Kritik

Neuer "Don Giovanni" an der Staatsoper: Der Verführer darf weiterleben

Die Wiener Staatsoper hat – als Auftakt zur Mozart/Da Ponte-Trias – endlich einen neuen „Don Giovanni“, der sich auch in Pandemiezeiten sehen und hören lassen kann.

Eine Bemerkung vorweg: Man kann der Wiener Staatsoper, dem Sender ORF III (aber auch den Wiener Philharmonikern oder dem Theater an der Wien) gar nicht genug danken. Auch in Zeiten der Pandemie wird fleißig gespielt, werden Premieren und Konzerte für das Fernsehen, auf Tonträger und somit letztlich für die Nachwelt dokumentiert.

Das gilt auch für eines der wichtigsten Vorhaben von Bogdan Roščić, der im Haus am Ring einen neuen Mozart/Da Ponte-Zyklus angesetzt hat und mit einer Neuproduktion von „Don Giovanni“ ohne Publikum – nur einige, mehrfach geimpfte und PCR-getestete Medienvertreter waren zugelassen – eine Premiere von Format hingelegt hat (noch bis Sonntag in der TVThek des ORF nachzusehen).

Denn endlich ist sie weg, die unsägliche, sich im Kostümklamottenland verirrt habende Adaption von Jean-Louis Martinoty. Das Haus am Ring ist mit der Neudeutung durch Barrie Kosky wieder im zeitgenössischen Musiktheater angekommen.

Verhärtung

Was also sieht und hört man in der Staatsoper und via Bildschirm? Man sieht eine dunkle Steingeröllhalde (Bühne: Katrin Lea Tag), in der nur ein Mal ein paar Bäumchen blühen dürfen. Eine Art seelischer Nicht-Raum, eine Kraterlandschaft der verhärteten Gefühle, aus der es für die Protagonisten kein Entkommen zu geben scheint.

Schlösser, Feste, Trinkgelage, wie sie Wolfgang Amadeus Mozart und sein kongenialer Librettist Lorenzo Da Ponte in ihrem Werk skizzieren, gibt es bei Kosky nicht.

©Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Hier regiert das Animalische, die pure Verzweiflung, wenn sich Giovanni wie ein Raubtier auf die Frauen stürzt, wenn Donna Elvira vor einem grauen Zwischenvorhang alleingelassen ihre große Arie singt, wenn der mit Kapuzenpullover ausgestattete Leporello für seinen „Herren“ wieder einmal durchs Feuer gehen muss. Den Tod des Komturs haben Giovanni und Leporello in gemeinsamer, tödlicher Umklammerung zu verantworten. Giovanni selbst wird – auf eine Höllenfahrt lässt sich die Regie naturgemäß nicht ein – am Ende ein ähnliches Schicksal erleiden. Nur dass er in dieser Deutung nicht stirbt.

Da gelingt Kosky die berührendste Szene. Während das übrige Personal das Ende des „Wüstlings“ besingt, steht Giovanni auf, streichelt Leporello über den Kopf und geht einfach ab. Dank einer brillanten Personenführung – Kosky lotet jede der vielen Beziehungskonstellationen grandios aus – geht dieser „Don Giovanni“ unter die Haut. Man muss vielleicht die Optik nicht mögen; gut gearbeitet ist das aber allemal.

©Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Ähnliches gilt auch für die musikalische Seite. Denn Musikdirektor Philippe Jordan hat sich hörbar viele Gedanken zu Mozart gemacht. Er siedelt mit dem meist sehr guten Orchester seine Interpretation irgendwo zwischen den Polen Nikolaus Harnoncourt (ganz radikal) und Riccardo Muti (wunderschön) an. Dass der Dirigent noch ein wenig mehr mit den Sängern atmen könnte, in manchen Passagen etwas zu sehr dehnt, um dann wieder in Dramatik pur zu verfallen, stört kaum. Für einen neuen Wiener Mozartklang ist noch ein bisschen Luft nach oben. Aber der Auftakt – Jordan wird auch die beiden anderen Da Ponte-Opern leiten – ist ein absolutes Versprechen für die Zukunft. Das wird schon!

Entäußerung

Vor allem dann, wenn das Haus am Ring solche Singschauspieler wie im „Don Giovanni“ aufbieten kann. Ja, um Schöngesang geht es hier nur in zweiter Linie, stattdessen sind vokale Expressivität und darstellerische Entäußerung gefragt. So ist der Bassbariton Kyle Ketelsen ein intensiver Giovanni wie auf Drogen. Seine Drogen sind die Frauen, bis zum Exzess. Sein Pendant Philippe Sly gibt einen herrlich verlorenen, aufmüpfigen, pubertierenden Leporello, dessen an sich schöne Stimme im Theater an der Wien aber weit besser aufgehoben wäre. Dennoch macht dieses Duo Freude.

©Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Stark agieren auch Kate Lindsey als in jeder Hinsicht überzeugend-leidende Donna Elvira, Hanna-Elisabeth Müller als nicht nur noble, sondern sehr resolute Donna Anna sowie die hervorragende, quirlige Patricia Nolz als Zerlina. Stanislas de Barbeyrac singt einen guten Don Ottavio, der mit seiner Donna Anna gewiss nie glücklich werden wird. Und ob der Masetto von Peter Kellner (tadellos) mit Zerlina eine Zukunft hat, steht hier auch in den Sternen. Mit Ain Anger ist der Komtur adäquat besetzt; der Chor fügt sich – wie die Bühnenmusiker – sicher in das homogene Unterfangen ein.

Fazit: Die Wiener Staatsoper hat einen „Don Giovanni“, der mehr als brauchbar ist und im Verlauf der Folgevorstellungen (dann vor Publikum?) noch dazu gewinnen könnte.

Peter Jarolin

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