Künstler Gottfried Helnwein: "Mein Hauptwerk liegt noch vor mir"

Seine Werke polarisieren, damit will er Menschen dazu bringen, nicht zu verdrängen. Im Interview spricht er über die Macht der Bilder und darüber, warum er alles in seinem Leben ändern würde - bis auf eines.

Seine Bilder lösen Gefühle aus, die zwischen Verstörung und Betroffenheit pendeln, jedenfalls berühren. Derzeit widmet die Albertina ihm eine Ausstellung, das Thema seiner Werke ist aktueller denn je. 

Krieg in der Ukraine, Krieg in Israel: Gewalt dominiert die Welt, sie ist auch Thema Ihrer Bilder. Ist so viel Böses, in der Realität wie in der Kunst, den Menschen zuzumuten?
Eigentlich nicht. Aber es geht darum, hinzuschauen. Gewalt gibt es die ganze Geschichte der Menschheit hindurch, man hat stets versucht, sie auszublenden, weil die meisten damit nicht umgehen können. Durch Verdrängung trägt man aber dazu bei, dass es weiter geht. Mein Bild des blutüberströmten Mädchens auf dem Ringturm ist von der Realität schon eingeholt worden, wir können es jetzt hundertfach im Internet sehen: blutige Kinder, hilflos, verwundet, sterbend.

 

Wie groß ist die Macht der Bilder heute im Vergleich zu früher?
Wir leben in einer Zeit der Informationsüberflutung und heutzutage kann man das Gemetzel in Echtzeit verfolgen mittels Drohnen, Helmkameras der Soldaten und Handys der Terroristen, die ihre Taten filmen. Es ist aber für uns kaum möglich, zu unterscheiden, welche Bilder echt sind. Die meisten werden instrumentalisiert und für Propagandazwecke missbraucht.
Allerdings gibt es Medien, die kritisch berichten und Quellen prüfen.
Ja, ich weiß, dass es Journalisten gibt, die sich wirklich um die Wahrheit bemühen. Doch liegt es oft nicht in ihrer Hand: Die Entscheidung, welche Infos von Nachrichtenagenturen geliefert werden und welches Bildmaterial ins Netz gestellt wird, treffen andere.

 

Eine Meinung, mit der Sie wohl anecken, doch für Polarisierung sind Sie bekannt.
Schon, doch ich halte eine gesunde Distanz zu jeder Ideologie und Partei. Wenn man sich irgendeinem Glaubenssystem unterordnet, verliert man seine eigene, freie Sicht. Man fühlt sich natürlich sicherer, Teil der Mehrheit zu sein. Allein und einsam gegen den Strom seinen Standpunkt zu vertreten kann gefährlich sein, siehe Sophie Scholl.
Wie gehen Sie mit den teils heftigen Reaktionen auf Ihre Kunst um?
Anfänglich haben meine Arbeiten immer wieder für Aufregung gesorgt, aber ich habe nie ein Problem damit gehabt, denn ich habe meine Kunst immer als Dialog verstanden und nehme die Emotionen ernst. In den vergangenen zwei Jahrzehnten bekam ich jedoch vorwiegend positive Reaktionen und habe den Eindruck, meine Arbeiten berühren viele Menschen, sie bedeuten ihnen etwas.
Was kann Kunst in Kriegszeiten bewirken?
Kunst kann die Ereignisse nicht verändern, aber den Menschen einen differenzierten Blick auf die Geschehnisse geben. Die Unentrinnbarkeit des Schreckens wird durch die Ästhetik transzendiert und relativiert. Durch die Kunst verliert der Tod seine Macht. Und Kunst kann uns daran hindern zu vergessen. Es würde sich wohl niemand mehr an die spanische Stadt Guernica erinnern, in der 8.000 Menschen durch deutsche Bomben getötet wurden, wenn Picasso diesem Ereignis nicht ein Bild mit dem Namen dieser Stadt gewidmet hätte.

 

Chefredakteurin Marlene Auer zusammen mit Gottfried Helnwein 

©KURIER/Jeff Mangione
Es geht auch darum, in welchem Stil dargestellt wird. Sie nennen Goya als Vorbild, er zeigte die Schlachten im 19. Jahrhundert, was beeindruckt Sie dabei so?
Vor Goya sind Kriege und Schlachten in der Kunst in der Regel als heroische Ereignisse glorifiziert worden, Napoleon in prächtiger Uniform und wallendem Mantel auf einem sich aufbäumenden Schimmel, heldenhafte Kämpfer, die über geschlagene Gegner triumphieren. Wie in den meisten Kriegsdarstellungen, bis heute: Propaganda. Goya hat als erster Künstler der Geschichte in seinen Radierungen den Krieg als das dargestellt, was er wirklich ist: der Augenblick, in dem der Mensch auf die tiefste Stufe seiner Existenz sinkt und zur Bestie wird. Und er hat dabei nicht Partei genommen, weder für die eine, noch die andere Seite.
Wenn Sie, so wie er, die Gegenwart in einem Bild festhalten: Welche Szene würden Sie wählen?
Ich bin weder Journalist noch Kriegsfotograf oder politischer Analyst. Es ist nicht meine Aufgabe, konkrete Ereignisse zu beschreiben. Ich kann nur versuchen, den Betrachtern einen neuen Blick auf die Geschehnisse zu ermöglichen und eine Ahnung von dem zu vermitteln, was all dem zugrunde liegen könnte.
Sie zeigen Kinder und Frauen als Opfer. Man könnte sie auch mit Stärke inszenieren und damit ein anderes Narrativ schaffen.
Meine Kunst ist nicht dazu da, Vorschläge zu machen oder Antworten zu geben, sondern Fragen zu stellen. Die Menschen zu ermutigen, das anzusehen, was ist.

Im Interview sprachen Marlene Auer und Gottfried Helnwein über die Macht der Bilder und darüber, warum er alles in seinem Leben ändern würde

©KURIER/Jeff Mangione
Wie gehen Sie damit um, sich stets mit Gewalt auseinander zu setzen?
Für mich war das Thema immer präsent, aus irgendeinem Grund habe ich dessen Existenz nie verdrängen können. Seit ich in meiner Kindheit vom Holocaust erfahren habe, begann ich geradezu obsessiv, nach Antworten zu suchen.
Neben Kriegen gibt es viel weitere Gewalt auf dieser Welt: Kindermissbrauch, Femizide, Folter. Was davon beschäftigt Sie am meisten?
Mein Fokus liegt immer auf den Opfern, ich will die Menschen zwingen sie anzusehen. Beim Anblick eines getöteten Kindes hören all die gegenseitigen Beschuldigungen und Rechtfertigungen der Kriegsführenden auf. Kein Kind hat das verdient. Die Menschen haben in den vergangenen 100 Jahren in atemberaubender Geschwindigkeit Technologien entwickelt, der größte Teil der finanziellen und kreativen Energie geht in die Entwicklung immer effektiverer Waffensysteme. Es gibt nun genug davon, um alles Leben auf diesem Planeten auszulöschen. Leider hat sich die Menschheit moralisch und ethisch nicht weiterentwickelt, sie steht immer noch auf der Stufe der Steinzeitmenschen. Das ist unser Problem: Hightech-Waffen in den Händen von Idioten.
Muss Kunst heute "schreien“, um wahrgenommen zu werden?
Heute muss man sich als Künstler vor einer gigantischen Informations- und Bilderflut behaupten. Das Prinzip der Kunst ändert sich nicht, aber sie muss die Sprache ihrer Zeit sprechen, damit sie wahrgenommen und verstanden werden kann. Größe kann ein Kriterium sein, aber es ist immer Qualität, Intensität und Radikalität, worauf es ankommt.

 

Kürzlich sind Sie 75 geworden. Doch Alter ist keine Frage der Jahreszahl. Wie alt fühlen Sie sich?
Ich bin alterslos. Der Körper verändert sich, aber ich selbst bin keinem Alterungsprozess unterworfen. Heute bin ich konzentrierter und disziplinierter als früher, ich vergeude nicht mehr so viel Zeit.
Wobei war das der Fall?
In meiner Jugend in der Nachkriegszeit waren wir desorientiert. Zügellosigkeit, Anarchie, Rundumschlag und Alkohol erschien vielen als einzig mögliche Strategie gegen das Spießertum. Das hat sich auch in der Kunst manifestiert, etwa im Wiener Aktionismus, Handkes Publikumsbeschimpfung und Wolfgang Bauers "Magic Afternoon“.
Sie waren damals viel mit Manfred Deix zusammen. Könnte man seine Karikaturen heute noch so zeigen?
Es wird schwerer, denn in den 70er-Jahren und Anfang der 80er gab es ein unglaubliches Maß an Freiheit. Wir dachten, wir können alle Tabus brechen, Political Correctness gab es nicht. Doch es war nur eine kurze Illusion. Heute verlieren wir diese Freiheiten wieder. Es ist eine seltsame Art von Zensur, sie kommt von überall her.

 

Gottfried Helnwein vor seinem berühmten Werk "Head of a child 14 (Anna)"

©APA/AFP/JOE KLAMAR
Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich sagen?
Es gibt Menschen, die sagen: Müsste ich von vorne anfangen, würde ich nichts ändern. Das kann ich nicht sagen, es würde bedeuten, dass ich nichts dazugelernt hätte. Ich würde fast alles ändern. Nur das Leben mit meinen Kindern würde ich wiederholen. Ich habe mich nie als Vorgesetzten gesehen, sondern als Freund oder Komplize. Vielleicht würde ich aber nicht vier Kinder haben, sondern zehn.
Und was würden Sie ändern?
Ich würde hartnäckiger lernen, mehr Orte und Leute kennenlernen.
Was haben Sie noch vor?
Ich bin noch am Anfang, mein Hauptwerk liegt noch vor mir. In meinem Kopf arbeite ich schon daran, ich muss mich nur vortasten, dann werde ich sehen, was es wird. Ich lasse mich überraschen.
Marlene Auer

Über Marlene Auer

Chefredakteurin KURIER-freizeit. War zuvor Chefredakteurin bei Falstaff und Horizont Österreich, werkte auch als Journalistin im Bereich Chronik und Innenpolitik bei Tages- und Wochenzeitungen. Studierte Qualitätsjournalismus. Liebt Medien, Nachrichten und die schönen Dinge des Lebens.

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