Harald Schmidt: "Österreich – die letzte Stufe vor dem Paradies"

Der Entertainer über seinen Job in der Volksoper als „Pressesprecher mit leichter künstlerischer Nebentätigkeit“.

Harald Schmidt, früher sehr erfolgreicher Late-Night-Talker, spielt ab dem 3. September König Ludwig XV. in der Operette „Die Dubarry“. Er gibt gerne Interviews: Sie sind für ihn ein Aufwärmtraining – und die Fragensteller dienen als Sparringpartner.

KURIER: Sie wurden kürzlich 65 Jahre alt. Soll ich gratulieren – oder Sie bedauern?

Harald Schmidt: Sie dürfen mich bejubeln. Man weiß ja nie: Autounfall, Herzkasperl… Aber ich bin schon davon ausgegangen, dass ich in diesen Altersbereich komme. Es ist großartig. Jugend war für mich gar nicht so toll.

Als Talker wollen Sie nicht mehr auftreten, Sie mussten auch bittere Erfahrungen machen. Aber in Österreich sind Sie wohlgelitten.

Ja, ich werde hier hervorragend aufgenommen. Die Frage ist, wann mich die Ösis satthaben. Und wenn ja, ob ich’s merke. Aber selbst wenn man’s merkt, kann man immer noch fünf Jahre machen. Ich bin gern unterwegs. Heuer war ich in Tirol, im Salzkammergut, im Theater im Park mit Michael Niavarani – das ist ganz großartig. Dann war ich in Reichenau an der Rax. Auch toll! Und es gibt noch einige Festspielorte auf der Landkarte. Die Dichte an Festivals gibt es sonst nirgends auf der Welt. Und das Publikum liebt es! In Bad Vöslau hatten wir einen Temperatursturz von 30 auf 15 Grad – und die Leute sitzen da in ihren Frischhaltepackungen, im Anorak, und hören sich eineinhalb Stunden eine Lesung an. Gut, sie war auch mit Caroline Peters.

©Kurier/Gilbert Novy

Sie sind ja ein halber Österreicher. Ihr Vater stammte aus dem Sudetenland, Ihre Mutter aus Brünn …

Dort geboren. Das Weingut, das bei der Flucht 1945 nach Wien und später nach Nürtingen zurückgelassen werden musste, liegt bei Nikolsburg. Wenn meine Mutter 1936 etwa 15 Kilometer weiter südlich geboren worden wäre, wäre sie Österreicherin. Im Grunde genommen bin ich „k. u. k.“: Wie Böhmen noch bei Öst’reich war, so sang Peter Alexander.

Sie halten sich aus der österreichischen Politik raus, weil Sie hier Gast sind. Aber als halber Österreicher …

Trotzdem muss ich mit Abschiebung rechnen! Was ich feststelle: Dass meine österreichischen Freunde ein bisschen gekränkt sind, wenn man sich nicht über die Skandale hier aufregt. Denn ich sag’ immer: Das sind schon Skandale, aber ehrlich gesagt, deswegen kommen wir ja so gerne nach Österreich. Weil sie in dieses Theaterland reinpassen. Wenn man guckt, was weltweit los ist, dann ist Österreich die letzte Stufe vor dem Paradies. In Köln zum Beispiel heißt es: „Man kennt sisch, man hilft sisch.“ Oder wenn ich an die RBB-Intendantin denke, die kürzlich fristlos entlassen wurde.

Auch nicht besser …

Und nach der dritten Flasche Veltliner hört man hier: Es war nie anders, auch nicht unter den Roten. Also sage ich: Trinken wir noch einen! Die beste EU, die wir je hatten, war ja dieser Vielvölkerstaat – mit 27 Sprachen. Er hat unterm Strich über einen ziemlich langen Zeitraum recht gut funktioniert. Wenn ich als Kabarettist hier auftrete, sage ich gerne: Ich möchte meine österreichischen Freunde begleiten auf ihrem Weg abwärts. Von Maria Theresia zu Ursula von der Leyen.

©Kurier/Gilbert Novy

Zunächst traten Sie ja nur in Bad Vöslau auf …

Ja, und dann bekam ich ein Mail von Karin Bergmann, damals Burgtheaterdirektorin: Ob ich sie unterstützen könnte bei der Moderation der Nestroy-Gala. Ging aber nicht, weil ich grad auf dem „Traumschiff“ war. Daher hat sie die Gala mit Michael Niavarani gemacht. Aber dadurch kam der Kontakt zu Niavarani. Und wenn man einmal Teil des Niavarani-Imperiums ist …

Und nun treten an die Volksoper auf – als Zugpferd?

Nein, das ist eindeutig Annette Dasch als die Dubarry! Ich bin das, was früher in der Operette „der Dritte-Akt-Komiker“ hieß: Der als Gepäckträger zuerst einmal über drei Koffer fliegt. Das würde ich körperlich nicht schaffen, aber ich habe als Ludwig XV. schöne Perücken auf. Und ich bin gut für Interviews. Das muss man auch klar sagen: Ich werde für Produktionen engagiert, weil es dann 15 Interviewanfragen gibt. Das halte ich für legitim. Hauptsache, ich werde engagiert.

Dasch ist dem Musiktheaterpublikum ein Begriff. Aber Lotte de Beer, die neue Direktorin, muss versuchen, jüngere Publikumsschichten anzusprechen. Die erreicht sie vielleicht eher mit Ihnen.

Könnte sein, aber wie schon gesagt: Ich bin 65 geworden. Mein Stammpublikum ist auch mindestens 50.

Kennen Sie den Altersdurchschnitt in der Volksoper?

Stimmt, meines kommt da noch zum Jugendtarif rein.

Wird es Stand-up geben?

Ich habe zwei, drei große Dialogszenen mit Annette Dasch, die wir auf Basis des Originallibrettos weiterentwickelt haben. Die meisten kriegen ja schon ein Flattern in der Pupille, wenn das Stichwort nicht präzise kommt. Aber sie kann nicht nur toll tanzen und singen, sie ist auch in der Lage, auf Improvisation einzugehen. Ich profitiere sehr von ihr!

Die Dialoge dürfen auch während der Spielserie aktualisiert werden?

Ja, aber nicht in dem Maß, dass ich Frosch-artig – wie in der "Fledermaus" – auf jeden Miniskandal eingehe. Es muss schon was sein, das sich mit einer Nebenbemerkung erledigen lässt. Das Konzept der Inszenierung ist ja, dass wir in den Kostümen rückwärts gehen. Also: Wir spielen die Operette „Die Dubarry“ heute. Sie wurde um 1930 bearbeitet von Theo Mackeben. Geschrieben von Carl Millöcker und 1879 uraufgeführt unter dem Titel „Gräfin Dubarry“. Und die Handlung spielt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ich habe daher Löckchen, Strümpfchen, Höschen, eine wahre Freude. Aber die Art, wie Annette Dasch und ich reden, ist absolut im Heute.

Und wann folgt ein Engagement ans Burgtheater?

Ich war ja schon da! Als Harald Schmidt. Ich würde nicht nein sagen, das Burgtheater ist das Burgtheater, aber es ist völlig ausgeschlossen, dass ich dort in einer Rolle auftrete. Das will das Publikum nicht von mir sehen. Wenn ich einen blinden Kriegsversehrten spielte, der sich ohne Beine rausrollt, würde man sagen: „Schon zehn Sekunden – und noch kein Witz!“ Das funktioniert nicht! So, wie ich an der Volksoper eingesetzt werde, ist es perfekt: Pressesprecher mit leichter künstlerischer Nebentätigkeit.

Sie sagten, dass Sie im Theater keine „Projekte“ sehen möchten, sondern möglichst „virtuose Schauspieler und ein Stück“. Haben Sie einen Shitstorm kassiert?

Krieg ich ja nicht mit, weil ich kein Twitter, kein Instagram, kein nix habe. Und viele Schauspieler geben mir recht: Wir haben seit Corona 80 Prozent Zuschauerrückgang. Jetzt müssen wir das Publikum wieder zurückgewinnen! Und ich kann den alten Abonnenten erst mit dem nackten Arsch ins Gesicht springen, wenn die Jungen an der Kasse Schlange stehen. Aber die sehe ich nicht. Und dann wird eine nur 20-prozentige Platzauslastung mit extremer Qualität begründet: „Das ist zu anspruchsvoll für die Masse.“ Da bin ich knallhart: Ich weiß nicht, wie viele Milliarden die Theater an Subventionen kriegen. Aber wenn ich auf eigene Rechnung die Bude vollkriegen muss, damit ich meine Miete bezahlen kann, sieht das Ganze ganz anders aus. Ja, ich will im Theater Schauspielerinnen und Schauspieler sehen. Die ich auch kenne. Die nicht mit einer Papiertüte überm Kopf hinten an der Brandmauer in der Heilerde wühlen. Sondern ich will sagen können: Ah, das ist der Herr Brandauer!

Sie machen demnächst im Schauspiel Stuttgart dreimal eine „Spielplananalyse“?

Der Intendant hatte mich am Haken, und so hab ich gesagt: „Gut, ich mach was!“ – „Was denn?“ – „Ich könnte mir den Spielplan angucken und sagen, was ich toll find.“ Aber ich werde nur 70 Sekunden den Spielplan analysieren – und dann mach ich, was ich immer mache. Es ist ja eigentlich wurscht, was angekündigt wird: Die Leute erwarten von mir Stand-up, und das liefere ich. Die drei Abende sind seit Wochen ausverkauft. Gut so! Auch dieses Theater muss ja wieder in Gang kommen. Vorher, am 19. September, bin ich aber noch im Literaturhaus Graz. Da geht es um das Thomas-Bernhard-Kochbuch „In der Frittatensuppe feiert die Provinz ihre Triumphe“. Darauf freue ich mich. Denn ich war noch nie in Graz. Ich war auch noch nie in Klagenfurt.

Folgt vielleicht ein Werner-Schwab- oder ein Ingeborg-Bachmann-Kochbuch?

Dann wäre mein Monat in Rom vom Verlag finanziert! „Mit Ingeborg im Vatikan“ oder so etwas. Der Text muss von anderen kommen, das war beim Thomas-Bernhard-Buch genauso. Aber ich bin ja seriös und habe Niki Brandstätter, dem Verleger, gleich gesagt: „Bitte gerne, ich fahre durch Oberösterreich und lasse mich beim Essen fotografieren. Aber ich habe keine Ahnung von Thomas Bernhard.“ Ich als Bernhard-Experte: Das wäre glatter Betrug. Aber wenn man etwas derart offensiv verkauft, funktioniert es. Das machen auch andere! Ich staune immer wieder, wer alles Bücher über Richard Wagner herausgibt. Oder wer Hörbücher spricht. Sollte man da nicht vorlesen können? Aber es reicht ein prominenter Name.

In Zeiten der Inklusion stehen nun Menschen mit einem S-Fehler auf der Bühne. Oder Menschen, die gar kein Deutsch sprechen.

Daher hab’ ich ankündigen lassen: „Die ,Spielplananalyse‘ findet in deutscher Sprache statt. Ohne Ober- und Untertitel.“ Ich bin total für Integration, mit Teilhabe am Gesundheitssystem, aber auch mit Sprachkursen. Wenn es weiter um sich greift, dass die humanistische Gesinnung vor der handwerklichen Fähigkeit steht, wird es irgendwann auch eng für die Wiener Philharmoniker. Dann spielen sympathische Menschen, die Hilfe benötigen, aber noch nie eine Geige in der Hand hatten.

Bei den Philharmonikern zählt noch Exzellenz.

Und das soll bitte auch so bleiben!

Auch Allgemeinbildung hat keinen großen Stellenwert mehr …

Sie gilt als weiß, elitär und ausgrenzend. Dazu kommt der Wunsch vieler gut ausgebildeter Mittdreißiger, nur drei Tage die Woche zu arbeiten. Ich höre mir das an und sage: Ich unterstütze das sehr, aber ich bin durch. Wenn ich mir vorstelle, wie oft ich über dünnes Eis gegangen bin, ohne es zu merken… Nein, ich bin durch!

Ich dachte: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an ...

Ihr werdet euch noch wundern!

 

Thomas Trenkler

Über Thomas Trenkler

Geboren 1960 in Salzburg. Von 1985 bis 1990 Mitarbeiter (ab 1988 Pressereferent) des Festivals „steirischer herbst“ in Graz. Seit 1990 freier Mitarbeiter, von 1993 bis 2014 Kulturredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“ in Wien (Schwerpunkt Kulturpolitik und NS-Kunstraub). Ab Februar 2015 Kulturredakteur beim “Kurier” Kunstpreis 2012 der Bank Austria in der Kategorie Kulturjournalismus für die Recherchen über die NS-Raubkunst seit 1998 und die kontinuierliche Berichterstattung über die Restitutionsproblematik (Verleihung im Februar 2013).

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