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Kann der Publikums-Oscar die große Hollywood-Show retten?

Ein Oscar für "Spider Man"? Nur weil das Publikum es so will? Die Veranstalter des größten Filmpreises der Welt versuchen mit allen Mitteln, Einschaltquoten zu steigern. Jetzt auch mit Publikumspreisen.

Sir Ridley Scott ist wahrscheinlich "not amused". Es könnte auch sein, dass der legendäre Regisseur regelrecht schäumt – das kann er gut, britische Contenance hin oder her. Denn wenn am 27. März die diesjährigen Oscars verliehen werden, gibt es eine Premiere, die man in etwa mit "Oscars go Dancing Stars" umschreiben könnte: Erstmals darf das Publikum über Social Media Kanäle selbst einen Lieblingsfilm wählen.

Und nicht nur das, ein zweiter Publikumspreis namens "Jubel-Momente" wird ebenfalls vergeben. Da geht's also um einzelne Szenen, die die Zuschauer besonders begeistert haben, der Rest des Films ist wurscht.

Und genau darum ging es Sir Scott bei seinem Rundumschlag, nachdem sein letztes Werk an den Kinokassen gefloppt ist: Menschen seien durch die dauernde Clip-Berieselung über ihre Smartphones nicht mehr willens und auch nicht mehr in der Lage, sich lange Handlungsbögen im Kino anzusehen. Spricht hier nur das beleidigte Ego eines alternden Meisterregisseurs?

Vielleicht ja auch das: Sein "The Last Duel" hat nicht nur großartige Kritiken bekommen aber steht einem Klassiker wie Kurosawas "Rashomon" (1950) um nichts nach, übertrifft den preisgekrönten japanischen Film vielleicht sogar, was seine Bedingungslosigkeit anbelangt. Was die Wucht der Bilder angeht, tut er das auf jeden Fall.

Aber obwohl Scotts Historien-Epos sogar mit #metoo-Aktualität punktet, hatten offensichtlich nur wenige Zuschauer den Nerv, sich dieselbe Vergewaltigungs/Affairen-Story aus drei verschiedenen Blinkwinkeln anzuschauen. Zu wenige flotte Sprüche, keine schrägen Typen, Explosionen oder sonstige "Jubel-Momente".

Bisher bestimmten ausschließlich die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, wie die US-Filmakademie offiziell heißt, über die Vergabe der Preise in mehr als 20 Kategorien. Experten also, mehr oder weniger – oder zumindest hoffentlich. Mit der Öffnung dem Publikum gegenüber, hoffen die Veranstalter, dem konsequenten Rückgang der Einschaltquoten entgegenzuwirken.

Damit öffnen sie die Tür, für die einzigen Filme, die derzeit an den Kinokassen wirklich noch ihr Geld einspielen: Popcorn-Flicks im besten Sinn des Wortes, rasante Spektakel wie die eines Dwayne "The Rock" Johnsons oder die bunten Movies aus dem Marvel-Universum. Filme, die auch als 90-minütige Aneinanderreihung von "Jubel-Szenen" funktionieren, während sie Handlung und Charakterentwicklung den hochgelobten Serien der diversen Streaming-Anbieter wie Netflilx und HBO überlassen. Einen Oscar hätte sich Kate Winslet auch für "Mare of Easttown" verdient gehabt, aber das geht ja nicht...

So könnte der letzte "Spider Man" also doch zu einer Auszeichnung bei den Oscars kommen, stellvertretend für alle Genre-Kollegen, die normalerweise immer nur in den weniger prestigeträchtigen Kategorien wie "Special Effects" Preise abräumen. Tom Hollands Spidey gilt jedenfalls als großer Favorit für den Preis, wenn ihm nicht ausgerechnet eine Prinzessin noch die Suppe versalzt oder den Apfel vor der Nase wegschnappt oder was Prinzessinnen halt so tun.

"Cinderella" legte in den letzten Tagen eine beispiellose Aufholjagd hin, verantwortlich dafür sind angeblich die weltweiten und vor allem sehr aktiven Camila Cabello-Fans. Ja, die schöne Sängerin spielt die Hauptrolle in dem Musical, das direkt bei Amazon im Streaming landete ... 20 Mal am Tag können die Fans jeweils voten, und das noch bis zum 3. März.

Angeblich sind auch die weltweiten Johnny Depp-Fans bereits sehr aktiv, ausgerechnet sein Film "Minamata" liegt ebenfalls noch im Spitzenfeld der Publikumsgunst. Darin geht es um den Fotojournalisten Eugene Smith, und der Streifen ist alles andere als ein Schenkelklopfer.

Entweder es geht tatsächlich nur um eine möglichst aktive Fanbase, um diesen Preis zu gewinnen – oder Ridley Scott hat der aktuellen Generation der Kinobesucher doch ein wenig unrecht getan... Wir werden sehen.

In einem Punkt ist die Oscar-Academy allerdings doch noch zurückgerudert: Die beiden Publikumspreise gehen nicht als offizielle "Oscars" in die Bücher ein. Das wäre ihnen dann doch ein zu großes Zugeständnis an den Fan-Geschmack gewesen. Ob derartige Spektakel allerdings die komplette Veranstaltung retten können, ist eine andere Frage. Ebenso wie die, ob die komplette Veranstaltung in ihrer starren Struktur und ihrem ewigen Spagat zwischen Kunst und Kommerz noch zeitgemäß ist.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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