Iris Berben

Iris Berben: "Ich habe mich mit mir versöhnt"

Die Schauspielerin im Interview über die Unterschiede zwischen Frauen heute und ihrer Generation, den Sinn von Kunst in Zeiten der Krise und über Gedanken an den Tod.

Fünf Menschen, ein Auto – und alle dicht aneinander gedrängt in einem Taxi von München nach Hamburg: In der Komödie "791 km" muss eine bunt zusammengewürfelte Schicksalsgemeinschaft erst lernen, miteinander klarzukommen. Alter, Lebensgeschichte, Ansichten – alles könnte unterschiedlicher nicht sein. Mittendrin: Iris Berben als Alt-68erin, die an Demenz leidet.

Sie ist eine Ausnahmeerscheinung. Junge Rebellin und ewige Schönheit, Komödiantin und Charakterdarstellerin, dazu politische Aktivistin: Iris Berben ist einer der großen Stars im deutschsprachigen Film (aktuell glänzt sie auch als Holocaust-Überlebende in der hochgelobten Miniserie "Deutsches Haus"). Ein Interview über Cancel Culture, Frauen von heute und ihre Gedanken an den Tod.

Frau Berben, man erlebt im Taxi mitunter die verrücktesten Dinge, wie man in Ihrem Film sehen kann. Geht es Ihnen da ähnlich? 

Ich habe keine skurrilen Erlebnisse in Taxis gemacht. Nur eine Fahrt ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil es die längste war: Ich musste einst in Rom zwischenlanden, weil das Flugzeug von einem Blitz getroffen wurde. Weiter nach Neapel ging es per Taxi.

Es heißt, man lernt eine Stadt erst so richtig durch seine Taxifahrer kennen ... 

Und Wien ist gesegnet mit seinen Taxifahrern. Ich habe festgestellt, die Fahrer sind über die gesamte kulturelle Palette informiert: Sie wissen, was in Theater, Kino und Oper gespielt wird und sind selbst daran interessiert. Das kenne ich von Berlin nicht, auch nicht von München. Und auch der Ton, der dort angeschlagen wird, ist härter.

Im Film treffen Menschen mit völlig unterschiedlichen Einstellungen zum Leben aufeinander. Sind Sie selbst jemand mit Lust auf Meinungsaustausch, oder haben Sie lieber Ihre Ruhe?

Ich denke, jeder hat die Berechtigung, sein Leben so zu gestalten, wie er möchte. In einem Restaurant allerdings, wenn meine Sitznachbarn mich absolut nicht interessieren und ich das Gefühl habe, ich verschwende meine Lebenszeit, könnte es sein, dass ich das Restaurant verlasse. Wenn eine Situation jedoch kein Entkommen zulässt, ist der beste Weg die Kommunikation. Dann passiert hoffentlich dasselbe wie im Film: Vorurteile lösen sich in Luft auf, eben weil man miteinander redet. Jeder hat seine eigenen Erfahrungen gemacht und handelt danach. Mein Tipp ist also: Redet mehr miteinander!

Gleichzeitig fällt im Film öfter der Satz: „Das darf man nicht mehr sagen.“ Fällt es Ihnen manchmal schwer, zu beurteilen, was man angeblich noch sagen darf und was scheinbar nicht?

Ja, sicher fällt mir das schwer, weil für manche plötzlich etwas infrage steht, das für mich selbstverständlich ist. Aber gut, wir befinden uns schon lange in Veränderung: unsere Gesellschaft, unsere Demokratie, unsere Sprache. Die Demokratie müssen wir gerade aufs Neue verteidigen und hoffen, dass sie bestehen bleibt. Was die Sprache betrifft: Ich bin eher jemand, der dafür plädiert, bestimmte Stellen nicht aus Kinderbüchern oder Filmen zu streichen und so zu tun, als gäbe es sie nicht.

Warum?

Ich verstehe zwar den Gedanken dahinter: Zu zeigen, dass jeder in dieser Gesellschaft Platz hat, egal welche Hautfarbe, Religion oder sexuelle Vorliebe. Der Weg dorthin ist mir nur manchmal zu radikal. Weil wir Menschen, die ohnehin bereits verunsichert sind, damit noch mehr verunsichern.

Vielleicht wäre manchmal mehr Geduld angebracht im Umgang mit Sprache?

Wir brauchen Geduld, aber keiner hat sie. Aber selbstverständlich verändert Sprache sich. Die junge Generation wächst bereits damit auf, geht damit um. Wir Reptilien, die wir da noch rumkeuchen, plus die Lernunfähigen, die muss man aber bei der Hand nehmen und ihnen etwas genauer erklären, warum Sprache sich verändern soll.

Zwei Frauen, zwei Generationen: Iris Berben und Nilam Farooq in „791 km“

©PANTALEON Films

Wie stehen Sie der Frauengeneration von heute gegenüber? Verorten Sie Ähnlichkeiten zu Ihrer Generation, etwa was die Suche nach Selbstbestimmung angeht – oder stehen Sie ihr manchmal mit Unverständnis gegenüber?

Ich würde schon mal unterscheiden zwischen Selbstbestimmung und Selbstoptimierung. Selbstoptimierung ist aktuell sehr angesagt. Selbstbestimmung halte ich für wichtiger. Dafür bin ich in den Sechzigerjahren schon auf die Straße gegangen. Ich hätte geglaubt, der Großteil der Frauen heute präsentiert sich schon selbstbewusster und selbstbestimmter. Das ist leider wenig der Fall. Es gibt viel Verunsicherung. Das lässt uns erkennen: Es reicht nicht, etwas erreicht zu haben, man muss an bestimmten Themen dranbleiben. Und sie der nächsten Generation mit ihren Möglichkeiten vermitteln und ihrem Verständnis zugänglich machen.

Nilam Farooq spielt in „791 km“ eine junge, fokussierte Karrierefrau. Wie denken Sie an sich zurück in ihren 20ern, 30ern?

Das ist meilenweit von mir entfernt. Ich komme aus einer anderen Zeit. Vergessen Sie nicht, bis 1972 musste man in Deutschland als Frau den Ehemann fragen, ob man arbeiten darf. Das Gleiche galt, wenn man ein Konto eröffnen wollte. Es gab damals zwar dieselben ernsthaften Anliegen: Wir haben versucht, das Frauenbild in der Gesellschaft zu verändern und selbstbestimmt zu sein. Wir hatten Forderungen und Manifeste. Allerdings gingen wir spielerischer mit den Themen um. Aber vielleicht ist das auch nur Verklärung.

Schönheit mit Charakter: Iris Berben in den 70ern.  „Ich hätte geglaubt, Frauen präsentieren sich heute schon selbstbewusster und selbstbestimmter. Das ist leider wenig der Fall“ 

©imago images/United Archives/United Archives/imago images

Wie haben sich die Zeiten noch verändert?

Die Spielwiese ist größer geworden. Wir sind nicht mehr unbeachtet, im Gegenteil, wir stehen unter ständiger Beobachtung. Was vor allem dem Handy zu verdanken ist, das vielen zum Freund wird, zum Kommunikator, oder der Selbstbeweihräucherung dient. Ich verteufle das nicht. Aber der allgemeine Umgang mit diesem kleinen Apparat ist schon bemerkenswert. Und um auf die Rolle von Nilam zurückzukommen ...

... und die jungen Frauen und wofür sie stehen, heute und damals ... 

Nilam verkörpert jemanden, der sehr kalkuliert mit seinem Leben umgeht, eine Eigenschaft, die ich heute an vielen jungen Frauen feststelle. Das geht bis zum Einfrieren der Eizellen zur Erfüllung des Kinderwunsches zu einer bestimmten Zeit. Für mich stellt das eine Art zu leben dar, die mir sehr fremd ist. Ich bin jemand, der gerne auf Unvorhergesehenes reagiert und sich mit Dingen lieber unvorbereitet auseinandersetzt. Ich will diese klare Planung nicht im Leben. Aber es ist eine andere Zeit, eine andere Generation, das gilt es zu respektieren und zu akzeptieren. Und man muss ja nicht selber so leben.

„Ich weiß, ich habe jetzt noch ein paar gute Jahre vor mir. Und in dieser Zeit will ich eher daran arbeiten, dass Dinge sich verbessern als umgekehrt.“

Ich hatte bei Ihnen stets das Gefühl, dass Sie sich trotz aller verändernden Lebensumstände etwas sehr Spielerisches bewahren, das Sie auch ausstrahlen. Ist Ihnen das in die Wiege gelegt oder müssen sie jeden Tag neu darum ringen?

Ich kann auch anders. Ich mache mir ebenso viele Sorgen wie der Rest der Menschheit. Gerade wenn wir die Augen öffnen und merken, dass jeden Tag eine neue, entsetzliche Katastrophe um uns herum stattfindet. Diese Rückschläge tun weh. Wie gehen wir emotional damit um? Welche Haltung nehmen wir dazu ein? Ich versuche mit meinen Möglichkeiten damit umzugehen. Aber natürlich stelle ich mir auch die Frage: Ist es sinnvoll in Zeiten wie diesen eine Komödie wie "791 km" zu machen – und muss man seine Kräfte derzeit nicht anders bündeln?

Und, ist es sinnvoll?

Die Katastrophen, die jetzt rundum mit solch einer Wucht passieren, konnte niemand voraussehen. Natürlich fällt es mir schwer, angesichts dessen Kunst und Kultur zu verteidigen. Und trotzdem tue ich es. Es ist eine Möglichkeit, uns miteinander zu verbinden, Hoffnung und Antworten zu geben und uns emotional zu berühren. Es ist mein Beitrag zu dieser Welt.

Auch der Tod ist ein Thema in "791 km", wie setzen Sie sich damit auseinander?

Ich denke schon an den Tod, aber nicht erst seit ich 73 Jahre alt bin. Ich denke seitdem an den Tod, seit ich einen mir nahen Menschen verloren habe. Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr jung. Der Tod begleitet einen automatisch, je älter man wird. Man verliert immer mehr Menschen auf diesem Weg. Das ist schmerzhaft. Und natürlich setzt man sich selbst damit auseinander, das ist eine biologische Frage. Aber es ist keine Frage, die mein Leben beherrscht oder meine Entscheidungen. Ich weiß, ich habe jetzt noch ein paar gute Jahre vor mir. Und in dieser Zeit will ich eher daran arbeiten, dass die Dinge sich verbessern als umgekehrt. Aber natürlich ist der Tod ein Thema, und auch ich bin nicht immer frei vom Gedanken an die eigene Endlichkeit.

Ihre Figur im Film leidet unter zunehmender Demenz, und immer öfter verkörpern Sie Rollen zwischen Todesangst und Lebenslust, wie in „Hanne“, von Dominik Graf. Spannt sich da ein Bogen? 

Durchaus. Je älter ich werde, desto häufiger bekomme ich auch Rollen angeboten, die sich mit dem Tod auseinandersetzen. In "Paradise" war das etwa ebenso Thema wie in "Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster", wo es überhaupt 90 Minuten lang um meinen Tod ging. Zugleich war es ein Film, der das Leben feiert. Ich spiele auch andere Rollen, aber Sie haben schon recht. Was Todesarten im Film betrifft, versuche ich übrigens, mich so breit und unterschiedlich wie möglich aufzustellen. (lacht)

Iris Berben

Iris Berben

Iris Berben wurde 1950 geboren, flog von drei Internaten und engagierte sich politisch. Ab 17 Jahren Schauspielerin, in Serien wie "Zwei himmlische Töchter", der "Rosa Roth"-Krimireihe, "Krupp – Eine deutsche Familie" oder "Buddenbrooks". Sie engagiert sich gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Ihre Lust, Filme zu drehen, scheint auf jeden Fall ungebrochen. Keine Lust, in Rente zu gehen, den Weinkeller oder die Bibliothek zu sortieren? 

Nein. Den Weinkeller trinke ich lieber aus. Und in der Bibliothek arbeite ich ein Buch nach dem anderen ab.

Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier meinte vor Kurzem "Nichtstun ist wie Stehenbleiben". Und Arnold Schwarzenegger nannte sein Buch "Stay Useful", also "Mach dich nützlich". Brüder im Geiste, was Ihre Einstellung zum Leben betrifft?

Absolut. Ich habe immer gesagt, Stillstand ist Aufgeben. So ist einfach meine Wesensart. Es gibt sicher Menschen, die ihr Leben lang schwere körperliche Arbeit verrichtet haben und sich dann auf den Ruhestand und das Nichtstun freuen. Ich würde im Nichtstun verloren gehen. Ich will mich geistig beschäftigen. Will an den Veränderungen, in denen wir uns gerade befinden, teilnehmen und sie verstehen. Es gibt so viele Herausforderungen, etwa Künstliche Intelligenz, und sie wechseln einander schnell ab.

In der "Zeit" antworteten Sie auf die Frage nach einer Lebensweisheit, die Sie gerne früher gewusst hätten: "Man sollte mit sich selbst befreundet sein". War das nicht immer der Fall?

Ich brauchte ein paar Jahre, um mich mit mir selbst zu befreunden und mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Es war ein Prozess, meinen eigenen Weg zu finden, und der ging gut aus. Heute komme ich gut mit mir aus. Ich habe mich mit mir versöhnt und Freundschaft geschlossen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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