Kate Winslet: „Auch ich habe mich manchmal alleine gefühlt“

Die Schauspielerin über Familie, Work-Life-Balance und Frauen in den besten Jahren, die in der Filmbranche endlich Aufwind bekommen.

Kate Winslet nimmt die Dinge gerne selbst in die Hand. Auch jetzt. Bevor sie sich auf das Sofa in der Hotel-Suite fallen lässt, sucht sie nach einem Flaschenöffner, schenkt ein und nimmt einen kräftigen Schluck Mineralwasser. „Schön, hier zu sein. Danke, dass sie sich Zeit nehmen“, sagt die Schauspielerin so überzeugend, dass einem gar nicht in dem Sinn kommt, es könnte bloß eine freundliche Floskel sein. Die 46-Jährige ist so was von authentisch – im Film genauso wie in ihrem ausgefüllten Leben.

Ehefrau, drei Kinder, viel beschäftigte Schauspielerin – woher nehmen Sie bloß die Energie dafür? Relaxen ist ja nicht so Ihr Ding.

Stimmt, ich bin aber schon etwas besser darin geworden. Trotzdem, ich bin einfach nicht der SPA-Typ, mache niemals Wellnessreisen oder Ähnliches. Am besten entspanne ich, indem ich bewusst abschalte, mich auf meine Couch setze und eine gute Tasse Kaffee oder Tee genieße, immer mit den Hunden um mich. Oft auch mit meinem jüngsten Sohn, dem ich Geschichten vorlese. So zelebriere ich Entspannung.

Entschleunigung als bewusste Entscheidung?

Sagen wir mal so, ich achte heute darauf, nicht mehr so viel zu arbeiten, wie in meinen Zwanzigern oder Dreißigern. Meine Kinder befinden sich in verschiedenen Lebensphasen. Da braucht mich jeder für unterschiedliche Dinge. Ich bin mir sicher, dass ich im Rückblick einmal sagen werde: Wie gut, dass ich mir damals eine Pause für dies und das, vor allem für meine Familie genommen habe. Es war ein guter Abschnitt auch ohne Arbeit.

Spielt Sport in Ihrer persönlichen Live-Work-Balance auch eine Rolle?

Unbedingt, ich bin begeisterte Schwimmerin und im Wasser in meinem Element. Gott sei Dank leben wir direkt am Meer. Vor allem mein Mann Ned ist stets beim Segeln, Schwimmen oder mit anderen Wassersportarten beschäftigt. Auch ich versuche, jeden Tag zu schwimmen, selbst im Winter. Das kälteste Gewässer, in das ich mich je gewagt habe, hatte 4,5 Grad Celsius. Das war in Norwegen. Verrückt, nicht wahr?

Leben ganz nah an der Natur, klingt idyllisch!

Das ist es. Wir schauen morgens aus dem Fenster. Wo ist das Meer? Ok, noch da, dann schnell raus. Oder aber: zu spät, Gelegenheit verpasst. Ned und ich scherzen oft, dass man eigentlich eine Gezeitenuhr entwickeln müsste.

Vielleicht wird das technisch einmal möglich. Beim Film ist der Fortschritt jedenfalls rasant. Wie hat das Ihren Job verändert?

Ich war Teil des ikonischen Films Avatar, der ein Meilenstein virtueller 3-D-Kameratechnik war. Es ist eine unerhört faszinierende Erfahrung, was mit Computern auch im Filmbusiness heutzutage möglich ist.

Macht das auch Angst?

Ich erinnere mich, dass Leute gesagt haben: Es wird eine Ära kommen, in der sie keine Schauspieler mehr benötigen werden. Ich denke, das wird so nicht passieren. Es wird immer Schauspieler brauchen, um echten Ausdruck und Emotionen wahrhaft zu vermitteln. Und James Cameron hat ja bewiesen, dass man beides wunderbar verbinden kann. Die Story geht übrigens weiter, Teil 3 und 4 von Avatar sind schon in den Startlöchern.

Und wie technikaffin sind Sie selbst?

Gar nicht so sehr. Ich bin überhaupt kein Computer-Freak. Ich versuche auch nicht ständig auf mein Phone zu schauen, bemühe mich sogar ganz bewusst, es so wenig wie möglich zu benutzen beziehungsweise online zu sein. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich bis heute in keiner der sozialen Medien vertreten bin.

„Eleganz ist Selbstbewusstsein“, sagt Longines-Markenbotschafterin Kate Winslet  

©Longines
Dafür sind Sie als „Botschafterin der Eleganz“ aber doch modisch interessiert? Wie definieren Sie Eleganz für sich?

Das hat sich sehr verändert. Eleganz ist nicht mehr das Gleiche wie vor zehn, zwanzig Jahren. Damals war das vor allem ein Synonym für Frauen, die fein und luxuriös gekleidet waren. Im Gegensatz zu heute, wo jeder sein eigenes Konzept von Eleganz hat. Für mich ist es ein Ausdruck dafür, sich stark und mächtig zu fühlen, geht also Hand in Hand mit Kraft und Selbstbewusstsein.

Sie sind seit 30 Jahren im Filmbusiness. Wie schwierig ist es, mit zunehmendem Alter gute Rollen zu bekommen?

Wir leben heute erfreulicherweise in einer Welt, in der Frauen auch gerne interessante Geschichten über andere Frauen hören und miterleben möchten. Wir sehen endlich mehr Regisseurinnen und Autorinnen. Dadurch gibt es auch mehr von Frauen getriebene Stücke. Drehbücher mit den immer gleichen stereotypen Rollen wie der Geliebten, der Ehefrau oder der älteren Mutter werden gottlob immer weniger. Im Gegenzug gibt es eine Menge interessanter, sehr kraftvoller Storys über Frauen im Alter 40, 50, 60 plus. Ich finde es sehr aufregend, heute eine Schauspielerin mittleren Alters zu sein. Es ist jetzt eine gute Zeit für mich. Dafür bin ich dankbar.

Und jüngere Schauspieler? Wie schätzen Sie deren Karrierechancen ein?

Das Film- und Fernsehbusiness wächst enorm. Es gibt so viele Streaming-Dienste, Channels, Programme wie nie zuvor, und damit auch mehr Rollen für junge Schauspieler. Alleine wegen des riesigen Contents ist jetzt wohl die beste Gelegenheit seit Langem, in der Branche Fuß zu fassen.

Ich finde es sehr aufregend, heute eine Schauspielerin  mittleren Alters zu sein. Es gibt so viele interessante, kraftvolle Storys über und für Frauen im Alter 40+.

In der Filmindustrie verändert sich also einiges, auch die Führungskräfte?

Denke schon. Alleine die Casting-Direktoren sind heute viel aufgeschlossener als früher. Rollendenken ist heute nicht mehr so stark an Schubladendenken geknüpft. Früher hieß die Rollen-Descripition: junges weißes Mädchen oder: junges weißes Mädchen. Hier ist man mittlerweile doch weitaus differenzierter und weltoffener geworden.

Würden Sie gerne auch selbst Nachwuchsschauspieler unterrichten?

In gewisser Weise tue ich das in meinem Daily Business ohnehin. Ich liebe die Zusammenarbeit mit jungen Kollegen, unterstütze sie wo auch immer. Viele sind nervös, aufgeregt. Das Filmgeschäft kann ja auch ganz schön beängstigend sein. Man muss sich nur an die eigenen Anfänge erinnern. Auch ich habe mich manchmal alleine gefühlt, selbst dann, wenn man einen Regisseur hatte, der Mut machte. Jeder leistet bessere Arbeit, wenn er unterstützt wird. Aber letztlich ist man, wenn die Kameras laufen, doch ganz auf sich alleine gestellt, muss dann emotional stark und selbstbewusst sein.

Wie schnell entscheiden Sie sich für eine neue Filmrolle?

Ganz ehrlich? Ziemlich spontan! Ich entscheide das wirklich oft sehr intuitiv. Erst jüngst habe ich zu einem Projekt Ja gesagt, das nächstes Jahr aktuell wird. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich diese Rolle tatsächlich umsetzen werde, aber sie ist absolut brillant und so ganz anders als alles, was ich bisher gespielt habe.

Ein entscheidendes Auswahlkriterium wird es aber doch geben?

Mich begeistern gute Geschichten. Wenn ich eine Story laut lese und dabei diesen gewissen Spirit spüre, weiß ich: Das wird eine große Sache und freue mich darauf.

 

Welche Rolle, die Sie zuletzt übernommen haben, hat sie derart begeistert?

"Mare von Easttown"! Selbst jetzt, wenn ich nur an die Rolle dieser ungewöhnlichen Polizeiermittlerin denke, macht sie mir immer noch Angst. Diese Figur ist mir so was von unter die Haut gegangen, ja, wurde zeitweise sogar Teil meines Lebens. Das lag zweifellos an diesem intensiven Charakter, an der starken, brillant geschriebenen Geschichte und einer Reihe wirklich guter Schauspieler, die in der Serie mitgewirkt haben.

Gedreht wurde die Miniserie während der Pandemie. Wie kompliziert war das?

Es war teilweise absurd. Gestartet haben wir mit „Mare of Easttown“ im September 2019, fertig gespielt habe ich den Charakter der Ermittlerin Mare Sheehan Ende Dezember 2020. Dabei hatten wir, als Corona losging, nur noch fünf Wochen Drehzeit vor uns, es war also fast geschafft. Es war schon eine gewaltige Challenge nach so vielen Monaten Pause an diesem schwierigen Charakter wieder nahtlos anzudocken.

Was waren die Herausforderungen bei dieser Ermittlerinnenrolle?

Alles! Die Figur war äußerst speziell und dadurch immens anspruchsvoll. Der Akzent, der eigenwillige Charakter, ja die ganze Serien-Atmosphäre, selbst das Make-up und der Style der Hauptfigur waren eine einzige große Herausforderung.

Eine Kate Winslet also, wie wir sie so noch nie gesehen haben?

Absolut. Das Publikum weiß natürlich, wie ich normalerweise klinge, spreche, aussehe. Um diesen starken Charakter wirklich glaubhaft rüberzubringen und um die Leute Kate Winslet endgültig vergessen zu lassen, dafür musste ich sehr überzeugend sein.

Zur Person

Zur Person

Kate Winslet (geb. 1975) wurde als "Rose" in James Camerons "Titanic" berühmt. 2009 wurde sie für ihre Rolle als Hanna Schmitz in der Literaturverfilmung "Der Vorleser" mit dem Oscar ausgezeichnet. Kate Winslet hat drei Kinder aus drei Ehen. Seit 2012 ist sie mit Ned Rocknroll, Neffe des Milliardärs Sir Richard Branson, verheiratet.    
 

Wie lange hat es gedauert, sich danach wieder von der Rolle zu lösen?

Zu meiner eigenen Überraschung sehr lange, gut ein Jahr. Das war schon eine seltsame Erfahrung für mich, denn ich bin absolut kein klassischer Method-Actor. Natürlich identifiziere ich mich mit meinen Rollen und will einen Job niemals versauen. Aber „Mare“ hat mich wirklich gepackt. Bei den ersten Presseterminen zur Serie fiel es mir schwer, über die Rolle zu sprechen, musste sogar Interviews unterbrechen und sagen: Sorry Guys, wir machen später weiter.

Eine bedrückende Rolle inmitten einer bedrückenden Weltlage. Wie gut schläft man da eigentlich noch?

Ich schlafe ausgezeichnet. Das Einzige, das mich manchmal wachhält, ist, wenn Ned wieder einmal arg schnarcht. Spaß, ich kann Ängste oder Sorgen gut verarbeiten. Apropos Schlaf: Dazu haben wir jetzt sogar ein Familienprojekt gestartet. Mein Mann und ich versuchen, regelmäßigere Schlafenszeiten einzuhalten, indem wir zu den Kids sagen: Ok Leute, jetzt aber Licht aus! Leider sind wir nicht wirklich erfolgreich damit. Aber wir versuchen zumindest, mehr zu schlafen. Wenn es sein muss, komme ich aber auch mit nur sechs Stunden aus.

Machen Sie sich denn gar keine Sorgen über die Zukunft?

Warum Sorgen machen? Das Leben ist so kurz. Die Weisheit ist von meinem Vater und mittlerweile mein Lebensmotto.

Cordula Puchwein

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