In der Street Art spielen Frauen alles an die Wand
Graffiti und Street Art galten einst als Männerbastion. Doch seit einiger Zeit erobern immer mehr Künstlerinnen die Wände und machen den öffentlichen Raum bunter – mit Werken, die verträumt sind, vom Alltag ablenken sollen oder brennend politisch sind.
Street Art gilt heute als die am schnellsten wachsende Kunstform. Graue Feuerwände, Brückenpfeiler und Rollläden werden zusehends bunter. Man muss nicht in einer Metropole wohnen, um auf ein Werk zu stoßen. Es reicht auch eine kleinere Stadt. Banksy und Konsorten mischen den Kunstmarkt auf – oder produzieren gezielt für dessen Bedürfnisse. Mitunter geht schon mal die einst so wichtige „street credibility“ verloren. Firmen beauftragen Künstlerinnen und Künstler, damit sie ihre Reklamen aufpeppen.
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Als Ende der 1960er Sprayer in New York mit Graffiti-Schriftzügen ihr Revier markierten, war davon noch keine Rede. Graffiti war ein hartes Spiel. Einerseits körperlich fordernd, gefährlich und manchmal auch gewalttätig. „Die Ausstrahlung einer männlichen Energie war damals für das langfristige Überleben in der Graffiti-Szene fast unerlässlich“, schreibt Expertin Allison Freidin im gerade beim Midas Verlag erschienenen Bildband „Street Art von Frauen. 50 Rebellinnen der Szene“.
Es ist eines von mehreren zuletzt veröffentlichten Büchern, die sich mit Frauen auseinandersetzen, die den öffentlichen Raum mitgestalten. Denn heute sind überdimensionale Gemälde, Schablonen-Graffiti oder Aufkleber keine männliche Domäne mehr. Auch wenn die Herren der Schöpfung eine Weile gebraucht haben, um das zu verdauen.
Mit Banksy wurde es anders
Oder wie die Künstlerin Jasmin Siddiqui, die unter dem Pseudonym Hera auftritt, dem Spiegel einmal sagte: „Natürlich sind nicht alle Jungs in der Szene sexistisch. Seit 2005 und dem Aufstieg von Banksy steht beim Malen immer öfter auch eine gesellschaftliche Botschaft im Vordergrund. Das Bild soll von allen verstanden werden, nicht nur einige Eingeweihte sollen die Message entziffern können. Von da an strömten auch Malerinnen auf die Wandflächen.“ Ab diesem Zeitpunkt ging es weniger um männliches Dominanzgehabe, den Namen überall hinzuschreiben und das eigene Gebiet zu markieren. Auch nicht um Adrenalin und Nacht-und-Nebel-Aktionen.
Was ab dann zählte, war die sogenannte „Urban Beautification“. Es ging „darum, die Stadt in einem ausgewogenen Geschlechter-Verhältnis kreativ zu verschönern“.
Eine der bekanntesten Vertreterinnen ihrer Zunft ist Claudia Walder, bekannt unter dem Künstlernamen „Mad C“. Sie begann – noch inspiriert von klassischem Graffiti-Writing – Mitte der Neunziger in Ostdeutschland. „Sobald ich eine Wand bemalen konnte, war ich irgendwie hyperaktiv und überdreht“, erinnert sie sich. Daher auch ihr Name. Wie die FAZ einmal schrieb, sprayte sie besonders aggressiv. Immerhin wollte sie kein Vorurteil erfüllen, dass Mädchen nur Schmetterlinge malten. Und in Pink wollte sie schon gar nicht sprayen. 2010 aber änderte sich das. Für einen Farbhersteller entwickelte sie ein neues Farbsystem und suchte sich zwei persönliche Farben aus. Eine war Pink.
Ihr Werk ist geprägt von Veränderung – Sprühdosen tauschte sie gegen Aquarellfarbe ein, machte Fotorealismus, um dann abstrakter zu werden und sich vom klassischen Graffiti zu entfernen. Was bleibt: „Ich liebe es, im Nichts zu malen, wo niemand erwartet, auf Kunst zu stoßen“, verrät sie im Bilderband „Street Art von Frauen“.
Es gibt mich!
Für Kollegin Kathrina Rupit, deren Werk am Cover dieser -Ausgabe zu sehen ist, sollte Street Art zuallererst ein Territorium markieren und der Welt zurufen „Es gibt mich!“ Sie war in einer armen Wüstenstadt in Mexiko aufgewachsen und durfte aus Sicherheitsgründen lange nicht alleine außer Haus. Später zog sie nach Irland, lernte dort andere Street-Art-Künstlerinnen kennen und entwickelte eine eigene Auffassung ihrer Kunst. „Ich beschloss, Werke zu schaffen, die einem nicht sagen, was falsch ist, sondern die den Einzelnen inspirieren und stärken.“
Ihr Ziel sei es, dass die Menschen Frieden, Achtsamkeit und Freude finden. Die Kunst soll nicht nur ein Nachdenken, sondern gar ein Lächeln provozieren. Neben Zerstreuung oder persönlichen Erfahrungen sind es Träume, Ziele und Kämpfe, die Werke vieler Künstlerinnen prägen. Oft geht es auch um Rassismus, Umweltzerstörung und Feminismus.
Gefährliche Kunst
Die Gemälde können sogar gefährlich sein. Etwa für Shamisa Hassani, die erste Graffiti-Künstlerin Afghanistans. Sie steht für alles, das die Taliban hassen, und zeigt Frauen mit geschlossenen Augen in einer männerdominierten Welt. Seit der Machtübernahme Kabuls im August 2021 durch die islamistische Terrorgruppe nutzt die ehemalige Professorin für Bildende Kunst an der Uni Kabul ausschließlich soziale Medien, um ihre Bilder zu teilen.
Noch wenige Tage vor dem Fall der Hauptstadt hatte sie ein Graffiti mit dem Titel Nightmare auf Twitter veröffentlicht. Darauf ist eine Frau, die ein Musikinstrument hält, umgeben von Männern mit Waffen. Hassani, die weiterhin Bilder postet, hält sich seit der Machtübernahme an einem unbekannten Ort auf, um sich nicht zu gefährden.
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