Warum es wegen Shakespeare zu viele Stare in den USA gibt

Vögel symbolisieren den Frühling. Die Tiere faszinieren die Menschen schon lange. Sie inspirierten die Kunst und prägten unzählige Redewendungen. Eine kleine Kulturgeschichte.

"Ja, einen Star schaff' ich mir an, der nichts soll lernen zu schrein, als „Mortimer“. Es war dieser Satz in der dritten Szene in William Shakespeares Heinrich IV., der dazu führte, dass der Vogel in New York zur Plage wurde.

Der exzentrische Apotheker Eugene Schieffelin war ein großer Anhänger des englischen Dramatikers. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, alle Vogelarten nach Nordamerika zu bringen, die der Dichter in seinen Werken erwähnt hatte. Ein ambitioniertes Unterfangen: 600 Arten kommen vor. Rund 100 Stare schaffte er sich an, importierte sie und ließ diese ab 1890 im New Yorker Central Park frei.

Mehr als 130 Jahre später sieht die Sache so aus: Bis zu 200 Millionen der invasiven Art fliegen in den USA herum und fressen in kürzester Zeit ganze Felder leer. Gut, dass weder Nachtigall noch Lerche Ähnliches angerichtet haben – sonst hätten Romeo und Julia („Der Tag ist ja noch fern“) in den USA unter Umständen ein Problem.

Der Star aus landwirtschaftlicher Sicht und die alles verdreckenden Tauben in der Stadt einmal ausgenommen, erfreuen Vögel Menschen seit Ewigkeiten. Besonders, wenn sie – wie jetzt – den beginnenden Frühling mit ihrem Zwitschern begleiten und mit dem Nestbau für Aufbruchstimmung sorgen. Shakespeare ist bei Weitem nicht der einzige Dichter, bei dem die gefiederten Tiere vorkommen.

Vögel und die Liebesnacht

Walther von der Vogelweide baute auch im Lied aller Liebeslieder ein herrlich singendes Tier ein. „Under der linden/an der heide/dâ unser zweier bette was, ... tandaradei/ schône sanc diu nahtegal“, heißt es da von einer netten Begebenheit. Mediävisten schimpften früher, der Dichter habe hier den Weg der „hohen Minne“ verlassen und sich der „niederen Minne“ zugewandt. Nicht mehr die Sehnsucht und unschuldiges Werben des Sängers stehe im Vordergrund, sondern Freizügigkeit und Erinnerung an den Liebesakt.

Dabei handelt es sich hier um eine literarische Revolution: Nicht mehr der Sänger, sondern ein Mädchen berichtet vom Geschehen unterm Baum. Das Lied endet mit den herzigen übersetzten Zeilen: „Was er mit mir tat, das soll nie jemand erfahren, außer er und ich und ein kleines Vöglein, tandaradei, das kann wohl verschwiegen sein.“

Voraussagender Traum

Walther von der Vogelweide wird immer wieder als möglicher Verfasser des Nibelungenlieds genannt. Ob er es wirklich war, ist unklar. Klar ist aber, dass auch hier Vögel eine zentrale Rolle einnehmen. Das Nibelungenlied etwa beginnt mit einem Traum Kriemhilds: Sie zieht einen Falken auf, den zwei Adler zerfleischen. Ihre Mutter deutet den Traum. Der Falke stehe für einen edlen Mann, den die Tochter früh verliert, wenn Gott ihn nicht beschütze. Die Mutter soll, wie wir wissen, recht behalten.

Das Nibelungenlied (hier das Nibelungen Festival in Worms 2019) beginnt mit einem Traum über Vögel.

©EPA/RONALD WITTEK

Eine der bekanntesten Erzählungen aus der Renaissance-Novellensammlung „Il Decamerone“ beschäftigt sich auch intensiv mit einem Falken. Ein liebeskranker, verarmter Edelmann setzt seiner angebeteten Witwe einen Falken zum Essen vor. Sie hätte das Tier aber eigentlich gebraucht. Ihr sterbenskranker Sohn glaubte, die Gesellschaft des Tiers würde ihn heilen. Der Sohn stirbt, die Dame erbt dessen Vermögen. Sie heiratet den armen Mann, der bereit war, seinen wertvollsten Besitz zu opfern. Die Literaturwissenschaft bezeichnet daher Gegenstände, Tiere oder Pflanzen, die als symbolisches Leitmotiv in einem Werk vorkommen, als Falkenmotiv.

Vögel zieren nicht nur Texte, sie sind mit ihrem oft bunten Federkleid auch schön anzusehen, ihr Gesang erfreut das Herz – und sie schmecken meist auch nicht schlecht. Daher gab es seit dem Mittelalter Vogelfänger, die den Tieren aus ebendiesen Gründen eine Falle stellten. „Auf den Leim gehen“ verweist auf eine weit verbreitete Fangmethode. Jemanden „umgarnen“ stammt ebenfalls von Praktiken der Zunft. Gut möglich, dass auch Walther von der Vogelweide damit vertraut war – zumindest sein Name deutet auf ein gewisses Naheverhältnis hin.

Ein wirklich verbriefter Vogelfänger der Kunstwelt ist Papageno aus der Zauberflöte, der auch Mädchen mit einem Netz einfangen will. „Die Gestalt des Vogelhändlers war dem städtischen Publikum im 18. Jahrhundert wohl vertraut. Es gehörte zur Mode, sich einen Singvogel zu halten. Neben den heimischen Singvögeln waren besonders Kanarienvögel aus dem Harz beliebt. Auch die Familie Mozart hielt einen Kanarienvogel“, heißt es in der Beschreibung der Ausstellung „Papageno backstage“ im Volkskundemuseum, die im Jahr 2006 „Perspektiven auf Vögel und Menschen“ bot.

Die Zauberflöte im Jahr 2020 in der Wiener Volksoper

©VOLKSOPER WIEN/BARBARA PÁLFFY

Turteln wie die TaubenDass Tier und Mensch ein Naheverhältnis hatten, zeigen heute noch Redewendungen: Verliebte „turteln wie die Tauben“ und die „Spatzen pfeifen es von den Dächern“. Nicht immer war die Begegnung erfreulich für Menschen – der Galgenvogel, der heute abwertend für einen Opportunisten steht, war meist ein Rabe, der sich in der Nähe von gehenkten Menschen aufhielt. Der Aasfresser labte sich am Fleisch der Leichen.

Geflügelte Worte haben interessanter- und passenderweise sehr oft mit Vögeln zu tun. Dass der frühe Vogel den Wurm fangen soll, ist eine Weisheit, die nicht unbedingt stimmen muss. Eine Zeitungsente stimmt auf keinen Fall. Wer einen Vogel hat, bei dem piepst es wohl – Letzteres aber mehr bei unseren deutschen Nachbarn. Woher das alles kommt? Weiß der Geier. Auf jeden Fall ist das bei Weitem nicht alles. Mein lieber Schwan!

Frei wie ein Vogel sein wäre noch so eine Phrase. Den Wunsch, es den Tieren gleichzutun, hat die Menschheit schon lange. 2.000 v. Chr. setzten sumerische Künstler Menschen auf einen Adler. In der griechischen Mythologie bauen sich Ikarus und sein Vater Dädalus Flügel aus Federn und Wachs zusammen. Ikarus wird übermütig, fliegt zu nahe an die Sonne heran. Das Wachs schmilzt, er stürzt ab und wird berühmt. Seinen Vater, der den Flug überlebte, kennen die wenigsten.

Der Traum vom Fliegen

Leonardo da Vinci entwarf Fluggeräte und träumte davon, dass der Mensch eines Tages mit den Apparaturen zu einem „großen Vogel“ verschmelze. „Daß wir uns die Vögel zum Muster nehmen müssen, wenn wir danach streben, die das Fliegen erleichternden Prinzipien zu entdecken, und demzufolge das aktive Fliegen für den Menschen zu erfinden, dieses geht aus den bisher angeführten Versuchsresultaten eigentlich ohne weiteres hervor“, schrieb Otto Lilienthal in seiner Abhandlung „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ aus dem Jahr 1889. Auch wenn das für ihn tödlich ausging, die Grundlagen für die Luftfahrt hat er geschaffen.

So wie bei dieser Ausstellung 2018 in Athen gezeigt, stellte sich Leonardo Da Vinci seine Flugapparate vor

©EPA/SIMELA PANTZARTZI

Im Jahr 2023 hat Fliegen im Flugzeug doch einiges von seiner Faszination verloren. Die der Vögel ist allerdings geblieben. Birding ist seit einigen Jahren mächtig im Kommen. Das ist eigentlich nichts anders als Vogerl schauen, hat nur einen hipperen Namen bekommen.

Verband man mit dem stundenlangen Naturbeobachten früher eher kauzige alte Männer mit Hut, halten heute auch viele Junge nach Tieren mit buntem Gefieder Ausschau. Vor allem die Corona-Pandemie hat die Gemeinschaft der Hobby-Ornithologen anwachsen lassen. Einerseits ist das Schauen wirklich meditativ, andererseits standen die Tiere wohl symbolisch für eine Freiheit, die lange fehlte. Und recht viel mehr als ein Fernglas und ein Nachschlagewerk für die unterschiedlichen Arten braucht es fürs Birding auch gar nicht.

Menschen, die Vögel beobachten. Während der Corona-Pandemie in New York.

©APA/AFP/KENA BETANCUR

Die Organisation Birdlife ruft regelmäßig zur Vogelzählung auf. Die Beobachtungen der Freiwilligen helfen Wissenschaftern, mehr über den Lebensraum der Vögel, ihr Verhalten und auch Schwankungen in der Population herauszufinden. Nicht um alle Arten ist es gut bestellt. Gerne wird ein anderes Lieblingstier des Menschen dafür verantwortlich gemacht: die gemeine Hauskatze auf Freigang. Dabei wird aber darauf vergessen, dass diese für die Vogelpopulation keine Gefahr darstellen würden, wenn die Zerstörung der Natur weniger schlimm wäre.

Oder wie formulierte es der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen, der auch passionierter Vogelschützer ist, in seinem Essayband Das Ende vom Ende der Welt? „Ein Grund, warum Wildvögel wichtig sind – uns wichtig sein sollten – ist der, dass sie unsere letzte, beste Verbindung zu einer natürlichen Welt darstellen, die ansonsten im Schwinden begriffen ist.“

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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