Künstler & Weltstar: Zu Gast im Schloss von Erwin Wurm
Surreal, philosophisch und voller Scharfsinn: Erwin Wurm gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler der Welt. Kurz vor seinem 70. Geburtstag hat er die "freizeit" in sein Schloss im Weinviertel eingeladen.
Das westliche Weinviertel ist eine Gegend mit Charakter. Wald und Wein sind einander ebenbürtig, dazwischen beschauliche Dörfer, Obstgärten und Weiher, von denen man unwillkürlich glaubt, dass sie einmal zu einem Burggraben gehört haben. Einst herrschte das Rittergeschlecht der Zinken hier am Übergang zum Waldviertel. Sanft hügelig bietet sich die Gegend praktisch für den Burgenbau an, die legendären Kuenringer lebten noch etwas weiter im Westen, die Schleunz in Burgschleinitz, dann waren da die mächtigen Maissauer – und Konrad der Zinken von Limberg. Von seiner Burg ist nichts mehr zu sehen, aber der Edelsitz steht noch, das Schloss von Limberg, vielleicht hat einer seiner Söhne schon hier gewohnt.
Vor knapp 100 Jahren gab es im Dorf drei Gasthäuser, zwei Gemischtwarenhändler, zwei Mühlen, zwei Schneiderinnen, einen Schuster, eine Hebamme, einen Tischler, drei Brennstoffhändler und eine Weinkellerei. Wer heute durch den verträumten Ort mit der alten Wehrkirche schlendert, sucht vergeblich nach einem Wirtshaus zur Post oder einem Kirchenwirt.
„Es ist traurig“, sagt der aktuelle Schlossherr zu Limberg, „aber heute gibt es in den kleinen Orten nicht mehr eine Spur von Infrastruktur. Wer ein Landgasthaus sucht, braucht schon ein Auto.“ Der Schlossherr ist kein Geringerer als Erwin Wurm, der für die "freizeit" das mächtige Metalltor seines Anwesens öffnete. „Prinzipiell bin ich aber ohnehin wegen der Ruhe hier, in Wien ist so viel los, da kommt man kaum zum Arbeiten. Und wegen dem Platz natürlich.“
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Er sieht sich um, zeigt kurz auf das Nebengebäude des Schlosses, ein barocker Schüttkasten, in dem sich heute sein Büro und eine Werkstatt befinden, und auf die Lagerhallen gegenüber.
Denn Erwin Wurms Kunst ist oft durchaus „big“ oder „fat“, wie seine berühmten aufgeblasenen Autos. Die übrigens nicht mehr Fat Car heißen dürfen. Car Big ist ihr neuer Name, nachdem sie vor einigen Jahren in England nicht mehr unter ihrem ursprünglichen Namen ausgestellt werden durften. Stichwort Bodyshaming.
„Ich habe natürlich zu erklären versucht, dass fat ja hier auch für teuer steht, also im Sinne einer fetten Uhr etwa. Aber Begrifflichkeiten ändern sich nun einmal, und prinzipiell hatte ich mit der Namensänderung kein Problem“, erklärt der Künstler. „Weil ich doch sensibilisiert bin, was diesen Umgang miteinander betrifft, diese Lust, dem anderen zu schaden. Ich finde es gut, dass man dagegen was tut.“
Aber auch wenn Wurms Werk extra „schmal“ ist, wie sein auf vielen Ausstellungen bestauntes Narrow House, passt es nicht unbedingt in eine Durchschnittsgarage. Es ist zwar nur ein Sechstel so breit wie das Original in Graz, in dem der Künstler aufgewachsen ist, aber die Länge ist maßstabsgetreu. Das sind Werke, die untergebracht sein wollen.
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China & Graz
In Limberg ist Platz dafür – und was für einer. Ein wunderbarer Teich, weitläufige Obstgärten, dahinter grasen Schafe an einem beinahe irisch grünen Hügel. Wenn etwas sich Idylle nennen darf, dann das hier. Auf dem Weg durch den Garten zum Schloss wird unwillkürlich das Elternhaus noch einmal zum Thema. Steht es nur für die Enge der Kindheit in den 50ern und 60ern des vergangenen Jahrhunderts – oder stimmt es, dass es entstanden ist, weil Erwin Wurm sich über einen Ausstellungsraum in einem chinesischen Museum geärgert hat?
„Es ist eine Arbeit über mein Elternhaus, über meine Geschichte, und über das, was Österreich in dieser Zeit war“, erklärt unser Gastgeber. Und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Aber es stimmt, der Anlass war, dass ich mich schlecht behandelt gefühlt habe im Rahmen einer Ausstellung in China. Ich bekam dort einen zwar relativ langen, aber sehr schmalen Raum zugewiesen, während ein anderer Künstler praktisch eine Halle zur Verfügung hatte, in der er einen ganzen Zug ausgestellt hat, Tonnen und Tonnen an Waggons. Und ich wollte dieses Gefühl thematisieren. Da kam mir die Idee für ein Haus, in das man hineingehen können sollte, das aber auch dieses Gefühl vermittelt, sich nicht entfalten zu können ... und da hat sich das Elternhaus quasi aufgedrängt.“
Im märchenhaft schönen Arkadenhof des Schlosses ist es leider trotz der Jahreszeit zu kalt. Der Hausherr bittet also in den ersten Stock, in dem ein langer Holztisch den Wohnraum dominiert. Kunstwerke aus unterschiedlichen Jahrhunderten harmonieren hier in wunderbarer Weise mit einer kleinen blauen Schwester von Wurms Big Mutter, der riesigen orangen Wärmflasche mit Füßen, die auch schon beim Stephansdom zu sehen war.
Kennt man die Geschichte der Entstehung von Wurms Narrow House, hat man das Gefühl, dass es für einen Künstler wohl nicht reicht, wenn er wartet, bis die Muse ihn küsst.
„Nein, da wartet er umsonst“, bestätigt der Meister beim Kaffee. „Jeder, der künstlerisch arbeitet, wird Ihnen bestätigen, dass man vieles anfängt, viele Ideen hat – und dann aussucht, welche man wirklich ausführt. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man entwirft einen Plan, hat eine genaue Vorstellung, wie alles sein soll und geht dem dann unbeirrt nach. Oder man lässt zu, dass Eventualitäten, die einem auf diesem Weg begegnen, einen in eine neue Richtung führen. Das ist dann beinahe so, als wenn einen die Arbeit an der Hand nimmt und führt. Und wenn man sich das erlaubt, dann kann es sein, dass das Ergebnis besser wird. Muss nicht sein. Aber kann.“
Erwin Wurm ist es gelungen, der Kunst eine gewisse Leichtigkeit zu geben, „dieses Heitere, dieses Nonchalante“, wie es der Kunsthistoriker Rainer Metzger gerade in einer empfehlenswerten Biografie geschrieben hat. Darf Kunst denn Spaß machen?
„Ja warum nicht?“, fragt Wurm zurück. „Kunst war lange Zeit mit so viel Pathos behaftet. Pathos bedeutet aber immer Schwere. Und der Besucher hat sich vor dem pathetischen Werk klein gefühlt. Das will ich nicht. Mir wäre lieber, dass die Besucher schweben können! Außerdem bin ich überzeugt: Eine abgehobene Kunst, die sich nicht verknüpft mit der Gegenwart, ist sinnlos.“
Dennoch haben Wurms Werke gerade mit ihrer Konsumkritik, dem Aufgeblasenen, Überdimensionierten einen sehr ernsten Kern. „Natürlich ist es eine Kritik an unserem Leben, unserer Welt, wie wir damit umgehen und was wir daraus machen. Aber wenn man auf diese Welt aus der Perspektive des Absurden schaut, ergeben sich unter Umständen paradoxe Situationen, man sieht Dinge anders – und dann kommt es vielleicht zum Erkenntnisgewinn. Vielleicht auch nicht ...“
Erwin Wurm rangiert in den Top-10 der aktuell wichtigsten bildenenden Künstlern der Welt, ist also quasi selbst ein Popstar. Vor mehr als 20 Jahren, als er zwar schon Professor, aber noch nicht international gefeiert war, kam es zu einem folgenschweren Kontakt mit tatsächlichen Rockstars.
„Ach dafür werde ich noch immer ausgelacht“, erklärt Erwin Wurm und kann selbst nicht anders, als zu lachen.
Er hatte nämlich noch nie etwas von den Red Hot Chili Peppers gehört, als die bei ihm anriefen und fragten, ob sie seine „One Minute Sculptures“ für ihr Video zu „Can’t Stop“ verwenden dürften. Erst die Begeisterungsrufe seiner Mitarbeiter, als er den Namen der Band am Telefon laut wiederholte, brachten ihn dazu, das Angebot anzunehmen.
Eine gute Entscheidung, das Video war wohl ein entscheidender Karriere-Schub. Persönlich kennengelernt hat Wurm die Rocker übrigens nie. Zur Video-Premiere zu kommen, ging sich terminlich nicht aus, und auch als sie nach Wien kamen, war er verhindert.
„Witzig ist ja, das Anthony Kiedis in einem Interview dennoch behauptete, Erwin ist wie ein alter Onkel für uns. Aber das ist eben Show-Business.“ Und auch das ist dem modernen Schlossherrn nicht fremd.
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