„Homeland“-Star Sebastian Koch (59) wird vom Vorzeigejuristen zum Richter ohne Gewissen

"Euer Ehren": Ein Thriller im unheiligen Land Tirol

ORF und ARD zeigen die herausragende Miniserie "Euer Ehren" komprimiert an diesem Wochenende. Sebastian Koch und Regisseur David Nawrath im Interview.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es hinter den Notausgangstüren in einem Autobahntunnel aussieht?

In der Thriller-MiniserieEuer Ehren“ wird das in einem mehr als ungewöhnlichen Showdown beantwortet, wenn sich Richter Michael Jacobi (Sebastian Koch) ebendort auf die Knie begibt. Zu sehen von heute, 20.15 Uhr, bis morgen – im ORF als Dreiteiler, in der ARD in sechs 45-minütigen Folgen.

Aber zurück zum Beginn: Wir haben es hier mit einem ehrenwerten Topjuristen zu tun, der im – hier ziemlich unheiligen – Lande Tirol aufräumen will. Den Kopf eines der Mafiaclans, die am Brenner Drogen schmuggeln, brachte er hinter Gitter. Durch einen unglücklichen Zufall befürchtet er, dass nun Sohn Julian (Taddeo Kufus) ins Visier der serbischen Gangster gerät. Julian verursachte auf einer einsamen Bergstraße einen Unfall und beging Fahrerflucht. Der junge Mann, der im Koma liegt, ist der Sohn des Clanchefs.

Mit dem Wissen um die gefährliche Situation setzt Jacobi, der die Fahrerflucht zunächst anzeigen wollte, nun alles daran, den Vorfall zu vertuschen. Dabei verstrickt er sich immer mehr in ein toxisches Netz aus Lüge, Verrat und Manipulation.

Vorbild aus Israel

An diesem Punkt könnten Kenner der israelischen Serie „Kvodo“ und des US-Ablegers „Your Honor“ (mit Bryan Cranston) abwinken und sagen: Kenn’ ich, bin raus. Sie verpassen dann aber, wie viel innere und äußere Spannung Koch aus dieser Rolle herausholt, und, welch hochrangiges Schauspielerensemble aus Deutschland und Österreich hier am Werk ist.

Die Faszination des Stoffes erklärt Koch so: „Es geht um einen Richter, wie wir ihn uns alle wünschen: demokratisch, unbestechlich, einer mit Haltung. Und plötzlich gerät so jemand in die prekäre Situation, sein Kind nur dann retten zu können, wenn er seine eigenen Grundsätze über Bord wirft.“

Die erste Lüge sei „noch eine intuitive Reaktion“, aber: „Als er erfährt, wen sein Sohn da vom Motorrad gefahren hat, legt das in ihm einen Schalter um. Das ist sein Trigger. Er hat keinen Plan, wird immer nur überrascht, muss auf die nächste Katastrophe reagieren. Ein richtiger Domino-Effekt.“

Es war Winter 2020, als Produzent Al Munteanu (von Square One) dem deutschen Regisseur David Nawrath das israelische Original zeigte. „Ich war gebannt“, sagt Nawrath, „die Vorlage war sehr spannend geschrieben, aber ich fand auch, dass es da noch wirklich ganz viele Schätze zu heben gibt. Es war eine schöne Aufgabe, diese Geschichte in unsere Hemisphäre zu holen und nach Möglichkeiten zu suchen, die Handlung für uns glaubwürdig zu machen. Wir haben den Hauptkonflikt übernommen, mussten aber auch vieles neu erfinden, denn man konnte die Handlung nicht eins zu eins nach Europa verlegen.“

Moretti als Finsterling

Und so wurde etwa Tobias Moretti die Rolle des zwielichtigen, polternden Fleischfabrikanten Uli Lindner auf den Leib geschrieben. „Wir fanden es spannend, eine Figur zu haben, die zwei Gesichter hat“, sagt Nawrath. „Einer, der einerseits genau weiß, wie man mit dem kleinen Mann sprechen muss und von den Leuten der Region geliebt wird, der aber auch absolut skrupellos ist, wenn es darum geht, seine Interessen durchzusetzen.“

Dass die Serie in Tirol spielt, sei schon festgestanden, als Nawrath zu dem Projekt stieß. Als Koproduktionspartner agiert die österreichische Mona Film von Thomas Hroch. Mit ihm arbeitete Nawrath schon bei „Blind ermittelt“ zusammen. Von seinem erfolgreichen Kino-Erstling „Atlas“ brachte der 42-Jährige Rainer Bock mit – er spielt hier einen knallharten Killer in Lindners Sold.

Weiters glänzen: Paula Beer als Arija Sailovic, der plötzlich die Rolle der eiskalten Rächerin ihres Bruders Zlatan zufällt; Ursula Strauss, die als integere Kriminalkommissarin der Wahrheit auf der Spur ist; Sascha Alexander Geršak als Grenzpolizist, der Jacobi helfen will; Gerti Drassl als knorrige Mutter einer verarmten Familie, deren Sohn Opfer des Lügengebäudes wird.

Hauptdarsteller Koch war schon ab Erstellung des Drehbuchs (Nawrath und David Marian) eingebunden: „Es ist ein großer Vorteil, wenn Autoren, Regie und Schauspieler so früh zusammenkommen“, meint Koch. „Später, am Set, hat man alles schon erlebt und auf Schwächen geprüft. Das spart unendlich viel Zeit beim Dreh.“

Euer Ehren (1)
©ORF / Tobias von dem Borne

Zeitgeist

Innsbruck und Tirol hätten „eine ungemeine Kraft“, sagt er. „Die Stadt liegt in einer Art Kessel, die Berge können geradezu bedrohlich wirken. Das passte perfekt in diese Geschichte.“ Und dass diese „den Zeitgeist trifft“ , habe ihn sofort angesprochen.

Koch: „Der Plot ist nahezu eine Metapher zu unserer momentanen Weltsituation. Die Serie stellt genau diese Fragen: Was machen wir in Extremsituationen? Müssen wir wieder zu Waffen greifen? Funktioniert unsere Demokratie noch? Oder können wir doch noch Lösungen in Gesprächen finden?“

Peter Temel

Über Peter Temel

Seit 2009 beim KURIER. Zunächst Entwicklung des Kultur-Themenangebots auf kurier.at. Später bei härteren Themen der Innen- und Außenpolitik angelangt, dann Aufbau und Gestaltung des Satire-Portals "KURIER mit Schlag". Aktuell wieder im Kulturbereich verankert und mit Freude TV-Tagebücher schreibend. Habe eigentlich immer "was mit Medien" gemacht, Geschichte und Philosophie studiert. Privat stehen Fußball, Skifahren, Wandern hoch im Kurs.

Kommentare