Jim Morrison wäre 80 geworden: Jung gestorben, ewig jung

Der Sänger der Doors war Rockstar und Rebell, düster und dramatisch, Sexsymbol und Sinnsucher. Und manche halten ihn sogar für noch quicklebendig.

Mit struppig-grauem Bart, flackerndem Blick, unversöhnlich geblieben, ein alter wilder Mann. Jim Morrison als greiser Rockgott. Der aus der Einsamkeit der Mojave-Wüste oder einem Hotelzimmer in Paris via YouTube wirre Gedichte hinaus in den Äther bläst. Würde er uns heute so begegnen?

Ganz getreu seinem Motto „Mich interessiert alles, was mit Revolte, Unordnung, Chaos zu tun hat – ganz besonders Handlungen, die scheinbar keinen Sinn haben.“ Jim, der ewige Revolutionär.

Doch die Revolution frisst meist ihre Kinder. Vielleicht hätte der Sänger der Doors sich mit den fortschreitenden Jahren ja auch zähmen lassen. Und Morrison würde durch die Talkshows tingeln und sich auf der Couch bei Oprah Winfrey über die wilden Sixties ausbreiten. Bücher mit Botschaft schreiben. Sich bei Castingshows feiern lassen.

Wir wissen es nicht, spannend wäre es allemal – wie jene Bilder, die das Internet fluten und auf denen Künstliche Intelligenz für uns imaginiert, wie Legenden wie Queen-Sänger Freddie Mercury oder Beatles-Star George Harrison heute wohl ausgesehen hätten, mit Brille und altersmildem Blick, tiefe Furchen eines bewegten Lebens im Gesicht. Daraus spricht die Sehnsucht, etwas zu bewahren, das nicht zu bewahren gewesen ist. Am 3. Juli 1971 erlag Jim Morrison seinen Exzessen und starb in einer Badewanne in Paris an einer Überdosis Heroin. Dieser Tage wäre er 80 Jahre alt geworden.

Aussteiger auf den Seychellen

Wenn er nicht noch am Leben ist? Auf eine Obduktion durch einen Gerichtsmediziner wurde verzichtet und vier Tage später schon lag der Frontmann unter der Erde. Ziemlich lange wurde ernsthaft erwogen, dass Morrisons Tod nur eine Mär sei. Biografen stellten die Theorie auf, er hätte alles vorgetäuscht, um Ruhe zum Verfassen seiner Lyrik zu finden. Noch 2007 behauptete Sam Bernett, der Sänger sei zwar am Heroin, aber eigentlich ganz woanders verblichen: am Klo seines Pariser Nachtklubs mit dem Namen „Rock ’n’ Roll Circus“. Weil er nicht wollte, dass sein Lokal mit einem Drogentod in Verbindung stehe, habe man Morrisons Leichnam in dessen Appartement geschafft.

Fantastische Vier: Robby Krieger (Gitarre), John Densmore (Drums), Ray Manzarek (Orgel) und Jim Morrison – The Doors

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Selbst Ray Manzarek, der Organist der Doors, der hinter dem berühmten Hammond-Sound der Band und Intros wie von „Light My Fire“ steckte, beteiligte sich an den Verschwörungstheorien. So gab er an, kurz bevor Morrison starb, hätte dieser ihm noch ein Reiseprospekt über die Seychellen gezeigt. Und sicherheitshalber noch angefügt, das Eiland wäre wohl der perfekte Fluchtort, wenn alle annehmen würden, man sei tot. 

Aber gut, auch Elvis Presley wurde ja einst einen Tag nach seinem Ende angeblich beim Einsteigen in einen Flieger nach Buenos Aires gesichtet. Vielleicht ist deshalb der Pariser Künstlerfriedhof Père Lachaise, auf dem Jim Morrison im prominenten Umfeld von Balzac, Camus oder Moliere begraben liegt, auch immer noch ein Wallfahrtsort für seine Fans: Legenden ist es nicht erlaubt zu sterben.

Rastloser Grenzgänger

Dass Morrisons Legendenstatus kein Ablaufdatum erkennen lässt, ist seiner Musik wie seinem Leben gleichermaßen geschuldet. Schon die Debütsingle der Doors 1967 brach sich im Gehörgang Bahn wie ein Bulldozer auf Speed: Wer je den Songeinstieg mit seinem fiebrigen Rhythmus gespürt und dazu die trotzig krakeelnde Stimme Morrisons vernommen hat, ahnte sogleich: Das ist das Säbelrasseln einer Band, die aufs Ganze geht. „You know the day destroys the night / Night divides the day ...“ – der Tag vernichtet die Nacht, und die Nacht zerteilt den Tag. „Break on Through (To the Other Side)“, bei dem die Doors sich ordentlich an Ray Charles’ „What’d I Say“ bedient hatten, war ein Offenbarungseid der Rastlosigkeit.

Und ein Fingerzeig ins Rauschhafte Des-sich-Verlierens, in der psychodelischen Flower-Power. Ray Manzarek, den Orgler, hatte Morrison auf der Filmschule kennengelernt, danach stießen John Densmore (Schlagzeug) und Robby Krieger (Gitarre) hinzu. Auf einen Bassisten verzichtete die Band.

High & Higher

Das erste Album „The Doors“ war eine Sensation. „Light My Fire“, die zweite Single schoss in Amerika gleich auf Nummer eins. Und positionierte Morrison und seine Mannen als Antipoden zu den Moralaposteln der bürgerlichen Gesellschaft. Wieder ließ die Band, Eklektiker vor dem Herrn, sich ordentlich inspirieren, diesmal von Bach und „Blueberry Hills“ von Fats Domino. Mit seinen weitläufigen Soli dauerte das Stück, aus der Not heraus und von Gitarrist Krieger komponiert, länger als sieben Minuten. Für heutige Formatradios ein Alptraum.

Enigmatisch und faszinierend auch der Text. Drogen verherrlichende Hymne oder doch ein verklausuliertes Liebeslied, darüber darf hier gerätselt werden, bevor alles im erlösend-ekstatischen Refrain „Come on, Baby, light my fire“ kulminiert.

Und der, zu Zeiten als das Fernsehen noch geschnäuzt und gekampelt auftrat, für einen Skandal sorgte. Die Ed-Sullivan-Show war damals das Um und Auf. Wer berühmt war (oder werden wollte) musste hier auftreten, dann konnten schon mehr als 70 Millionen (wie bei den Beatles) zusehen. Zwei Jahrzehnte lang entschied ein Auftritt bei Sullivan über Wohl und Wehe einer Karriere. 

Morrisons Auftritt wollte man entschärfen: Die Textzeile „Girl, we couldn't get much higher“ – das war, egal wie man es interpretierte, ein Problem. Aus „higher“ sollte also „better“ werden. Doch Jim Morrison, in schwarzer Lederkluft, während der Rest der Band in Weiß auftrat, sang live natürlich die Originalversion. Angeblich aus Nervosität. Doch Morrison war unberechenbar, widerspenstig gegenüber Autoritäten und impulsiv. Den Ärger nahm er in Kauf. Genauso wie er Buick androhte, eines ihrer Autos bei einem Konzert mit dem Vorschlaghammer zu malträtieren, sollte die Marke sich erdreisten, „Light My Fire“ für einen Werbespot einzusetzen. Try to set the night on fire!

Heroin gegen Husten

Die Auflehnung gegen Obrigkeiten war unabdinglicher Bestandteil von Morrisons Charakter. Die Rebellion gegen den Vater, einen hochrangigen Marineoffizier, ebnete den Weg für jede weitere. Als dieser die Musikerpläne seines Sohns kritisiert, bricht der den Kontakt ab. Der Mutter verweigerte der Vater bei einem Konzert ein Aufeinandertreffen. „Die wichtigste Art von Freiheit ist zu sein, wer du wirklich bist.“

Die konsequente Fortsetzung fand das alles in den dramatisierten Performances: Jim Morrison, Freund von Schnaps und LSD, beeinflusst von Dichtern wie Jack Kerouac und Arthur Rimbaud, Grenzgänger und Sexsymbol, war gelebter Protest, der Dorn im Auge der Sittenwächter, dessen Konzerte von Polizisten bewacht werden mussten. Und der es dann tatsächlich schaffte, in New Haven 1967 direkt auf der Bühne verhaftet zu werden. Für ein Konzert in Miami 1969 wurde er der „unzüchtigen Entblößung“ bezichtigt. Danach, drogenabhängig, übergewichtig und mit Rauschebart, entflieht ihm das Image des von Spiritualität durchtränkten Sexgottes. Der Absturz beginnt.

Große Liebe: Morrison und Pamela Courson, die bei seinem Tod in Paris an seiner Seite lebte. Sie starb drei Jahre später selbst an einer Überdosis. Beide wurden nur 27

©Getty Images/Estate of Edmund Teske/Getty Images

Die große Liebe des Lizard Kings (wie er sich in einem seiner Gedichte nannte, „I can do anything“) säumt dennoch stets seine Seite. Mit Pamela Courson lebt er in Paris, gegen Husten nimmt er Heroin. Das geht schlecht aus. „Keiner kommt hier lebend raus“, der Textzeile aus „Five to One“ folgt er ungebührend frühzeitig. Wie Janis Joplin oder Jimi Hendrix reiht er sich ein in den „Club 27“, als er mit 27 stirbt. Geblieben ist er bis heute eine Galionsfigur der Gegenkultur. Als Verirrter auf Spurensuche nach sich selbst und laszives Bühnentier wirkt er als Blaupause für spätere Rock-Rebellen von Iggy Pop bis Eddie Vedder. „Ich sehe mich als intelligenten, sensiblen Menschen mit der Seele eines Clowns, die mich immer in den wichtigsten Momenten zwingt, es zu vergeigen“, sagte Jim Morrison einmal. Sein mythisch verklärtes Ende hatte er stets vor eigenen Augen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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