Und die Mayday hat stets auf große Namen gesetzt. Die Stars der Szene gaben sich die Regler in die Hand. Und das war ein Widerspruch zu dem, was Detroiter Techno-Pioniere vom subversiven Projekt Underground Resistance wollten: Faceless Techno, die Auflösung der Stars. Der Personenkult gefiel naturgemäß nicht allen. Auch nicht, dass die Minuten der DJ-Sets begrenzt war. Mancher DJ monierte, nicht genügend Zeit zu haben, um das Partyvolk mit auf eine Reise zu nehmen.
Das tat dem Erfolg der Mayday keinen Abbruch. Die Party wurde immer größer, das mediale Interesse stieg. Sie wuchs, fand mehrmals im Jahr in unterschiedlichen deutschen Städten statt, bis sie 1997 ihre endgültige Heimat in der Dortmunder Westfalenhalle fand, wo die Party mittlerweile ein Mal im Jahr - in der Nacht auf den ersten Mai steigt (vorausgesetzt, es grassiert keine Corona-Pandemie). Bis zu 25.000 Besucher hat sie schon gezählt. Ab 2000 expandierte man mit Ablegern nach Polen und Ungarn.
Marusha, der Regenbogen und Marc Oh
Der Musiksender Viva berichtete in den Neunzigern live aus der Halle, schickte seine Aushängeschilder wie Heike Makatsch hin, die die Stars der Stunde vor ihren Auftritten noch interviewten. Einer der Stars war Marusha, die sich wegen ihrer grünen Augenbrauen besonders gut als Gesicht der neuen Jugendkultur eignete. Sie gewann 1994 sogar den goldenen Otto der Jugendzeitschrift Bravo. Vorangegangen war die Veröffentlichung ihrer Coverversion von "Somewhere Over the Rainbow", die sich alleine in Deutschland 500.000 Mal verkauft hatte. Was für die einen der Höhepunkt der Techno-Bewegung war, war für andere die endgültige Kommerzialisierung. Und als plötzlich auch Dance-Acts wie Marc Oh auf der Mayday spielten, deren Musik alles war, nur kein Techno, verstanden viele die Welt nicht mehr.
Die Wirtschaft entdeckte derweil die vielen jungen potenziellen Kunden. Viele Firmen verpassten sich ein schrilles Image und übernahmen ein Sponsoring für Partys. Jürgen Laarmann, Mayday-Mitbegründer und Herausgeber des ehemaligen Szene-Magazins Frontpage erklärte einmal dem Spiegel: "Die Zigarettenmarke Camel investierte Millionen, finanzierte damit auch die Loveparade und machte die "Mayday" lukrativ. Ein Sinnbild der Techno-Dekadenz dieser Tage war der "Camel Airrave": ein Flugzeug mit eingebautem Dancefloor, das Raver um den ganzen Erdball zu Partys schickte, die 'Tagesschau' berichtete - yeah!"
Protest gegen derartige Entwicklungen und die ausgerufene "Raving Society" kam etwa von der Wiener Hardcore-Techno-Formation Ilsa Gold. Chistopher Just und Peter Votava wurden 1993 eingeladen, bei der Mayday zu spielen - allerdings nur 15 Minuten. Das gefiel ihnen gar nicht. Und sie ließen ihre Tracks einfach abspulen, während sie an einer Joghurtmaschine standen. Ein Jahr später erzählte Ilsa Gold die Geschichte der Raverin Silke, die chemischen Aufputschmitteln anheimgefallen war. Neben Samples vom Peter-Cornelius-Hit "Süchtig" oder Karel Gotts "Fang das Licht" spielten sie immer wieder "Ecstasy hilft, die Mayday besser zu ertragen" ein und ließen die Bass Drum richtig gut krachen.
Auch wenn einige, die von Anfang an mit dabei waren, der Szene den Rücken kehrten, Raves schossen bis Mitte der 90er wie Schwammerl aus dem Boden. Es gab sie in alten Fabriken, Kulturzentren über Messehallen bis hin zu Wirtshaus-Sälen.
Feten, von denen jene, die damals dabei waren, immer noch schwärmen, waren jene unter dem Namen "Gazometer" in Wien. In einem Turm der mittlerweile zu Wohnungen und Einkaufszentrum umgebauten Gasometer hatten ab 1992 tausende Menschen Platz, der Sound soll wegen des zylindrischen Raums hallend-legendär gewesen sein. 1998 war Schluss, die Gasometer-Gebäude verwandelten sich in eine Baustelle.
Und auch wenn die Partys voll waren, zu dieser Zeit war schön langsam die Luft aus dem Rave-Ding draußen. Vom eigenen Erfolg erdrückt. Westbam sah einmal im Spiegel noch einen weiteren Grund. "Nach dem Mauerfall herrschte große Zuversicht, dass bald die ganze Welt zusammen befreit und glücklich in entspannten Demokratien nach westlichen Werten durch das Leben tanzen würde. Spätestens am 11. September 2001 war klar: Das funktioniert so nicht. In der Folge suchte sich auch das Nachtleben einen neuen Sound. Rückzug in die Clubs, keine aufdringliche Ravemusik mehr, lieber leises Minimal, das war die Stimmung."
Aufbruch im Berghain
Und in den Clubs, wo man sich zurückzog, begann bald wieder etwas neu aufzublühen. Und wieder war Berlin daran ganz nicht unbeteiligt. Was Anfang der 90er Clubs wie der Tresor oder das E-Werk waren, sollten beinahe 20 Jahre später die Bar 25, das ://about blank oder das Berghain sein. Letzteres drückt Techno mittlerweile weltweit seinen Stempel auf, hat aber zuletzt doch etwas an Sprezzatura eingebüßt, weil man schon sehr auf die eigene Coolheit Wert legt. Zwar nicht still und leise, aber zunächst doch von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt, fing Techno, der auch wieder hart sein durfte, ab den 2010ern an, erneut groß zu werden.
Und die DJs aus den Clubs legten auch wieder in Hallen auf. Das fanden Puristen eine Weile doch eher peinlich. So etwas gäbe es nur mehr bei EDM-Größen wie David Guetta und Konsorten, meinten sie. Aber das Blatt hat sich gewendet. Mega-Partys sind nichts mehr, wofür man sich schämen müsste.
Die Bedeutung der Mayday hat nachgelassen und Corona hat der 30er-Feier gehörig die Suppe versalzen. Dafür ist sie reif fürs Museums - aber nicht abwertend gemeint. Im Düsseldorfer Kunstpalast ist ihr in der Schau "Electro. Von Kraftwerk bis Techno" ein Platz gewidmet. Und immerhin hat sich den Weg bereitet für die großen Raves, die seit geraumer Zeit wieder schwer da sind. Das Awakenings in Amsterdam etwa, das - wenn Corona nicht gefährlich ist - an mehreren Tagen mehrmals im Jahr stattfindet, ist innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Die Besucher kommen aus der ganzen Welt - und sind begeistert, wenn in einem ehemaligen Gasbehälter Raketen über deren Köpfe hin- und herfliegen.
Und selbst in Wien, das sich seit dem Ende der Gazometer schwer mit großen Raves tat und internationalen Entwicklungen immer ein bisschen hinterherhinkt, hat es im Oktober in der Marx Halle unter dem Namen Rebelliøn eine bombastisch inszenierte Fete gegeben, die Warehouse-Feeling mit viel Technik-Aufwand kombinierte. Und die hat richtig eingeschlagen.
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