Bruce Springsteen 1977

Bruce Springsteen: Zeitreise mit dem Boss

Niemand kennt Bruce Springsteen NICHT. Doch kaum jemand kennt ihn besser als Star-Fotografin Lynn Goldsmith, seine ehemalige Freundin. Mit der "freizeit" sprach sie darüber, was ihn damals schon einzigartig machte.

Rückblickend betrachtet war Bruce Springsteen natürlich immer der Boss. Sein Debüt-Album „Greetings from Asbury Park“ (1973) ist heute für Fans ein Kult-Klassiker und „Born to Run“ gilt quasi als Hochamt im historischen Rock-Kanon. 

Und doch ... Es war nicht alles eitel Sonnenschein für den Junior-Chef, als er im Jahr  1977 zarte 28 wurde.  „Es war eine Zeit der Unsicherheit. Die Kritiker hatten ihn bejubelt, aber es wurden Zweifel laut, ob er wirklich halten kann, was man sich von ihm versprochen hatte“, erinnert sich die US-Fotografin und Regisseurin Lynn Goldsmith heute. 

Außerdem lest ihr in dieser Geschichte noch

  • Springsteen findet seinen Weg
  • Wie war Bruce als Mann?
  • Die Frau, die ihn fotografierte. Und liebte ...

Woher Lynn Goldsmith das wieß? Die damals 29-Jährige, die ihr Studium der Englischen Literatur und Psychologie magna cum laude abgeschlossen hatte, war als Fotografin nicht nur für die Dokumentation der Studio-Aufnahmen fürs neue Album und die darauffolgende Live-Tour zuständig – sie war zu der Zeit auch privat die Frau an Bruce Springsteens Seite. 

Also in gewisser Weise die Junior-Chefin. 

Bruce ist nicht Bob

„Es war schwierig für ihn. Damals suchten die Medien  wie besessen in jedem jungen Musiker den neuen Bob Dylan. In Billy Joel etwa und eben auch in Bruce. Ich wusste, das war Blödsinn, es gab nur einen Bob –  und nur einen Bruce“, schildert sie die angespannte Situation der Jahre ’77 und ’78, in der Springsteen sich von Erwartungshaltungen emanzipierte und mit dem Album „Darkness on the Edge of Town“ tatsächlich zum globalen Superstar wurde. 

In ihrem aktuellen Fotoband „Bruce Springsteen & The E Street Band“ (Taschen Verlag) zeigt sie teilweise bisher unveröffentlichte Bilder aus eben dieser Zeit. Mitreißende Aufnahmen einer Zeit des Umbruchs, nicht nur für Springsteen, auch für die Gesellschaft. Man verabschiedete sich endgültig vom Hippieflair der 60er und frühen 70er und trug Sakko und Vokuhila – auch als bodenständiger Rocker aus New Jersey. 

Die Energie, mit der Bruce Springsteen, Steven Van Zandt und ihre Mitstreiter der E Street Band zur Sache gingen, kann man beinahe physisch spüren. Ebenso wie die Anspannung im Studio und Backstage, vor den großen Auftritten. 

Und wie jung damals alle waren! „Ach, so jung waren wir ja gar nicht“, sagt Lynn Goldsmith lachend, „das gilt heute vielleicht, dass man in diesem Alter jung ist. Damals gingen wir nicht davon aus, viel älter als 30 zu werden oder dachten zumindest, dass man danach ohnehin irrelevant wird.“ 

Es war auch auf genau dieser Tour, dass Springsteen seinen legendären Ruf als Live-Performer erwarb. Ausufernde Shows, gefühlt ohne Ende, von der Bühne ging er erst, als er physisch dermaßen erschöpft war, dass er kaum noch stehen konnte.

Familie Springsteen 

„Und wie er mit den Menschen umging ... Das war tatsächlich einzigartig. So etwas hatte ich bis dahin nicht erlebt“, erzählt die Fotografin. „Bruce schaffte es auf beinahe magische Art, eine Beziehung zum Publikum herzustellen. Man hatte das Gefühl, dass man Teil einer großen Familie wird.“

Bei ihm gab es kein so plattes wie austauschbares We love you Detroit/New York/London/Vienna!, der Boss erzählte zwischen den Songs aus seinem Leben. Geschichten, echte Geschichten von seinem Vater, seinem Leben, Ängsten, Erfahrungen, Beobachtungen. So wie er es in seinen Songs eben auch tat. „Er war ... er ist ein einzigartiger Songwriter“, sagt Lynn Goldsmith. 

Selbst zu lesen begann der große Geschichtenerzähler übrigens erst in dieser Phase, an der Seite seiner Freundin. Heute gilt er nicht nur als wahrhafter Steinbeck-Experte, er empfiehlt auch, wo immer er die Gelegenheit hat, unbekannte Perlen der US-Literatur wie die große Flannery O’Connor. 

Wie war er dann eigentlich so, vergeistigter Künstler oder hemdsärmeliger Arbeiter? 

„Ach, Bruce zog am Morgen seine Hosen an wie jeder andere Kerl“, sagt Goldsmith lachend. „In Wahrheit war er wohl beides. Er hatte seine stillen, in sich gekehrten Momente und Phasen – aber wenn’s darum ging, etwas zu tun, etwas zu schaffen, konnte er anpacken wie kein anderer. Dann war er ein Arbeiter, unermüdlich. Niemand machte so lange Soundchecks, niemand steckte so viel Energie in jedes Detail. Und auf der Bühne, da trieb er alles an, die Band, die Techniker – er war der Motor der gesamten Show.“

Fotografie als Flucht

Dass Lynn Goldsmith, die in ihrer Karriere weit über 100, teils legendäre Album-Covers fotografiert hat und deren Aufnahmen von Größen wie Prince, Bob Dylan, Patti Smith, Michael Jackson, den Stones oder den B52’s im Smithsonian, dem Museum of Modern Art in New York und der Rock ’n’ Roll Hall of Fame hängen, überhaupt bei der Fotografie gelandet ist, verdanken wir einem Zufall. 

 „Bruce Springsteen & The E Street Band“ (Taschen Verlag)

Lynn Goldsmith: „Bruce Springsteen & The E Street Band“ (Taschen Verlag) 

©Lynn Goldsmith

Oder nein, sagen wir es, wie es ist: dem Sexismus. 

„Ich habe ja als Regisseurin angefangen, Anfang 20, gleich nach der Uni“, erinnert sie sich heute. „Aber es war eben, wie es war: Jung UND weiblich zu sein, sorgte damals dafür, dass Männer deiner Arbeit, nennen wir es extrakritisch  gegenüber standen. Und das macht es sehr mühsam, wenn du ständig gegen ein grundlegendes Misstrauen ankämpfen musst. Irgendwann dachte ich mir also: Ich konzentriere mich aufs Fotografieren, da muss ich  mich nicht ständig mit einer ganzen Meute von Männern  herumärgern.“ 

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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