Comeback der Musik-Festivals: Ein Sommer wie damals

Jetzt geht’s wieder los: Livekonzerte, Festivals, unbeschwerte Tage, Euphorie - mit Tausenden von Freunden abfeiern. Die Festival-Saison ist eröffnet.

Fette Beats, meterhohe PA-Boxen, Pfandbierbecher schwenken, durch Marihuanaschwaden gehen, Sonne, Regen, verschwitzte oder völlig vergatschte fremde Menschen, mit denen man intensiven Körperkontakt hat, springt, tanzt, die Musik spürt, während man das Geschehen auf der Bühne über Riesenleinwände verfolgt, dazu fetttriefendes Langos und absurd überteuerte Pulled Burger – alles, was wir am Sommer lieben, ist endlich wieder möglich. Zum ersten Mal seit 2019, also seit unglaublichen drei Jahren.

Juhu! Fans am bisher letzten Nova Rock 2019

©APA/HERBERT P. OCZERET

Mit dem Nova Rock im burgenländischen Nickelsdorf geht’s los, darauf folgt ein langer Sommer größerer und kleinerer Events (siehe S. 50–52). Egal, für welche man sich entscheidet, das Motto lautet „genießen“, und zwar in vollen Zügen.

Yeah, crowdsurfing! Wir wollen wieder Körperkontakt wie hier beim letzten Frequency-Festival

©APA/HERBERT P. OCZERET

Und ja, was haben wir Musikschreibfritzen nicht immer gejammert und geschimpft, langweilig! und unnötig! vom Balkon gerufen wie Waldorf und Statler in der Muppet-Show. Weil doch jedes Jahr dieselben Bands den kompletten Festivalzirkus mitmachen, und deshalb quasi auf jedem Event quer durch Europa zu finden sind und blablabla. Das ist heuer V-Ö-L-L-I-G egal! Nach einer derart langen Pause gibt’s kein naserümpfendes „Schon wieder die!“. Wir gehen quasi jungfräulich in diese Sommersaison, jede Band ist neu, spannend und willkommen.

Placebo - in Österreich NUR beim Nova Rock

©APA/AFP/GUILLAUME SOUVANT

Ein derart euphorisierendes Gefühl, dass man sich beinahe bereit fühlt, gleich auch sich sonst hartnäckig haltende Genre-Dünkel über Bord zu werfen. Dosenbier-Rock auf dem Nova Rock? Check. Birkenstockhipsterpop vor der Karlskirche beim Popfest Wien? Check. Reggae in Wiesen, Afrika-Vibes beim Kasumama im Waldviertel und Elektro auf dem Lovely Days? Checkcheckcheck.

Festival-Spirit

Vielleicht sind wir mit dieser Einstellung ja gerade jetzt ganz nah dran am euphorischen Gefühl der Befreiung, das vor  genau 55 Jahren herrschte, als vom 16. bis zum 18. Juni mit dem Monterey-Pop-Festival in Kalifornien das erste, geschichteschreibende Großereignis dieser Art über die Bühne ging.

Gab’s vorher echt keine Festivals? Doch, ein paar schon, das Newport Folk Festival in Rhode Island etwa, wo seit den späten 1950ern ein charmanter Mix aus amerikanischen und internationalen Songwritern auftrat. Aber trotz Genre-Starpower wie Joni Mitchell, Joan Baez und Bob Dylan war es eher beschaulich, außerdem waren dort angeblich genau die Leute vertreten, die Bob Dylan nicht verzeihen konnten, dass er plötzlich elektrisch rockte.

Zeitzeugen sind sich jedenfalls sicher, dass es in Kalifornien war, auf der idyllischen Halbinsel von Monterey, knapp 200 Kilometer südlich von San Francisco, wo der echte Festival-Spirit geboren wurde. Der Spirit, der uns zwei Jahre später schließlich das legendäre Woodstock bescherte.

Das Line-up liest sich übrigens  bei den Festivals durchaus ähnlich –  genau wie bei etlichen anderen Events dieser goldenen Ära: Canned Heat, Big Brother and the Holding Company (Janis Joplin), Jefferson Airplane, Ravi Shankar, Grateful Dead, The Who, Jimi Hendrix. Kein neues Phänomen also, diese Redundanz auf den diversen Bühnen.

Wobei die Namen für uns heute beinahe olympisch klingen, damals aber waren Jimi Hendrix oder The Who in den USA noch keinesfalls übermäßig bekannt. Janis Joplin gelang beim Monterey Festival der Durchbruch, der 22-jährige Pete Townshend und seine britischen Kumpels machten sich bei den Amis unvergesslich, indem sie die Bühne demolierten.

Jimi Hendrix setzte gleich danach noch eins drauf, als er seine Gitarre in Brand steckte. Die Stimmung war doch ziemlich ausgelassen, vor 55 Jahren ...

Peace & Love & Rock ’n’ Roll

Damit sollten wir heuer vielleicht nicht rechnen – aber generell sind es ja auch die Good Vibes, die zählen. Energiegeladen, elektrifizierend, und trotzdem sommerlich entspannt. Diese einzigartige Kombination aus Urlaubsstimmung und Abenteuer macht den Zauber der Musik-Festivals seit damals aus – und genau das macht sie auch so unverwüstlich.

Österreich war bei diesem Trend damals nicht ganz vorne dabei, aber immerhin wurde auf einem Tennisplatz in Wiesen im Burgenland bereits 1976 das erste Jazz-Fest veranstaltet. 1.000 Zuschauer sahen unter anderem Urszula Dudziak, Peter Ponger und eine US-Band namens Fusion. Das Festival gibt es immer noch, beziehungsweise nach drei Jahren endlich wieder. Und bei Billy Cobham, Randy Brecker, Bill Evans werden es heuer am 16. Juli wohl um ein paar Tausend Zuschauer mehr sein.

Und hier Österreichs beste Events

Wir sind Wien, Wien, sämtliche Bezirke
Noch bis 23. Juni
Ein Festival im Woodstock-Sinn? Nicht auf den ersten Blick, dafür gibt es in allen Wiener Gemeindebezirken coole Gigs, und das – beinahe – täglich. Dazu gibt’s Foto-Ausstellungen, Popkultur-Literaten, Drag-Brunches, Picknicks, und damit schon so ein bissl Abenteuer-und-Freiheit-Gefühl. Besonders lässig: Die „Baulückenkonzerte“ mit Texta, Mira Lu Kovacs, Culk u.v.m. Oder das „Bootskonzert“ mit den famosen Oehl!

wirsindwien.com

Nova Rock, Nickelsdorf, Burgenland
9.–12. Juni
Yeah, Deichkind! Leider geil, und eine lässige Abwechslung zum traditionell gitarrenlastigen Aufgebot in Nickelsdorf. Nicht, dass Gitarren schlecht wären, wie hier u. a. die noch immer superklassen Placebo, Muse, KoRn, Maneskin, Bad Religion, Mando Diao, Volbeat und ja, die unverwüstlichen Sportfreunde Stiller beweisen werden.  
novarock.at

Donauinselfest, Donauinsel, Wien
24.–26. Juni
Gemma Insel? Eh klar, diese Kiste ist seit jeher ein Fest für ALLE. Kinderschminken & Co. ist natürlich auch beim großen Wiederanpfiff inkludiert, Literatur, Sport und Spaß detto. Musikalisch gibt’s eine einschneidende Neuerung: Die FM4-Bühne wurde eingestampft, stattdessen bespielen unsere liebsten Berufsjugendlichen heuer einen ganzen Tag lang die Hauptbühne. Und zwar sonntags. Mit  Eli Preiss, Mavi Phoenix, Jan Delay u.a. Der Samstag gehört mit Stefanie Werger, Umberto Tozzi und Peter Cornelius dem Schlager, Pop gibt’s am Freitag mit Mathea, Edmund und Nico Santos.

Außerdem freuen wir uns wirklich auf  Pippa, Solarjet, Tini Trampler, Zelda Weber und Marley Wildthing auf den verschiedenen Bühnen der Insel.
donauinselfest.at

Woodstock der Blasmusik, Ort im Innkreis, Oberösterreich
30. Juni–4. Juli
Sehr „special“ und sehr, sehr klass. Das, nach eigenen Angaben, größte Blasmusikfestival der Welt punktet nicht nur mit Atmosphäre, sondern auch mit einem unglaublich diversen Line-up, das die Bandbreite der „Blechmusi“ wirklich komplett abdeckt.

LaBrassBanda, folkshilfe, Erwin & Edwin, Pongauer Tanzlmusi, Russkaja, die baden-württembergische Brasserie.
woodstockderblasmusik.com

Electric Love Festival, Salzburgring, Hof bei Salzburg
7.–9. Juli
Auch schon eine echte Institution im Sommer, wenn’s um elektronische Beats und Dance-Mucke geht. Aber immer noch fresh, versteht sich. Fünf Stages, 160 Artists, und alles vertreten zwischen EDM, Tech House und Hip-Hop. Zum Beispiel der mehrfach Grammy nominierte Steve Aoki, der  Norweger Kygo, der schon von Coldplay und Ed Sheeran Remixaufträge erhalten hat, Legende Paul Kalkbrenner oder die charismatische Belgierin Charlotte De Witte.
electriclove.at

Clam Rock / Lovely Days, Burg Clam,  Oberösterreich und Schlosspark Esterhazy, Burgenland
8. & 9. Juli
Mehr Retro-Feeling kann man fast  nicht erleben, beide Locations sind atemberaubend schön, die Events quasi eine Zeitreise und genau im richtigen Ausmaß ein bissl schrullig. Smoke on the Water, Oida, quasi im Original, dazu Gypsy und Ballroom Blitz – geht scho gemma Voigas!

Gute Unterhaltung mit Deep Purple (mit Ian Gillan, Roger Glover und Ian Paice), Uriah Heep, The Sweet, Grandseigneur John Cale u.a.
clamlive.at, esterhazy.at

MetaStadt Open Airs, Ehemalige Elin Werke, Wien 22
9.–17. Juli
Kein Festival im klassischen „Monterey“-Sinn,  aber eine Serie von klassen Open-Air-Konzerten in einem wirklich coolen alten Industriegelände,  bei denen zumindest abendweise durchaus Festivalstimmung aufkommt – und man nachher dennoch im bequemen eigenen Bett schlafen kann, statt im Schlafsack unter der Zeltplane.

Mit dem grandiosen Michael Kiwanuka, Alt-J, Element of Crime, Steiner & Madlaina, Cro, The Kooks, My Ugly Valentine, Thees Uhlmann & Band u.v.a.
metastadtopenairs.com

Glatt & verkehrt, Krems, Spitz, Göttweig,
Niederösterreich
15.–31. Juli
Seit 25 Jahren eines der spannendsten musikalischen Sommerereignisse. Das Line-up bietet regelmäßig sowohl einen Blick auf die kreative heimische Szene als auch weit über unsere Grenzen hinaus. Südamerika, Afrika, der Osten, der Norden – die ganze Welt ist hier zu Gast. Ein echtes Erlebnis. Natürlich auch heuer wieder: Archie Shepp, rasantes Balkanblech mit dem Džambo Aguševi Orchester aus Nordmazedonien, jede Menge südamerikanischer Rhythmen, etwa bei Österreich-Debüt der international hoch gehandelten Band Ayom –, und Otto Lechner spielt das komplette Pink Floyd-Album „Dark Side of the Moon“. Auf seiner Ziehharmonika. Allein. Und natürlich darf  Blues-Dandy Ernst Molden nicht fehlen – diesmal mit dem Frauenorchester. Spannend.
glattundverkehrt.at

Jazz Fest Wiesen, Wiesen, Burgenland
16. Juli
Mit der Modern Standards Supergroup steht heuer ein echter Kracher auf der Bühne. Immerhin gehören Bill Evans, Randy Brecker, Billy Cobham, Linley Marthe und Niels Lan Doky zu dieser außergewöhnlichen Combo. Außerdem: Kenny Garrett, Gerald Gradwohl Group, Antonio de Padua Quintett.
wiesen.at

Afrika Tage, Donauinsel, Wien
22. Juli – 18. August
Eines der größten Afrika-Festivals in Europa, jede Menge Marktstände, Kunsthandwerk, Schmuck, Mode und Musik. Hat auch kulinarisch was zu bieten, da haben wir Afrika ja leider noch immer zu wenig auf dem Radar – also nichts wie hin. Der Eintritt vor 17 Uhr kostet nur zehn Euro, ein echtes Schnäppchen.

Damit kann man dann auch den musikalischen Abend genießen, Damien „Jr. Gong“ Marley zum Beispiel, Nneka, Steel Pulse, Sona Jorbateh – oder vielleicht den Ghana Minstrel Choir!
wien.afrika-tage.de

Popfest Wien, Karlsplatz, TU, Wien
28.–31. Juli
Nicht ganz so viele Highlights wie gewohnt, aber die Atmosphäre, vor allem am „See“ vor der Karlskirche ist einfach fantastisch, das zählt. Sowie die simple Möglichkeit, Dinge wie das Popfest endlich wieder zu erleben! Und ja doch, ein paar echte musikalische Erlebnisse gibt’s schon auch: My Ugly Clementine, At Pavillon, Ebow, Avec, Keke, Madame Baheux, Dramas, Wurst – und ja, Paenda, die ist wirklich super, der ESC hatte sie gar nicht verdient!
popfest.at

One Love Festival, Wiesen, Burgenland
5.–6. August
Reggae, Dancehall, DJs – Karibik im Burgenland, das passt voll. Das Line-up hat’s auch in sich, u. a. stehen Julian Marley, Max Romeo und die superleiwanden Mono & Nikitaman auf der Bühne.
onelovefestival.at

FM4 Frequency, St. Pölten, Niederösterreich
17.–20. August
Seit genau 20 Jahren DER Platzhirsch in Sachen Rock und Indie, mittlerweile geht’s auch scharf in Richtung Elektro und Hip-Hop. Dementsprechend der Headliner am Donnerstag: Raf Camorra, davor Bones MZ, Jason Derulo und die Altspatzen von Cypress Hill. Weitere Highlights: Bilderbuch, Von Wegen Lisbeth, Anne-Marie und AnnenMayKantereit. Wer tatsächlich Young Hurn sehen will, wird auch bedient. Freuen darf man sich dagegen auf Noah Cyrus und folkshilfe auf der Red Bull Stage.
frequency.at

FM4 Frequency: richtig gute Festivalstimmung. Wenn das Wetter mal passt ...

©APA/HERBERT P. OCZERET

Picture On Festival, Bildein, Güssing, Burgenland
12.–13. August
Klein, fein, fair – und hemmungslos sympathisch. Das Festival punktet mit Umweltnachhaltigkeit, Shuttle-Bussen von Wien und Graz – und einem spannenden Programm: Moop Mama, Wallis Bird, Kersosin95, Anti Flag, Steaming Satellites, Alicia Edelweiß u. v. a.
pictureon.at

Kasumama Festival, Moorbad Harbach, Niederösterreich
17.–21. August
Ein bezauberndes Afrika-Dorf zwischen Wackelsteinen und Wäldern, sehr klasses Kunsthandwerk und ausgezeichnete Kulinarik, Trommel-, Tanz- und Ngoni-Workshops, ein Badesee auf dem Gelände – hier kommt echtes Festival-Feeling auf. Die Stimmung ist familiär, die Bands durchaus spektakulär, Dobet Gnahoré (Elfenbeinküste), Chiwoniso Maraire (Zimbabwe), der preisgekrönte Sekou Kouyaté (Mali) spielten hier schon, das aktuelle Programm gibt’s demnächst.
kasumama.at

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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