Darum bringt Dr. Motte die Loveparade zurück nach Berlin

Am 9. Juli zieht die Demo "Rave The Planet“ durch die deutsche Hauptstadt. Gründer Dr. Motte über die Neuauflage und warum Techno Kulturerbe werden soll.

Von der Disco Samstagfrüh zur After-Hour am Vormittag weiterziehen. Kurz ausrasten, Samstagnacht in die nächste Disco. Dann in der Früh zum mitunter nicht ganz legalen Open-Air-Rave. Und wer es ganz ernst nimmt, geht erst Montagmittag heim. Stundenlang auf der Tanzfläche zu stampfender, monotoner Musik den Alltagstrott hinter sich lassen. Sich dem gestrengen Blick der Türsteher unterziehen, die einen für würdig halten müssen, das ganze Spektakel mitzumachen. „Dit ist Berlin, wa!“, würde man in der deutschen Hauptstadt sagen. Hier ist das ganz normal.

Die Berliner Technokultur hat so ihre Besonderheiten und Eigenarten. Möglichst lang, möglichst viel, möglichst cool und gerne auch improvisiert. Aber sie hat es nicht leicht. Investoren spitzen auf die Plätze, wo das alles noch stattfinden kann. „Clubs werden aus der Stadt gedrängt“, sagt Dr. Motte, der einst die Loveparade ins Leben rief, mit Ärger in der Stimme zur freizeit. „Da will man wichtige Plätze wegkloppen. Das macht Berlin kaputt.“ Das ist mit ein Grund, warum am 9. Juli wieder eine große Parade durch Berlin ziehen soll.

Dr. Motte, der im bürgerlichen Namen Matthias Roeingh heißt, erwartet rund 60.000 Menschen, die wie früher hinter Lkw, von denen laute Musik schallt, herziehen sollen. Das Ganze heißt „Rave The Planet“ und wurde als Demonstration angemeldet, für „Anerkennung und Erhalt der elektronischen Musikkultur als kulturelle Leistung“. Und: Die Berliner Technokultur soll als Immaterielles Kulturerbe unter dem Schutz der UNESCO stehen. Gleichzeitig soll die Veranstaltung, die sich als Neuauflage der Loveparade versteht, Frieden einfordern. „Die Mehrheit der Leute will das, nur die Minderheit will es nicht“, meint der DJ und Produzent.

150 Menschen am Kurfürstendamm

Eine Demonstration war es auch, die am 1. Juli 1989 erstmals über den Kurfürstendamm zog. 150 Menschen zuckten bei Regen Pritschenwagen hinterher, von Kassetten kam neue Musik: Acid House, das gerade die Engländer mit Smiley-T-Shirts zum Ausrasten brachte. Offizielles Motto: „Friede, Freude, Eierkuchen“. „Bei Friedensdemonstrationen der 70er hat mich immer gestört, dass immer etwas gegen und nicht für war“, erklärt der Loveparade-Gründer. Daher formulierte er es um: Friede für Abrüstung, Freude für Musik als Mittel der Völkerverständigung und Eierkuchen für gerechte Nahrungsmittelverteilung. Dass man so für wenig Geld Spaß im öffentlichen Raum haben konnte, mag auch Grund für eine angemeldete Kundgebung gewesen sein. Die damaligen Passanten hätten eher nicht gedacht, dass sich diese kleine Straßenparty, in der sich eine kleine Subkultur zeigte, so auswachsen würde.

Loveparade-Erfinder Dr. Motte feiert am Tag von „Rave the Planet“ seinen 62. Geburtstag.

©Petrov Ahner

Aber die Mauer fiel, Berlins Jugend aus Ost und West feierte die Wiedervereinigung auf ihre Weise (was früher und besser funktionierte als im restlichen Land). In Clubs wie dem Tresor donnerte die Bassdrum durch rauchige, dunkle und nur durch Stroboskoplicht erhellte Räume. Techno und House waren der Sound der Stunde, ambitioniertes und nicht immer gesundes Weggehen der Lifestyle. 1991 waren es schon 6.000 Menschen, die sich untertags bei der Parade trafen und abends ausgestattet mit Unterhaltungschemie weiterzogen. Es sollte der „German Summer of Love“ werden. Gruppen anderer deutscher Städte statteten der Berliner einen Besuch ab. Medien begannen zu berichten.

Das Bild aus 1992 wurde ikonisch. Der deutsche Techno-Star und Szene-Guru Sven Väth mit Wasserpistole. Daneben tanzte Sängerin und Komponistin Inga Humpe (DÖF, 2raumwohnung)

©Ben de Biel

„Dass Berlin so wurde, wie es ist, ist der Loveparade geschuldet. Die Menschen um den Globus wollten dabei sein und sich austoben“, ist sich Dr. Motte sicher.

Werbung entdeckte die Raver

Der Umzug wurde größer. Unternehmen erkannten in der jungen Zielgruppe zahlungskräftige Käufer. Jürgen Laarmann, Mitbegründer des Groß-Raves Mayday und Herausgeber des ehemaligen Szene-Magazins Frontpage, erklärte einmal dem Spiegel: „Die Zigarettenmarke Camel investierte Millionen, finanzierte damit auch die Loveparade und machte die ‚Mayday’ lukrativ. Ein Sinnbild der Techno-Dekadenz dieser Tage war der ‚Camel Airrave’, ein Flugzeug mit eingebautem Dancefloor, das Raver um den ganzen Erdball zu Partys schickte, die ‚Tagesschau' berichtete – yeah!“

Der Platz am Kurfürstendamm wurde mit rund 300.000 Besuchern 1995 knapp, die Straße des 17. Juni mit Siegessäule und Brandenburger Tor im Hintergrund sollte ab 1996 für Bilder sorgen, die um die Welt gingen. Und Dr. Motte hielt seither auch hippieske Reden mit Schlagwörtern wie Frieden, Einheit, Familie. Denn ohne sie hätte die Parade den Status als politische Demonstration verloren. Das beschäftigt Dr. Motte, der am Tag der Parade 62 wird, auch heute noch. „Rave the Planet“ fordert nonverbale Kundgebungen ohne verpflichtende Redebeiträge. „Musikdemos sind das Ding, das wir in Berlin geprägt haben“, sagt er.

Es folgten Dinge, die gefielen nicht allen: RTL 2 sendete live. Schlagerbarde Jürgen Drews fuhr auf einem Wagen mit und entblößte den Busen seiner Frau. Chorleiter Gotthilf Fischer, Allegorie nachkriegsdeutscher Biederkeit, schmetterte „Hoch auf dem gelben Wagen“. Im Hotelzimmer sah er dann bunte Papageien. Der Arzt diagnostizierte einen Drogenrausch. Fischer mutmaßte man haben ihm etwas ins Bier geschmissen. Von einigen Trucks tönte „Kirmestechno“, wie man in Deutschland zu sagen pflegt. 1,5 Millionen Menschen kamen 1999 nach Berlin.

Ab 1997 zog am selben Tag die Fuckparade – Kurzform für Fuck the Loveparade – mit härterer Musik und explizit politischem Anspruch durch die Stadt. Die Punkband Terrorgruppe widmete Dr. Motte einen Schmähsong. Schimpfend sang die Truppe: „Megatonnen Biomasse tragen Piercings von der Bausparkasse.“ Davon ließen sich Dr. Motte und seine Mitstreiter nicht beirren. „Ich hatte immer den Ansatz, dass der Kapitalismus eine kulturelle Verantwortung hat.“ Und immerhin sei so ein Friedensfest finanziert worden. Die Loveparade expandierte in andere Städte – auch nach Wien, wo sie die Free Party am Ring ablöste. Von 2000 bis 2002 ging es vom Praterstern über die Reichsbrücke. Neben den DJs auf der Bühne der Abschlusskundgebung standen neue Autos zum Werbezweck. Aber immerhin galt die Parade in Österreich als Demonstration.

In Berlin verlor sie diesen Status 2001. Das Verwaltungsgericht sah keine gemeinsame Meinungskundgabe erfüllt. Das Motto „Join the Love Republic“ wurde diesbezüglich als nicht ausreichend gewertet. Dr. Mottes Rede sei im Verhältnis zur Gesamtveranstaltung „zu geringfügig“. Das hieß auch, dass die Parade die Reinigungskosten – und die waren ob des vermüllten Tiergartens enorm – selbst tragen musste.

Sieht aus, als könnte das Bild auch heute aufgenommen worden sein. Dabei wurde es 1994 geschossen.

©Werner Amann / laif / picturedesk.com/Werner Amann/laif/picturedesk.com

Das Geld wurde knapp. 2004 und 2005 fiel die Parade wegen fehlender Sponsoren aus. 2006 stieg sie zum letzten Mal – mit neuem Veranstalter, der Fitnessstudio-Kette McFit – im Tiergarten, Dr. Motte sah eine „Dauerwerbesendung“ und verabschiedete sich. 2007 zog die Parade durch Essen.

Am 24. Juli 2010 endete die letzte Loveparade in einer Katastrophe. An einer engen Stelle am einzigen Zu- und Abgang zum Duisburger Festivalgelände kam es zu dem tödlichen Gedränge. 21 Menschen kamen ums Leben. „Da ging es nicht um die Sicherheit, nicht um Kulturelles, sondern ums Geldverdienen“, sagt Dr. Motte. Die Angehörigen der Toten seien auch mit einer Neuauflage in Berlin einverstanden.

Denn in der deutschen Hauptstadt sei etwas ganz Besonderes entstanden: „Die Loveparade war die größte Friedensdemonstration der Welt. Bei 1,5 Millionen Menschen ist kaum etwas passiert“, wird er beinahe euphorisch. „Auf der Tanzfläche ist es egal, woher man kommt, welchen sozialen Status oder welche Hautfarbe man hat.“

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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