Künstlerfilme-Boom: Genie ist Pflicht
Ein neuer Spielfilm über Edvard Munch kommt ins Kino. Filme über Maler boomen: Von Caravaggio bis Dalí ist man der Faszination Genie auf der Spur. Das birgt eine Ähnlichkeit zu den Erzählungen der Influencer von heute.
Ein träumerischer, junger Rotschopf mit nachdenklichem, aber neugierigem Blick. Ein halb nackter Mann mit kurz geschorenen Haaren, der aufgewühlt-kämpferisch den Kopf nach hinten wirft, eine Zigarette raucht. Ein älterer Herr, der resigniert, müde und irritiert aus dem Fenster blickt. Ein alter Mensch mit schlohweißem Haar, der sich, auf dem Sessel sitzend, am Feuer des Kamins wärmt.
Vier Gesichter – ein Mann: Munch.
Ohne Zweifel war Edvard Munch einer der bedeutendsten Maler der Kunstgeschichte. Der neue Spielfilm „Munch“ (ab 14. Dezember im Kino) versucht, dem Menschen wie dem Künstler auf die Spur zu kommen. Und zwar in entscheidenden Lebensphasen. Als junger Künstler und unglücklich verliebt in eine verheiratete Frau, im selbst gewählten Exil in Berlin als Teil der intellektuellen Bohème, als Patient in einer Nervenklinik und als knorriger Greis, der sich mit den Nazis, die Norwegen besetzt halten, auseinandersetzen muss, weil sie nach seinen Kunstwerken gieren.
Doch wie porträtiert man einen Unergründlichen?
Ein Skandalkünstler war Munch, der von der Kunstwelt entrüstet abgekanzelt wurde. Ein Pionier, der mit seinem expressionistisch-modernen Stil Rätsel aufgab. Existenzielle Emotionen wie Angst, Einsamkeit und Tod malte er auf zuvor nicht gekannte Weise. Sein berühmtestes Werk ist so bekannt wie die „Sonnenblumen“ von Van Gogh oder Leonardo da Vincis „Mona Lisa“: „Der Schrei“ zeigt einen Menschen, die Hände an den Kopf gepresst, die Augen weit aufgerissen, abgewandt vom gesellschaftlichen Leben und vor furchterregend dramatischem Himmel: die moderne Conditio humana, angstvoll, aufgewühlt, todesnah, deren Identität mit den Schwüngen der Landschaft verschmilzt, sich in ihrem Drama verliert.
Munch tanzt Techno
Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken widmet sich der facettenreichen Biografie Munchs höchst raffiniert. In subtil erzählten Episoden wechselt er zwischen Schwarzweiß und Farbe, zudem setzt er die Zeitebenen außer Kraft; des Malers Zeit in Berlin stellt er in einem Deutschland der Gegenwart dar, Munch tanzt zu Techno in Untergrund-Clubs, was den Charakter des Malers noch näher ans Publikum holt.
„Die Episoden zeigen, wie sehr Munch sich im Laufe seines Lebens verändert hat und wie jede Epoche die darauffolgenden beeinflusste“, gibt Dahlsbakken zu Protokoll. Den Jahrhundertkünstler lässt er dabei gleich von drei verschiedenen Schauspielern und einer Schauspielerin darstellen. „Ich sehe die Struktur des Films wie eine Ausstellung, die mehr und mehr über den Künstler preisgibt, je länger man ihn betrachtet.“
Alma, Dalí und Vermeer
Die Arbeit reiht sich ein in einen regelrechten Boom an Werken – von Spielfilmen bis Dokumentationen – über berühmte Maler, die sich derzeit im Kino tummeln. Eifrig wird der Pinsel geschwungen, auf der Leinwand – für die Leinwand. Eben lief noch „Der Schatten von Caravaggio“, in dem Regisseur Michele Placido dem turbulenten Leben des Michelangelo Merisi nachspürt. Was zwar Mord, Verfolgung und revolutionäres Schaffen beinhaltet, aber in diesem Falle beachtlicherweise filmisch dennoch nicht sensationalistisch ausgeschlachtet wurde.
Vor Kurzem beeindruckte dann Regie-Legende Wim Wenders mit seinem umsichtigen Porträt „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ über Anselm Kiefer, einen der wichtigsten Künstler der Gegenwart. Zwei Jahre investierte der Deutsche dafür in die Annäherung an den in Frankreich lebenden Maler und Bildhauer, das Ergebnis befand die US-Branchenbibel Variety als „einzigartig fesselnd und bewegend“.
Im Sommer im Kino war „Alma & Oskar“: Nach dem Tod von Gustav Mahler sieht man darin Alma Mahler naturgemäß eine „leidenschaftliche Affäre“ mit dem Kunst-Rebellen Kokoschka eingehen, die von Inspiration, Eifersucht und Machtspielchen geprägt ist. Gleichzeitig lernt man eine Frau kennen, die als Muse vieler Meister bekannt ist und doch selbst als eigenständige Künstlerin anerkannt werden wollte.
Und dann wartet da noch einiges Vielversprechendes, das den Kunstfans Freude bereiten soll: In „Dalíland“, aktuell auf Apple TV, taucht man ein in die faszinierende, schrille Party- und Kunstorgien-Welt des Salvador Dalí der 1970er-Jahre. Ein junger Galerist betritt sie stellvertretend für uns. Und führt das Publikum dabei auch in die komplizierte Beziehung Dalís zu seiner Gattin Gala ein, unter deren tyrannischer Kuratel er steht. „Manchmal ist es nicht leicht, Dalí zu sein“, hören wir ihn sagen – und Oscar-Preisträger Ben Kingsley („Gandhi“) verleiht dem in monetären Kalamitäten steckenden Surrealisten mit Zwirbelbart dabei gespenstische Ähnlichkeit.
Nicht zuletzt soll die Strahlkraft des Bildes „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ die Zuschauer in die Kinos locken: Die Doku „Vermeer – Reise ans Licht“ rückt die Meisterschaft des Holländers Jan Vermeer in den Mittelpunkt. Dabei warten neue Entdeckungen von Experten über den Barock-Maler, was seine Kunst der Komposition betrifft. Und es wird Einblick gewährt in die Herkulesaufgabe, die größte Vermeer-Ausstellung aller Zeiten zu organisieren.
Genial ohne Arbeit
Filme über Künstler faszinieren. Sie bedienen die Sehnsucht nach kulturellem Feinsinn, sind vergnügliches Bildungswerk, oft genug von einem voyeuristischem Blick auf deren Biografien geprägt. Selbst wenn Otto Normalverbraucher und Maria Musterfrau die mitunter verhaltensauffälligen Kunstleidenden und Bürgerschrecks eher nicht als Nachbar aushalten wollen würden – wohlige Schauer mitfühlenden Entsetzens jagen sie ihnen auf der Leinwand allemal über den Rücken.
Oh, Leid! Oh, Verzweiflung! Oh, Bürde des Genies! Gerne baden Künstlerbiografien in fantastisch ausgestatteten Bilderbögen, die nach den Konventionsgesetzen des Mainstream-Kinos die Lebensgeschichte mitsamt den tragischen Epizentren eines legendären Malers ausbreiten. Mindestens Genie zu sein ist dabei für den in der Regel bereits verblichenen Porträtierten Pflicht. Noch besser ist: verkanntes Genie.
Dass sich die Erzählung dabei meist nicht unbedingt mit der Wirklichkeit deckt, kann stören, muss es aber nicht. Florian Bettel, Leiter der Abteilung Kulturwissenschaften an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, nimmt diesen Umstand zur Kenntnis, aber kritisch. Bei der Lust am Genie-Kult fällt ihm vor allem eines unangenehm auf: „Die Faszination an der Figur des Künstlers erzählt in der Populärkultur zumeist von Genialität ohne Arbeit.“
Die Mühsal des Schaffens, sprich die langen Stunden im Atelier, die vielen gescheiterten Versuche, das Abwägen, Anfangen, verwerfen, wieder von Neuem beginnen: all das wird in herkömmlichen Filmen zumeist großzügig ausgeblendet, wenn nicht gar bewusst weggelassen. „In der Regel behaupten diese Filme, dass Künstler rein aufgrund ihres Genies imstande sind, Kunstwerke zu schaffen – und diese sich auch noch plötzlich manifestieren und das ohne große Anstrengung.“ Der zündende Einfall, der geniale Geistesblitz, der zu einer rauschenden Entladung einer Idee führt, ist so etwas wie die Keimzelle des unabänderlich faszinierenden Genie-Kults.
Uneinige Kritik
Zumal dieser sich auch heute sehr modern in der Gesellschaft widerspiegelt. Bettel trifft einen interessanten Vergleich. „Die Lust an der mit Leichtigkeit gelingenden Genialität deckt sich mit den gängigen Verheißungen des Neoliberalismus“, so Bettel. Und dieses Narrativ wird heute vor allem ästhetisch lustvoll in den sozialen Medien zelebriert.
„Die bildhaften Erzählungen der Influencer versprechen dasselbe wie das Bild des Künstlers als Genie: Ruhm und Reichtum ohne Anstrengung und ohne zu arbeiten – inklusive schöner Reisen und vieler Geschenke.“ Normalität würden wir in vielerlei Hinsicht als maximale Beleidigung einstufen, so der Kulturwissenschaftler – die Sehnsucht nach Originalen sei größer. „Das sinnstiftende Bild des außergewöhnlichen Individuums ist erdrückend und verbindend zugleich.“
Dass Filme über Maler auch ambivalenter angelegt sein können, zeigen ambitionierte Filme wie „Munch“ oder Mike Leighs „Mr. Turner“. Wie uneinig die Kritik letztlich aber ist, was einen gelungenen Künstlerfilm betrifft, zeigte sich etwa in „Werk ohne Autor“ über Gerhard Richter: in Deutschland lustvoll und gnadenlos aufs Böseste verrissen, wurde er in Hollywood für zwei Oscars nominiert.
Vielleicht ist es da besser, sich an einen Kunstfilm zu halten, der nicht auf realen Begebenheiten basiert: „La Belle Noiseuse“ von Jacques Rivette, der 1991 den Jury-Preis beim Filmfestival in Cannes erhielt, fokussiert sich auf die Verschränkung von Kunst und Leben und Meister und Modell. Genie gerät hier zur Nebensache. Die entlarvende Wahrheit, die hinter einem Bild stehen kann, jedoch zum Mittelpunkt.
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