Helen Mirren im Interview: "Glaube nicht, dass sich alles zum Guten wendet"

Oscar-Preisträgerin Helen Mirren ("Die Queen") über ihre Darstellung von Israels Premierministerin, ihre Wandlungskünste und ihren nahenden 80. Geburtstag.

Gebeugter Gang, besorgter wie entschlossener Blick und stets eine neue Zigarette angezündet: Helen Mirren verkörpert in „Golda – Israels Eiserne Lady“ (ab 30. Mai im Kino) eindrucksvoll lebensecht eine der bedeutendsten Politikerinnen der Geschichte. Golda Meir war von 1969 bis 1974 Israels Premierministerin. 

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Der Film beleuchtet den zehntägigen Jom-Kippur-Krieg, als 1973 Ägypten, Syrien und Jordanien am höchsten jüdischen Feiertag Israel überraschend angriffen. In ihrer Heimat ist Golda Meir umstritten. Das Kammerspiel legt dar, vor welchen Entscheidungen sie stand – und welchen Kämpfen (sie litt an Krebs) sie ausgeliefert war. 

Helen Mirren ist für die Rolle ein Glücksfall. Ebenso brillant wie in ihrer Oscar-Rolle als „Die Queen“ stellt die Britin Golda dar. Der Film wird indes von Störungen begleitet. Eine Vorpremiere in Frankfurt wurde im Schatten des aktuellen Nahostkonflikts aus Sicherheitsbedenken abgesagt.

Was hat Sie mehr dazu bewegt, „Golda“ zu drehen – die Figur der Golda Meir oder die Historie des Jom-Kippur-Krieges?

Eine Kombination aus beidem. Zum einen bin ich alt genug, um mich an diesen Teil der Geschichte zu erinnern. Zugleich erinnere ich mich an die Wahl von Golda Meir zur Premierministerin von Israel. Für mich war das historisch gesehen ein unglaublich wichtiger Moment. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich in meinem Leben noch nie eine Frau an der Spitze eines Landes gesehen. Das schien etwas zu sein, das einfach nicht passieren konnte. Es war schlicht unmöglich.

Als eine der ersten weiblichen Regierungschefs der Welt nahm sie eine Vorreiterrolle ein.

Damals herrschte die Meinung: Dafür sind Frauen nicht gemacht. 

Gegen diese Einstellung habe ich immer rebelliert. Daher war Golda Meirs Ernennung, ganz unabhängig vom Land, seiner Politik oder seiner Geschichte, sehr bedeutend für mich. Dies war auch ein Grund, Golda zu spielen. Aber größer war der Reiz, in ihre Haut zu schlüpfen.

Brillant: Helen Mirren als Israels Premierministerin in „Golda“, ab 30.5. im Kino

©Sean Gleason/Aidem Media Ltd/Sean Gleeson

Sie haben öfter historische Persönlichkeiten gespielt. Manche nennen Sie die „Königin der Verwandlung“.

Die Aufgabe, eine Frau wie Golda zu spielen, hat mich gereizt. Sie war eine außergewöhnliche Frau. Die körperliche Verwandlung war ein wichtiger Teil der Darstellung. Eine große schauspielerische Herausforderung.

War es auch ein Anliegen des Films, Golda zu rehabilitieren? 

Sie war umstritten, manche finden, sie hätte Israel gerettet, andere, sie hätte den Angriff von Ägypten, Syrien und Jordanien voraussehen müssen.Sie haben Recht, das war die Absicht des jungen israelischen Regisseurs Guy Nattiv. Die Protokolle, die dem Film zugrunde liegen, beweisen ja, dass nicht ihr ein Fehler unterlaufen ist, sondern ein Scheitern des Militärs vorlag. Israel begann erst kürzlich herauszufinden, was tatsächlich geschehen ist. Es war verborgen und geschwärzt.

Wie würden Sie Golda charakterisieren?

Beginnen wir mit ihren schlechten Seiten. Ihre Herkunft aus der Ukraine, ihre völlige Hingabe an die Existenz Israels, der Holocaust und die Unfähigkeit, die jüdische Bevölkerung vor diesem Schrecken zu retten, erzeugten in ihr eine Zielstrebigkeit, die sie ein wenig rassistisch und bis zu einem gewissen Grad eindimensional machte.

Und gute Seiten?

Faszinierend fand ich etwa, wie durch und durch feminin sie war, ohne wirklich feminin zu sein. Ähnlich wie Margaret Thatcher. Golda nutzte dafür nicht die üblichen weiblichen Werkzeuge. Sie hätte sich nie die Mühe gemacht – nicht so wie ich heute – sich für ein Interview zu schminken. Und dennoch hätte sie Sie sicher viel mehr bezaubert, als ich es je könnte. Als Feministin habe ich da natürlich meine Einwände. Aber Goldas Charme war mütterlich; dazu kam, wie witzig sie war, ihre intellektuellen Fähigkeiten, ihre Stärke, Grimmigkeit und ihre politische Begabung.

Helen Mirren über ihre Rollen: „Man kann nie so gut sein wie die echte Person. Höchstens  75 Prozent so gut“

©EPA/ALLISON DINNER

Weltweit ist der Antisemitismus auf dem Vormarsch. Wie besorgt sind Sie darüber?

Es ist ein ständiger Kampf. Für mich trägt die schlechte politische Führung Schuld daran. Die Geschichte ist voll der Taten schlechter Anführer. Leider führen die immer dazu, dass jene ohne politischen oder wirtschaftlichen Einfluss darunter leiden, also das Volk. Das sehen wir nicht nur in Palästina und Israel, sondern überall auf der Welt.

Ich habe mich nie wirklich für Geburtstage interessiert. Das Leben entwickelt sich nicht durch Geburtstage, sondern durch die gelebte Erfahrung.

Die Welt wird nach einer Friedensperiode mehr denn je von Krisen und Kriegen erschüttert. Was lässt Sie noch daran glauben, dass sich alles zum Guten wendet?

Ich glaube nicht, dass sich alles zum Guten wenden wird. Die menschliche Geschichte wird sich einfach so fortsetzen, wie sie sich in den letzten 20 Jahren abgespielt hat. Ich lese gerne Historisches, ich weiß: Es gibt immer eine menschliche Geschichte der Liebe. Und eine des Hasses und der Aggression. Davor gibt es kein Entrinnen. Man hofft ständig, es gäbe ein Entkommen, aber das glaube ich nicht.

Wie gehen Sie die Herausforderung an, jemanden darzustellen, der echt gelebt hat? 

Nun, da ist einmal das Körperliche. Man muss aussehen wie der Mensch, den man spielt. Der Nachteil ist: Man kann dabei nie gewinnen. Man kann nie so gut sein wie die echte Person. Höchstens 75 Prozent so gut. In dieser Hinsicht wirst du also immer verlieren. Die Lektion, die ich daher gelernt habe, als ich die Queen oder Golda spielte, ist: Ich bin nicht diese Person – vielmehr ist meine Darstellung wie das Porträt eines Malers. Natürlich sehe ich aus wie die Person – hoffentlich! Aber was wir sehen, ist die Interpretation des Künstlers, nicht die Person selbst.

Helen Mirren

Helen Mirren

Helen Mirren wurde 1945 in London geboren und hat russische Wurzeln. Mit 19 wurde sie Mitglied der Royal Shakespeare Company. Filme, u. a.: „Excalibur“, „Gosford Park“, „Calendar Girls“ und die TV-Serie „Heißer Verdacht“. Für „Die Queen“ erhielt sie den Oscar. Sie ist verheiratet mit dem Regisseur Taylor Hackford. 

Besonders als Sie Queen Elizabeth II. spielten, gelang Ihnen das bravourös.

Als ich die Queen spielte, war das eine Befreiung für mich. Ich dachte mir: Das ist mein Porträt von ihr, es zeigt, wie ich über sie denke, meine Gefühle für sie. Ähnlich war es mit Golda. Es war ein Prozess, Sie wissen schon, try and error. Dann fand ich bei beiden zwei sehr wichtigen Elemente: die Stimme und den Gang. Der Gang ist fast das Wichtigste – herauszufinden, was psychologisch in einer Art zu gehen steckt. Es drückt in vielerlei Hinsicht den Charakter aus.

Kommendes Jahr feiern Sie Ihren 80. Geburtstag. Mit welchen Emotionen sehen Sie dem entgegen?

Ich habe mich nie wirklich für Geburtstage interessiert, ob das nun mein 18. oder mein 30. war. Das Leben entwickelt sich nicht durch Geburtstage, sondern durch die gelebte Erfahrung. Älter wird man zwangsläufig. Ich sage immer so: Entweder man stirbt jung oder man wird alt. Dazwischen gibt es nichts. Ich wollte nie jung sterben. (lacht) Auch heute bin ich noch viel zu sehr am Leben interessiert. Das Leben ist tragisch. Es ist katastrophal. Furchtbar. Ungeheuerlich, wie wir überall auf der Welt sehen. Aber es ist eben auch faszinierend. Und ich bin glücklich. Glücklich, noch am Leben zu sein.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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