Christian Ludwig Attersee in seinem Atelier in Wien 3

Christian Ludwig Attersee: "Erotik ist ein zentrales Thema"

Multi-Künstler Christian Ludwig Attersee hat der freizeit die Türen zu seinem Wiener Atelier geöffnet.

Bunte Farbtupfer auf dem Boden, an den Wänden lehnen fertige Bilder und bilden Gänge durch den großen und hohen Raum, von dem eine Stiege auf eine offene Galerie führt. 

Sie hat nur an einer Seite einen Handlauf, der andere musste einem überdimensionalen Bild weichen, das am Stiegenaufgang thront. Auf einem Tisch liegt eine Leinwand in halb-sternförmigem Rahmen, der sich durch das Angrenzen an einen Spiegel optisch zum kompletten Stern verwandelt. 

"Ein Auftragswerk", sagt Christian Ludwig Attersee und betrachtet es einige Momente lang. Er sei schon recht weit, ein bisschen brauche er noch. Dann wendet er sich ab, steuert einen kleinen Tisch an, umringt von einigen Holzsesseln und einer kleinen Bank. 

Dahinter gibt eine schmale, geöffnete Tür den Blick in einen begrünten Innenhof frei, daneben steht eine große Jukebox. "Ich höre sechs Stunden Musik am Tag, eigentlich wollte ich ja Musiker werden, Opernsänger, nicht Maler", sagt Attersee. Wir sind in seinem Wiener Atelier, in dem rund 400 Bilder gelagert werden und von hier aus in die Galerien und zu den Käufern gelangen, wir setzen uns.

Was hören Sie denn am liebsten? 

Christian Ludwig Attersee: Jede Art von Musik, ich habe 75.000 CDs, 20.000 LPs. Ich liebe Jazz, einer meiner Lieblinge ist Charles Mingus, und Saxofonmusik. Ich war 1962 in New York im alten Birdland, damals das berühmteste Jazzlokal der Welt, später wurde es geschlossen. Ich musste oben sitzen, weil ich nicht das Geld hatte, unten Platz zu nehmen. Das Geld aus Österreich war nichts wert, ein Dollar kostete 70 Schillinge.

Was passierte dann?

Ja, plötzlich saß da Joe Zawinul am Klavier, mit ihm war ich befreundet. Das war eine riesige Überraschung. An viel kann ich mich nicht erinnern, da wurden mir sicher irgendwelche Drogen gegeben. Mein Freund Erich Moritz und ich hatten kein Geld, um zu übernachten, es hatte minus 30 Grad, also war das eine gute Art, die Nacht zu verbringen und am nächsten Tag nach Österreich zurückzukehren. In der Jazzmusik gab es damals viele studierte Musiker, sie versuchten die Jazzmusik mit unserer Zwölftonmusik zu vermischen. Das hat mich interessiert. Auch die Volksmusik, da gab es eine amerikanische Schallplattenedition aus den 1950er-Jahren, die wurde mit kleinen alten Magnetofonen gestaltet, überall auf der Welt wurden Tonbandaufnahmen gemacht – diese Musik ist zum großen Teil ausgestorben. Und natürlich noch die amerikanische Schlagermusik – Rhythm & Blues und Rock ’n’ Roll, damit bin ich aufgewachsen.

Große Kunst im Wiener Atelier. Rund 400 Werke lagern hier

©Kurier/Wolfgang Wolak

Woher kam dann Ihre Liebe zur Oper?

Meine Mutter hat immer Opern im Radio gehört, aber mit 15 Jahren wurde mir gesagt, dass ich keine Musikausbildung bekomme, weil ich auf einem Ohr taub bin, mir hat also das adäquate Gehör gefehlt.

Das muss schwer für Sie gewesen sein. 

Na gut, habe ich mir gedacht, dann werde ich halt Rock ’n’ Roll-Sänger, habe aber Regeln aufgestellt: Erstens darf ich falsch singen, zweitens halte ich den Rhythmus nicht ein und drittens kann ich nicht Klavier spielen und spiele eben wie ein Maler Klavier. Mit dieser Art von Musik wurde ich dann berühmt, aber eben nicht bei dem Musikpublikum, sondern bei dem Publikum, das aus der Malerei stammt. Aber es waren auch sehr oft 3.000 Leute, wenn ich in einem Museum ein Konzert gab.

Inzwischen sind Sie ein berühmter Maler, doch die Musik hat Sie nicht losgelassen? 

Nein, seit Jahren versuche ich mich an einer Operninszenierung, einer Collage von Erik Saties Musikstücken, doch ich kam immer an Dirigenten, die diese Art von Musik überhaupt nicht kennen: Ich nehme jetzt gerade wieder Anlauf, diesmal zu den Salzburger Festspielen.

Was darf man sich darunter vorstellen, können Sie ein klein wenig verraten? 

Es soll eine Inszenierung mit einer Objektdekoration sein – das heißt, ein Gegenstand, zum Beispiel eine Leiter, steht dann in der Mitte in allen sechs oder sieben Teilen der Musikverbindung, die wie eine Oper mit kostümierten Ballettstücken inszeniert wird. An dem arbeite ich seit Jahren, vielleicht wird es ja mal was. Das interessiert mich sehr, Satie gehört dann zur Welt meiner Malerei.

Hören Sie bei der Kreation so einer Gestaltung auch Musik, die Sie dafür inspiriert? 

Ja, ständig. Heute aber noch nicht, ich komme gerade vom Semmering, wo ich ja am liebsten male. Dort habe ich Sommer und Winter in der Hand, die Natur ist wunderschön, das Licht ist großartig.

Es war ja auch am Semmering, wo Sie Plakate für die Weltcuprennen präsentierten, Sie hatten es 2018 mit einer nackten Frau gestaltet. Das sorgte für Wirbel, nach wie vor? 

Ja, aber jeder Mensch weiß, wie eine nackte Frau oder ein nackter Mann aussehen, wieso sollte man das nicht auch malen dürfen? Und wenn ich heute ins Kunsthistorische Museum gehe, finde ich eine Menge nackter Menschen in historischen Gemälden.

"Kunst ist nicht nur zum Geldverdienen da", sagt Christian Ludwig Attersee

©Kurier/Wolfgang Wolak

Was halten Sie dann von der Aufregung, wo kommt sie her? 

Es ist eine ganz komische Haltungswelt entstanden. Ich bin natürlich auf der Seite der Frauen, sie müssen nicht immer nackt gemalt werden, aber Erotik ist ein zentrales Thema für die Menschen. In der Renaissance, in der viele Künstler homosexuell waren, wurden Männer mit Krapfen auf der Brust als Frauen gemalt. Denken wir etwa auch an Michelangelo, der mit seiner Davidstatue eine der bekanntesten Ikonen der Homoerotik geschaffen hat. Bei den alten Römern liebten sich viele Männer, Aufgabe der Frauen war unter anderem, die Familie zu vergrößern. Doch egal, ob homo- oder heterosexuell, Erotik hat in der Kunst immer schon eine entscheidende Rolle gespielt. Sexualität wird in der Malerei meist als Erotik definiert. Bilder sollen Gesellschaftskritik leisten, vor allem aber den Menschen eine Freiheit schenken, die im Kopf ihre unterschiedliche Selbstständigkeit findet, ebenso wie Erotik.

Sie werden nächstes Jahr 85 Jahre alt, wenn Sie auf Ihre Laufbahn blicken, was hat Sie geprägt? 

Meine Familie übersiedelte knapp vor Kriegsende nach Oberösterreich. Ich besuchte in Linz das Gymnasium und wechselte 1957 an die Akademie für angewandte Kunst. In Wien gab es in dieser Zeit nur drei wichtige Galerien und ich habe zehn Jahre lang kaum ein Bild verkauft. Viele der Künstler waren für die Nachkriegszeit wichtig, Einflüsse gab es von der École de Paris und Ende der 1950er-Jahre die Kunst aus New York, Fluxus und später Pop Art. Artmann und die Wiener Gruppe, insbesondere Gerhard Rühm waren meine ersten Künstlerfreunde. Letzterer war ja auch ein toller Musiker, da saß ich oft neben ihm, er spielte Schönberg und Skrjabin.

Kunst als Erweiterung der Welt. Eines der Attersee-Werke, das genau diesen Anspruch auszudrücken scheint

©Kurier/Wolfgang Wolak

Und was planen Sie für das Jahr?

Was meinen 85er beruflich betrifft, habe ich eine Menge Ausstellungs-Angebote, ich werde nicht alles machen können und sortiere gerade aus. Heuer habe ich schon mehrere Ausstellungen in New York und Zürich hinter mir, in der Schweiz folgt im Herbst in Zug wieder eine Ausstellung. Der Markt ist überall anders, und die Galeriewelt ändert sich auch, vor allem was die Käuferschicht angeht.

Inwiefern ändert sie sich?

Kunst ist für mich nicht nur zum Geldverdienen da. Es geht um die Erweiterung der Welt, und zwar im positiven Sinn.

Dennoch werden Bilder von Ihnen mit fünfstelligen Beträgen und mehr gehandelt, bei manch anderen Künstlern schnalzen die Preise sogar in Millionenhöhe.

Wer ein Bild kauft, entzieht es allen anderen. In der Sammlerszene werden Gemälde mitunter als Wertanlage betrachtet. Heute ist die Galerie ein Spielball für vieles geworden und der Kunstmarkt funktioniert in jedem Land anders. In Amerika bestimmt vermehrt der Galerist, was gemalt wird und die Käufer akzeptieren das. In Österreich geht das nicht so. Und was auch nicht viele wissen: Viele Bildhauer haben ein Arbeitsteam, das ist in der Malerei noch nicht so üblich. Man erzählt sich, Jeff Koons hat über 100 Angestellte, bei Warhol waren es in den 1960er-Jahren, seiner Hoch-Zeit zeitweise bis zu 400, die vor allem Siebdrucke anfertigten. Auch Picasso hatte in seiner Keramikproduktion der 1950er-Jahre hunderte Mitarbeiter.

Christian Ludwig Attersee im freizeit-Interview mit Chefredakteurin Marlene Auer

©Kurier/Wolfgang Wolak

Es gibt auch moderne Techniken in der Kunst, die stärker eingesetzt werden. Setzen Sie diese auch ein?

Künstliche Intelligenz ist ein großes Thema, ich betrachte das aber misstrauisch. Natürlich gibt es da aber auch Bildschöpfungen, die interessant sind. Manche Ausstellungen bestehen nur noch aus projizierten Kunstwerken, das ist aber nicht, was mir an der Kunstproduktion Freude macht. Ich liebe Malerei, bin immer auf Erlebnis- und Erkenntnisjagd. Für das Ende eines Bildes gibt es außerdem einen guten Trick.

Welchen?

Ich warte immer auf ein Ersterlebnis, in Form eines Gefühls der Überraschung, eine Art Schöpfungsglück; sollte mir das nicht gelingen, überarbeite ich das Werk. Das ist mein Geheimnis.

Marlene Auer

Über Marlene Auer

Chefredakteurin KURIER-freizeit. War zuvor Chefredakteurin bei Falstaff und Horizont Österreich, werkte auch als Journalistin im Bereich Chronik und Innenpolitik bei Tages- und Wochenzeitungen. Studierte Qualitätsjournalismus. Liebt Medien, Nachrichten und die schönen Dinge des Lebens.

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