Manga macht große Augen: Darum sind japanische Comics so erfolgreich

Ob das Piratenabenteuer "One Piece", düstere Horror-Adaptionen oder Geschichten für Mädchen. Der Markt für Comics japanischer Machart boomt – und wird stetig größer.

Wenn die Strohhutpiraten ihre Segel hissen, steigt die Spannung. Mit ihrem Anführer und Teufelsfrucht-Liebhaber Monkey D. Ruffy schippern sie auf der Grand Line, einer legendären Meeresroute, entlang. Und wie ihre – manchmal bitterbösen – Mitstreiter wollen sie nur eines: Das Ende der Strecke erreichen. Dort wartet das Once Piece auf sie. Wer es findet, wird Piratenkönig. Aber fiese Freibeuter und auch die Weltregierung haben etwas dagegen, dass Ruffy es wird. Und das schon seit geraumer Zeit.

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Seit 1997 sind die netten Gesellen in Comic-Bänden unterwegs und bestehen in „One Piece“, der erfolgreichsten Manga-Serie der Welt, ihre Abenteuer. Weit mehr als eine halbe Milliarde Exemplare wurde bisher verkauft. Dazu gibt es eine Anime-Serie (japanische Animationsserie, Anm.), und gerade kam auf Netflix die Reihe als Realverfilmung heraus. Stolze 18 Millionen Euro soll der Filmdienst pro Folge hingeblättert haben. Gleich am zweiten Tag nach Veröffentlichung beanspruchte die Serie die Netflix-Spitze in 84 Ländern für sich. Die bisherigen Rekordhalter „Wednesday“ und „Stranger Things“ (Staffel 4) erreichten Platz eins in 83 Ländern. Die Fans sind derzeit gespalten, nicht wenige greifen doch lieber zum Heft als zur Fernbedienung.

Aber nicht nur „Once Piece“ ist ein Renner. Auch „Dragon Ball“, in der der Held Son-Goku sieben Drachenkugeln sucht, oder der Auftragskiller „Golgo“ gehen zu hundert Millionen über den Verkaufstisch. Die Themen der Manga-Welt sind vielfältig. Es gibt viel Fantasy, dann Vampire oder Detektivgeschichten. Aber auch Geschichten aus dem echten Leben sind erwünscht. Das Wort „Man ga“ selbst heißt auf Japanisch so viel wie „komisches, verzerrtes Bild“. Und das wollen immer mehr.

Wachsender Markt

Der Markt wächst beständig (Für Fans und Neueinsteiger findet heute, Samstag,16. September in ausgewählten Buchhandlungen der Manga Day statt. Die beteiligten Verlagshäuser lassen hier 27 exklusiv für diesen Tag produzierte Bände verteilen). Das Branchenblatt Buchreport taxierte den deutschsprachigen Comic-Markt für das Jahr 2022 auf 264 Millionen Euro. Der Manga-Anteil, der vor allem auf die buchhändlerischen Märkte entfällt, liegt bei rund 125 Millionen Euro.

Charakteristisch: Es braucht nicht viele Linien – und eine Illustration wie diese sieht aus wie ein klassisches Manga-Bild

©Getty Images/yogysic/istockphoto.com

„Bei uns im Carlsen Verlag haben sich die Manga-Umsätze innerhalb der vergangenen drei Jahre mehr als verdoppelt“, sagt Kai-Steffen Schwarz, der für Manga zuständige Programmleiter des Verlags, der „One Piece“ und „Dragon Ball“ im deutschsprachigen Raum vertreibt. Als separate Marke betrachtet, würde Carlsen Manga unter den Top 25 aller deutschen Publikumsverlage liegen. Im vergangenen Jahr seien bei „Once Piece“ über 60.000 Leserinnen und Leser neu eingestiegen.

Bei den Hits „One Piece“ und „Dragon Ball“ liegen die Gesamtzahlen kumuliert längst im sechsstelligen Bereich. „Allerdings sind diese auch Ausnahme-Erscheinungen, ähnlich wie zum Beispiel ’Asterix’ bei den europäischen Comics.“

Eiichirō  Oda schuf die Piratenabenteuer One Piece, die es seit 1997 gibt.  Seither sind 1.000 Einzelkapitel mit einer halben Milliarde verkauften Exemplaren erschienen. 

©Carlsen Manga

Der Faszinationen für dieses Genre gibt es viele. Laut Schwarz biete Manga – je nach Stil und Umsetzung – viele verschiedene Reize: Einer ist „optisch durch den jeweiligen Zeichenstil“. Natürlich assoziieren Außenstehende vor allem große Augen mit den Mangas, doch die müssen nicht unbedingt sein. Die eher düsteren Adaptionen der Horrorliteraten H.P. Lovecraft, der das Monster Cthulhu miterfunden hat, setzen auf realistischere Darstellungen, sofern das bei Ungeheuern der Fall sein kann. Dann sieht Schwarz „oft erfreulich ambivalent entworfene Charaktere. Klare Gut-/Böse-Schemata gibt es selten“.

Mangas schreiben sich immer fort

Eine herzig aussehende Gestalt kann es faustdick hinter den Ohren haben, wie das geneigte Publikum weiß. Und ganz wichtig: das Fortsetzungskonzept der meisten Serien. „Fast alle Geschichten beginnen in Band eins einer Serie und gehen weiter bis zum letzten Band, das heißt nicht jedes Buch fängt wieder beim ‚Nullpunkt‘ an wie bei vielen westlichen Comics. Was in Band eins passiert, hat Konsequenzen für spätere Bände.“

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Dazu bekämen in Mangas die Figuren viel Raum und Erzählzeit zur Verfügung gestellt, um sich entwickeln zu können. Das Publikum wird mit auf die Reise der Lebenswege genommen. „Erzählt wird meist emotionaler als in westlichen Comics und auch entgrenzter: Leserinnen und Leser fühlen sich oft als unsichtbare Begleiter, die neben den Figuren die Geschichten miterleben, können sich mit ihnen identifizieren.“ Gute Mangas würden mehr durch das Bild als durch die Texte erzählen.

Dragon Ball: Son-Goku wohnt fernab der Zivilisation, wo das Mädchen Bulma auftaucht, das die sieben Dragon Balls sucht. 300 Millionen verkaufte Exemplare.

©Carlsen Manga

Das Publikum bestehe laut Schwarz neben jungen Fans oft aus jenen, die schon seit der Jahrtausendwende dabei sind. „Durch die Entwicklung der westlichen Comics und Graphic Novels über die letzten 20 Jahre sind sicher auch viele Späteinsteiger zu Manga gestoßen“, sagt der Experte. Einige stecken auch ihre Kinder mit dem Virus an.

Boom durch Bewegtbild

Apropos Virus: Auch die Corona-Pandemie habe die Sichtbarkeit etwa durch Anime auf Streaming-Plattformen erhöht. Denn die konsequente Cross-Media-Vermarktung ist eine der Stärken der japanischen Industrie. Zu erfolgreichen Mangareihen gibt es einerseits jede Menge Merchandiseprodukte, dazu kommen sie als Anime-Serien auf den Markt. Andererseits kann auch eine Zeichentrickserie den Printprodukten einen enormen Schub verpassen. „Demon Slayer“ fristete im Handel ein Schattendasein. Erst durch die Anime-Fernsehserie und einen Film wurden mehr Menschen auf die zwei unterschiedlichen Geschwister aufmerksam. Die Jüngere ist zu einem angeblich menschenfressenden Dämon geworden, der Ältere will – verständlicherweise – eine Heilung finden.

Kenner ordnen das unter die Kategorie Shonen-Mangas ein. Das sind die „Geschichten für Jungs“, wie Schwarz sie nennt. Hier geht es gerne um Gut gegen Böse, es gibt viel Action, Abenteuer. „One Piece“ gehört dazu. „Sie sind nach wie vor das Rückgrat der Branche“, erklärt Schwarz. „Die größten Hits der vergangenen Jahre stammen aus diesem Segment.“ Aber es geht auch anders. „Das Angebot im Shojo-Segment, also Manga für Mädchen, ist nach wie vor sehr breit – allerdings haben diese im Vergleich weniger mediale Sichtbarkeit, weil sie nur selten als Anime adaptiert werden.“

Aber ganz egal, ob hart oder zart: Wer das erste Mal einen Band in die Hand nimmt, wird etwas erstaunt sein: Die japanischen Werke werden von hinten nach vorne, von rechts nach links gelesen. Wer – wie das bei Comics oft der Fall war – Dünkel hat und den Untergang der Kultur befürchtet, Schwarz kann beruhigen. „Wir bekommen immer wieder zu hören, dass Manga generell das junge Publikum zum Lesen bringen und es erstmals in die Buchhandlungen führt.“

Heute ist Manga Day

Heute, Samstag, dreht sich beim Manga Day 2023 in über 1.200 Buchhandlungen, Comicshops, Manga-Läden und Bibliotheken im deutschsprachigen Raum alles um die japanischen Comics.  Die beteiligten Verlagshäuser lassen hier 27 exklusiv für diesen Tag produzierte Bände verteilen. Das Spektrum ist breit: Düstere Gruselgeschichten, heitere Detektiv-Storys oder  Heldenhaftes über die Gebrüder Grimm sind dabei. 
Alle teilnehmenden Shops in Ihrer Nähe finden Sie unter mangaday.de/finde-deinen-lieblings-shop-2023  

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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