Liest das jemand? Weniger Buchkäufer, mehr junge Leser wegen TikTok

Beim langjährigen Sorgenkind, den jungen Lesern, gibt es eine unerwartete Kehrtwende. Aber obwohl der Umsatz steigt, kaufen immer weniger Menschen Bücher.

Die Wehklage gibt es, seit es Eltern, Kinder und Bücher gibt: Die Jungen, sie lesen nichts mehr.

Der Trend sagt anderes.

Über einen doch eher skurrilen Umweg hat sich zuletzt bei einem Teil der jungen Menschen das Interesse am Buch vervielfacht. Der Weg zum Lesen führt dabei über eine Videoplattform, die auch gerne als Beispiel für die angeblich drohende Gefahr des Analphabetisierung (vulgo „Verblödung“) herangezogen wird.

Dort, auf TikTok nämlich, gibt es Influencer, die Bücher besprechen. Das ist zwar nicht das Literarische Quartett, aber hat so viel Einfluss auf die jungen Menschen, dass Buchhandlungen – so erzählt es eine Buchhändlerin dem KURIER – eigene Tische für die TikToker auflegen, mit jenen Büchern, die gerade die Runde machen. Und zwar – durchaus auch ein Bildungsziel der Eltern! – oftmals in Originalsprache. In Deutschland gaben die 10- bis 19-Jährigen 2021 um ein Viertel mehr Geld für Bücher aus als im Vor-Coronajahr 2019 – trotz Netflix, Games und Handy.

Weniger Käufer

Trotzdem blickt der Buchhandel auf ein turbulentes Jahr zurück – und in eine ebenso turbulente Zukunft. Man hatte in Österreich zuletzt ein schönes Umsatzplus vor allem im stationären Handel zu vermelden – wenn auch im Vergleich mit den schwierigen Pandemiejahren (Reiseführer lagen im April gegenüber 2021 um satte 126 Prozent, gegenüber dem Pandemiestart 2020 um 760 Prozent höher).

Aus Deutschland aber gibt es genauere Zahlen – die beim Umsatz ein ähnliches (ein Plus), insgesamt aber ein deutlich anderes Bild zeichnen.

Denn ein beunruhigender Trend am Buchmarkt, der wohl auf Österreich umgelegt werden kann, hat unvermindert angehalten: Auch wenn der Umsatz steigt, kaufen immer weniger Menschen Bücher.

5 Prozent weniger Buchkäufer gab es 2021 in Deutschland – das sind 1,4 Millionen Menschen weniger. 27 Millionen kauften zumindest ein Buch. In einem Jahrzehnt gingen ein Viertel der Menschen bzw. 10 Millionen Buchkäufer verloren: Vor zehn Jahren gab es noch 37 Millionen Buchkäufer.

Dass der Umsatz dadurch nicht ins Minus dreht, liegt nicht so sehr an den Preisen (die stiegen 2020 bis 2022 um 3,4 Prozent). Sondern auch daran, dass viele stationäre Buchhandlungen auch anderes verkaufen als Literatur (Schulbücher, Papierwaren, Spiele), an teuren Bildbänden, die sich gerne verschenken lassen, und wohl auch daran, dass die Menschen, die noch Bücher kaufen, mehr davon kaufen.

Hohe Kosten

Bis jetzt. Denn nun steht man vor einem herausfordernden Winter. Die hohen Papier- und Energiepreise setzen die Preisstruktur im Buchhandel ebenso unter Druck wie das Geschäftsmodell der Branche. Die Buchproduktion wird empfindlich teurer; wie weit diese Preise an die Kunden weitergegeben werden können, ohne diese – selbst schon finanziell stark unter Druck geraten – vom Kauf abzuhalten, ist offen. Das ist eine besonders große Frage im bevorstehenden, für den Handel überlebenswichtigen Weihnachtsgeschäft (ja, das ist gar nicht so weit weg).

Auch ändert sich die Rechnung im verlegerischen Risiko: Immer mehr Käufer greifen zu den Bestsellern – der Markt konzentriert sich, wie etwa auch der Kinomarkt, auf die erfolgreichen Titel. Riskante Bücher – Veröffentlichungen junger Autoren oder zu umstrittenen Themen – sind schwieriger zu finanzieren, was auch die Entwicklung künftiger Bestsellerautorinnen verhindert.

Und ein Problem bleibt Amazon. Nicht nur, weil der Onlineriese immer noch das Internetbuchgeschäft dominiert. Sondern auch, weil er den Verlagen Tausende von ihm bestellte, aber unverkaufte Exemplare (so genannte Remissionen) zurückschickt, wie Der Freitag berichtete. Einzelne Verlage bleiben demnach hier auf Werten bis zu einem Drittel ihres Jahresumsatzes sitzen.

Was das alles bewirken wird? Im April 2023 gibt es eine gute Gelegenheit, zurückzublicken. Da ist Österreich Gastland bei der Leipziger Buchmesse.

Georg Leyrer

Über Georg Leyrer

Seit 2015 Ressortleiter Kultur und Medien, seit 2010 beim KURIER, seit 2001 Kulturjournalist. Zuständig für alles, nichts und die Themen dazwischen: von Kunst über Musik bis hin zur Kulturpolitik. Motto: Das Interessanteste an Kultur ist, wie sie sich verändert.

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