen?

Reinhard Ehgartner: Dass das Vorlesen wichtig ist, hat im Zuge der PISA-Debatten noch einmal einen großen Auftrieb bekommen, weil man in der Analyse der Ergebnisse erkannt hat, wie stark Lernprozesse von sozialen Komponenten bestimmt sind. Im Augenblick, wo man beisammen ist, jemanden etwas vorliest, zeigt man auch Zuwendung. Dabei passiert etwas, was durch technische Hilfsmittel nicht leistbar ist. Mittlerweile gibt es auch viele Studien, die die positiven Auswirkungen des Vorlesens belegen. Was wir Kindern im frühen Alter mitgeben, das geht nicht mehr verloren. Einem 10-Jährigen zu sagen, er soll mehr lesen, wird eingeschränkt erfolgreich sein.

Sollte man die Gute-Nacht-Geschichte zum täglichen Ritual machen?

Ja, so ein Ritual ist der beste Weg. Dafür eignet sich der Abend in ganz besonderer Weise. Da kann man gemeinsam den Tag mit einer Geschichte ruhig zu Ende gehen lassen. Dafür braucht es auch nicht wahnsinnig viel Zeit. Zehn bis 15 Minuten sind ausreichend.

Beim Vorlesen geht es vor allem auch um die gemeinsame Zeit. 

©Getty Images/iStockphoto/vadimguzhva/istockphoto

Viele drücken dem Kind stattdessen das Smartphone in die Hand. Auch eine Lösung, oder?

Natürlich, das kommt ganz stark auf die eigenen Vorlieben drauf an. Kinder schauen dorthin, wo Erwachsene hinschauen. Wenn Eltern ständig das Smartphone in der Hand halten, dürfen sie sich nicht wundern, wenn die Kinder das auch machen. Wenn Eltern stattdessen ein Buch zur Hand nehmen, sich zum Lesen zurückziehen, Ruhe einkehrt, dann wird das auch für Kinder interessant. Wir merken, dass auch bei den Buchstart-Veranstaltungen, bei denen die Eltern dann sehen, wie einfach man die Aufmerksamkeit auf ein Buch und eine Geschichte lenken kann. Man könnte sagen, das Projekt Buchstart ist zu einem hohen Prozentsatz auch Elternbildung. Hier holen Erwachsene manchmal nach, was ihnen in der eigenen Kindheit gefehlt hat, denn es stimmt nicht, dass früher viel mehr vorgelesen wurde.

Man hört immer wieder, dass viele Erwachsene nicht mehr richtig lesen und schreiben können. Was ist da dran?

Wir müssen davon ausgehen, dass es hierzulande nahezu 20 Prozent funktionale Analphabeten gibt. Das heißt, sie können Worte bilden. Wenn man aber nachfragt, was sie gerade gelesen haben, verschwimmt das wieder, weil das Textverständnis fehlt.

Welche Bücher eigenen sich am besten zum Vorlesen?

Es ist fast jedes Buch, jede Zeitung, jedes Plakat, das einem im Alltag begegnet, geeignet, soweit es bei Kindern auf Interesse stößt. Ich kenne eine Kollegin aus Deutschland, deren Sohn im Alter von fünf Jahren immer ein Pilz-Buch ansehen wollte. So oft, bis er die lateinischen Namen der Pilze auswendig wusste. Zwei Jahrzehnte später wurde er Arzt (lacht).

Kann man beim Vorlesen eigentlich etwas falsch machen?

Ja, indem man es nicht macht.

Reinhard Ehgartner ist Geschäftsführer des Österreichischen Bibliothekswerks und Initiator des Projekts „Buchstart“.

©Clara Ehgartner

Mit dem Projekt „Buchstart Österreich“ wird hierzulande das frühe Vorlesen gefördert. Die Initiative gibt es nun seit zwölf Jahren. Wie läuft es?

Mittlerweile wird das Projekt mit viel Begeisterung mitgetragen – von Bibliotheken, Bundesländern und dem Bund. Klar, der Aufwind könnte noch stärker sein, aber die Richtung ist ausgesprochen positiv. Man muss sich vorstellen, dass man noch vor 15 Jahren gegenüber Kleinkindern in der Bibliothek sehr reserviert war, weil man Angst hatte, dass sie etwas anstellen, die Ruhe stören könnten. Jetzt kann man sich die kleinen Kinder aus der Bibliothek nicht mehr wegdenken.

Wie zufrieden Sie mit dem Bibliotheken-Angebot?

Es gibt große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Vorarlberg und Salzburg waren immer schon gut aufgestellt. Erfreulich ist, dass Bundesländer wie Kärnten, Steiermark, Burgenland und Niederösterreich in den letzten Jahren stark aufgeholt haben.

Die gestiegenen Papierpreise und Kosten zwingen Verlage in die Knie. Geht es ohne Förderung nicht mehr?

Förderung wird man immer wieder brauchen. Wobei der Preis ist dann die große Ausrede dafür ist, wenn man keine Freude damit hat und die Zeit ist dann die große Ausrede, wenn man keine Freude damit hat. Wer sich für Fußball interessiert, wird Zeit für Fußball finden. Wer sich für Bücher interessiert, wird Zeit zum Lesen haben. Wir sollten nicht eingestiegen in diesen Wettlauf: Wer macht es noch billiger?  Wir setzen beim Buchstart auf Qualität, lassen die Bücher dann auch nicht in Asien drucken, wie das andere längst machen. Ab dem Zeitpunkt, wo man sieht, wie Kinder auf diese großartig gemachten Bücher reagieren, merkt man auch, dass die 6,90 Euro nicht viel Geld sind, auch wenn ich es woanders vielleicht um 1,90 Euro bekomme. Ein Buch ist ja auch etwas, das einen im besten Fall länger begleitet. Es geht um Wertvermittlung, wir müssen die Wegwerf-Gesellschaft beenden.

Themenwechsel: Immer mehr Kinderbücher, darunter Klassiker wie "Pippi Langstrumpf", "Kleine Hexe" werden politisch korrekt umgeschrieben. Zuletzt wurden die Bücher Roald Dahls „sprachlich angepasst”, wie es heißt. Wie sehen Sie das?

Es macht mich unrund wie andere auch. Die Diskussionen darüber sind zwar zu führen, aber man sollte diesem Thema gelassen und konstruktiv begegnen. Wenn wir jetzt damit anfangen, dass wir alles rausstreichen, was nicht mehr zeitgemäß ist, dann streichen wir auch unsere kulturelle Identität. Wir sind in einem sich ständig ändernden kulturellen Prozess. Sprachkultur heißt auch zu wissen, wo ein Wort herkommt und wie es einst verwendet wurde. Und ich erwarte mir, dass in diesem Zusammenhang auch immer das ganze Werk eines Künstlers mitgedacht wird. Wenn man nun also Wörter aus Büchern Roald Dahl streicht, sollte man auch immer das Weltbild mitdenken, dass der Autor in seinen Büchern vertritt. Klar, wir brauchen diese Auseinandersetzung. Aber es wird nur schwer möglich sein, gewissen allgemeingültige Regeln niederzuschreiben. Es ist immer ein Ringen, was jetzt richtig oder falsch ist. Und jedes Wort kann in gewissen Kontexten ja anders verstanden werden, ist es ironisch, böse, verletzend und so weiter gemeint.

Alle Infos zum Vorlesetag am Donnerstag (23. März) und wie Sie mitmachen können, finden Sie hier: www.vorlesetag.eu

Marco Weise

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