30 Jahre Mayday: Die Geschichte der großen Raves

Wie Techno in den Neunzigern zu einem Massenphänomen wurde, Partys im Flugzeug stattfanden. Und wie es heute um Groß-Raves steht.

Berlin, Anfang der 90er. Die Jugend aus dem Westen und dem Osten zelebrierte gerade die Wiedervereinigung zu maschinellen Klängen. Die Techno-Kultur war ein noch relativ neues, aber sehr schnell wachsendes Phänomen. Der Sound, der in den Nächten in schummrigen Clubs wie dem Tresor zu Stroboskopblitzen und viel Rauch bretterte, hatte dennoch noch wenig Plattformen für die Verbreitung gefunden. Das ehemalige ostdeutsche Jugendradio DT64 war so eine Plattform, die die neue Bewegung unterstützte. In der Szene besonders beliebt war die Sendung "Dancehall" von einer, die nur wenige Jahre später das Gesicht einer neuen, großen Jugendkultur werden sollte: Marusha.

Doch der Sender sollte eingestellt werden. Dagegen regte sich Widerstand. Die Brüder Fabian Lenz alias DJ Dick und  Maximilian Lenz, besser bekannt als Westbam, organisierten eine Protestveranstaltung. Die Party hieß Mayday - benannt nach dem Sprechfunk-Notruf. Sie ging erstmals am  14. Dezember 1991  in der "Halle" in Berlin-Weißensee über die Bühne. 5.600 junge Besucher kamen und tanzten. Der Sender verschwand trotzdem. Dafür ging es mit der Mayday weiter. Und wie.

Für viele gilt die Mayday als Mutter aller Raves. Das mag so nicht ganz stimmen. Immerhin gab es in der deutschen Hauptstadt schon große Partys wie "Tekknozid", das eine härtere musikalische Gangart an den Tag legte. Und in England feierte man schon Jahre zuvor zu Acid House und Hip House den so genannten "Second Summer of Love" groß. Aber die Mayday hat wie die Love Parade dazu beigetragen, dass aus einer Untergrund- eine breite Jugendbewegung wurde.

Szene erwachte

Und wie es Westbam einmal laut WDR sagte: "Das war der erste Event, um den herum wirklich eine ganze deutsche Szene und eine europäische Szene entstanden ist. Vorher gab's keinen Austausch, gab's keine DJ's, die hin- und hergefahren sind, kein Publikum, was hin- und hergefahren ist. Durch diese Vernetzung hat es dann eine neue Dynamik bekommen." 

Westbam war einer der Mitbegründer der Mayday.

©Helmke, Torsten / Action Press / picturedesk.com/Helmke, Torsten/picturedesk

Und die Mayday hat stets auf große Namen gesetzt. Die Stars der Szene gaben sich die Regler in die Hand. Und das war ein Widerspruch zu dem, was Detroiter Techno-Pioniere vom subversiven Projekt Underground Resistance wollten: Faceless Techno, die Auflösung der Stars. Der Personenkult gefiel naturgemäß nicht allen. Auch nicht, dass die Minuten der DJ-Sets begrenzt war. Mancher DJ monierte, nicht genügend Zeit zu haben, um das Partyvolk mit auf eine Reise zu nehmen.

Das tat dem Erfolg der Mayday keinen Abbruch. Die Party wurde immer größer, das mediale Interesse stieg. Sie wuchs, fand mehrmals im Jahr in unterschiedlichen deutschen Städten statt, bis sie 1997 ihre endgültige Heimat in der Dortmunder Westfalenhalle  fand, wo die Party mittlerweile ein Mal im Jahr - in der Nacht auf den ersten Mai steigt (vorausgesetzt, es grassiert keine Corona-Pandemie). Bis zu 25.000 Besucher hat sie schon gezählt. Ab 2000 expandierte man mit Ablegern nach Polen und Ungarn.

Marusha, der Regenbogen und Marc Oh

Der Musiksender Viva berichtete in den Neunzigern live aus der Halle, schickte seine Aushängeschilder wie Heike Makatsch hin, die die Stars der Stunde vor ihren Auftritten noch interviewten. Einer der Stars war Marusha, die sich wegen ihrer grünen Augenbrauen besonders gut als Gesicht der neuen Jugendkultur eignete. Sie gewann 1994 sogar den goldenen Otto der Jugendzeitschrift Bravo. Vorangegangen war die Veröffentlichung ihrer Coverversion von "Somewhere Over the Rainbow", die sich alleine in Deutschland 500.000 Mal verkauft hatte. Was für die einen der Höhepunkt der Techno-Bewegung war, war für andere die endgültige Kommerzialisierung. Und als plötzlich auch Dance-Acts wie Marc Oh auf der Mayday spielten, deren Musik alles war, nur kein Techno, verstanden viele die Welt nicht mehr.

Die Wirtschaft entdeckte derweil  die vielen jungen potenziellen Kunden. Viele Firmen verpassten sich ein schrilles Image und übernahmen ein Sponsoring für Partys. Jürgen LaarmannMayday-Mitbegründer und Herausgeber des ehemaligen Szene-Magazins Frontpage erklärte einmal dem Spiegel: "Die Zigarettenmarke Camel investierte Millionen, finanzierte damit auch die Loveparade und machte die "Mayday" lukrativ. Ein Sinnbild der Techno-Dekadenz dieser Tage war der "Camel Airrave": ein Flugzeug mit eingebautem Dancefloor, das Raver um den ganzen Erdball zu Partys schickte, die 'Tagesschau' berichtete - yeah!"

Protest gegen derartige Entwicklungen und die ausgerufene "Raving Society" kam etwa von der Wiener Hardcore-Techno-Formation Ilsa Gold. Chistopher Just und Peter Votava wurden 1993 eingeladen, bei der Mayday zu spielen - allerdings nur 15 Minuten. Das gefiel ihnen gar nicht. Und sie ließen ihre Tracks einfach abspulen, während sie an einer Joghurtmaschine standen. Ein Jahr später erzählte Ilsa Gold die Geschichte der Raverin Silke, die chemischen Aufputschmitteln anheimgefallen war. Neben Samples vom Peter-Cornelius-Hit "Süchtig" oder Karel Gotts "Fang das Licht" spielten sie immer wieder "Ecstasy hilft, die Mayday besser zu ertragen" ein und ließen die Bass Drum richtig gut krachen.

Auch wenn einige, die von Anfang an mit dabei waren, der Szene den Rücken kehrten, Raves schossen bis Mitte der 90er wie Schwammerl aus dem Boden. Es gab sie in alten Fabriken, Kulturzentren über Messehallen bis hin zu Wirtshaus-Sälen.

Feten, von denen jene, die damals dabei waren, immer noch schwärmen, waren jene unter dem Namen "Gazometer" in Wien. In einem Turm der mittlerweile zu Wohnungen und Einkaufszentrum umgebauten Gasometer hatten ab 1992 tausende Menschen Platz, der Sound soll wegen des zylindrischen Raums hallend-legendär gewesen sein. 1998 war Schluss, die Gasometer-Gebäude verwandelten sich in eine Baustelle.

Die Gazometer-Raves in den Wiener Gasometer-Türmen gelten für viele immer noch als legendär.

©Karl Thomas / Allover / picturedesk.com/Karl Thomas/picturedesk

Und auch wenn die Partys voll waren, zu dieser Zeit war schön langsam die Luft aus dem Rave-Ding draußen. Vom eigenen Erfolg erdrückt. Westbam sah einmal im Spiegel noch einen weiteren Grund. "Nach dem Mauerfall herrschte große Zuversicht, dass bald die ganze Welt zusammen befreit und glücklich in entspannten Demokratien nach westlichen Werten durch das Leben tanzen würde. Spätestens am 11. September 2001 war klar: Das funktioniert so nicht. In der Folge suchte sich auch das Nachtleben einen neuen Sound. Rückzug in die Clubs, keine aufdringliche Ravemusik mehr, lieber leises Minimal, das war die Stimmung."

Aufbruch im Berghain

Und in den Clubs, wo man sich zurückzog, begann bald wieder etwas neu aufzublühen. Und wieder war Berlin daran ganz nicht unbeteiligt. Was Anfang der 90er Clubs wie der Tresor oder das E-Werk waren, sollten beinahe 20 Jahre später die Bar 25, das ://about blank oder das Berghain sein. Letzteres drückt Techno mittlerweile weltweit seinen Stempel auf, hat aber zuletzt doch etwas an Sprezzatura eingebüßt, weil man schon sehr auf die eigene Coolheit Wert legt. Zwar nicht still und leise, aber zunächst doch von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt, fing Techno, der auch wieder hart sein durfte, ab den 2010ern an, erneut groß zu werden.

Und die DJs aus den Clubs legten auch wieder in Hallen auf. Das fanden Puristen eine Weile doch eher peinlich. So etwas gäbe es nur mehr bei EDM-Größen wie David Guetta und Konsorten, meinten sie. Aber das Blatt hat sich gewendet. Mega-Partys sind nichts mehr, wofür man sich schämen müsste.

Die Bedeutung der Mayday hat nachgelassen und Corona hat der 30er-Feier gehörig die Suppe versalzen. Dafür ist sie reif fürs Museums - aber nicht abwertend gemeint. Im Düsseldorfer Kunstpalast ist ihr in der Schau "Electro. Von Kraftwerk bis Techno" ein Platz  gewidmet.  Und immerhin hat sich den Weg bereitet für die großen Raves, die seit geraumer Zeit wieder schwer da sind. Das Awakenings in Amsterdam etwa, das - wenn Corona nicht gefährlich ist - an mehreren Tagen mehrmals im Jahr stattfindet, ist innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Die Besucher kommen aus der ganzen Welt - und sind begeistert, wenn in einem ehemaligen Gasbehälter Raketen über deren Köpfe hin- und herfliegen.

Und selbst in Wien, das sich seit dem Ende der Gazometer schwer mit großen Raves tat und internationalen Entwicklungen immer ein bisschen hinterherhinkt, hat es im Oktober in der Marx Halle unter dem Namen Rebelliøn eine bombastisch inszenierte Fete gegeben, die Warehouse-Feeling mit viel Technik-Aufwand kombinierte. Und die hat richtig eingeschlagen.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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