Thriller-Bestsellerautor Bernhard Aichner: "Dachte, das ist die Strafe Gottes"
Bernhard Aichner ("Totenfrau") über Liebe und Tod, Kindheitserlebnisse im Schlachthof und seinen neuen Roman "Yoko".
Bernhard Aichner sitzt im Dachgeschoß, die südburgenländische Sonne scheint zum Fenster herein in Neumarkt an der Raab, er lächelt. Voller Vorfreude: Am 13.8. erscheint der neue Thriller des Bestseller-Autors. „Yoko“ handelt von einer Frau, die Glückskekse herstellt. Als sie eines Tages an ein Restaurant ausliefert, steht sie einem gepeinigten Hund im Hinterhof bei, wofür sie von dessen Quälern gewaltsam bestraft wird. Ein Albtraum beginnt, ihr wird alles genommen – doch sie schlägt zurück, unerbittlich. „Ein Rachefeldzug“, sagt Aichner. Ein blutiger.
Mit Yoko macht Aichner erneut eine mörderische Frau zu seiner Buch-Heldin. 2014 wurde er mit „Totenfrau“ bekannt, eine Million Mal haben sich seine Krimis verkauft. Auch in „Yoko“ bleibt er seinem temporeichen Stakkato-Schreibstil treu.
Als Mann aus der Sicht einer Frau zu schreiben ist eine gewisse Herausforderung. Kann schief gehen, geht immer wieder schief. Sie tun es öfter, auch „Yoko“ ist die Geschichte einer Mörderin. Ein Leichtes für Sie?
Wenn man es als Mann zustande bringt, Frauen zu respektieren und Gleichberechtigung ernst zu nehmen, fällt es einem auch als Autor leicht, sich in eine Frauenfigur hineinzuversetzen. Mir ist es wichtig, Frauen den größtmöglichen Respekt zu erweisen. Und meinen Figuren auch. Wenn man sich auf Augenhöhe begegnet, ist das Fühlen bei Mann und Frau gar nicht mehr so unterschiedlich. Meinen Anteil an Weiblichkeit in meine Heldinnen einzubringen, macht mir Freude. Yoko ist auch ein Teil von mir.
In Österreich sind zumeist Männer die Täter und Frauen die Opfer, es gibt besonders viele Femizide.
Es sind auch Männer, die Kriege führen. Wären mehr Frauen an der Macht, würde es auch weniger Kriege geben. Die Unvernunft der Männer gebiert das Zerstörerische. Ich bin sehr froh, mich nur in der Fiktion zu bewegen. Zwischen Buchdeckeln macht ein erfundener Grusel Spaß. Die Wirklichkeit macht mir Angst. Krimis stillen auf gewisse Weise die Sehnsucht nach unserer dunklen Seite. Auch sie zu befriedigen, ohne sie auszuleben. Ich glaube, Krimis zu lesen macht die Welt besser.
Was gab die Initialzündung für Ihren Roman?
Der Besuch eines chinesischen Restaurants. Zum Abschluss gab es Glückskekse und ich habe mich gefragt, was wäre wenn sie Drohungen statt schöner Sprüche enthalten würden? So entstand die Idee von Yoko, die Glückskekse ausliefert. Dass sie ehemalige Metzgerin ist, macht es ihr leichter, so manche Leiche verschwinden zu lassen. Hier fließen eigene Erlebnisse ein: Mein Kindheitsfreund war der Sohn des Metzgers im Dorf. Wir spielten Tischtennis im Schlachtraum, daneben wurden mit dem Bolzenschussgerät Kühe betäubt und mit dem Messer Halsschlagadern geöffnet.
Sie sagten, „Yoko“ hätte sich auch leicht zu einem wunderbaren Liebesroman entwickeln können. Warum biegen Sie letzten Endes doch immer in die Krimi-Gasse ab?
Manche Autoren finden, eine Liebesgeschichte hat in einem Thriller nichts verloren. Ich bin der Meinung, Liebe und Tod sind die großen Motoren in der Literatur. Wobei es natürlich brutal ist, was ich meinen Heldinnen antue. Manchmal bin ich den Tränen nahe, weil ich mitfühle, leide und -liebe, genauso wie es meine Heldin tut.
Meine Kinder wissen, was ihr Papa macht und reden auch mit mir darüber. Für die ist es ganz normal, dass ich zwischen Buchdeckeln töte und mir ständig das perfekte Verbrechen ausdenke.
Kindheit im Schlachthof, ein Praktikum im Bestattungsinstitut, angetan von Friedhöfen. Was fasziniert Sie am Tod?
Meine Faszination für den Tod war immer da. Schon mit sechs Jahren habe ich mich gefragt, wer die Toten auf den Grabsteinen gewesen sein mögen. Ich war fasziniert von dem Gedanken, dass da Knochen und Schädel unter der Erde liegen. Das Morbide zieht mich bis heute an. Das Tabuthema Tod. Aus dem Schweigen darüber ist eine Lust bei mir entstanden, dem zu begegnen, die Angst vor dem Sterben abzulegen, auch wenn ich noch so lange wie möglich leben und lieben will. Das Bewusstsein, dass der Tod zum Leben gehört, macht alles leichter. Auch das Altern. Dazu empfehle ich übrigens das neue, gleichnamige Buch von Elke Heidenreich. Nach der Lektüre freut man sich auf das Älterwerden.
Wie geht Ihre Familie damit um, die vielleicht keine so ausgeprägt morbide Ader teilt?
Meine Kinder wissen, was ihr Papa macht und reden auch mit mir darüber. Für die ist es ganz normal, dass ich zwischen Buchdeckeln töte und mir ständig das perfekte Verbrechen ausdenke. Ich bin Geschichtenerzähler, oft sind es grauenhafte Geschichten, trotzdem hat meine Frau und auch niemand sonst etwas vor mir zu befürchten. Ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Mensch.
2004 entkamen Sie bei der Tsunami-Katastrophe in Thailand selbst knapp dem Tod.
Ich war in meiner Kindheit sehr gläubig, bin mit Bibelgeschichten aufgewachsen und dachte deshalb im ersten Moment, dass es eine Sintflut ist, die Strafe Gottes. Ich dachte, die Welt geht unter. Doch ich bin unversehrt geblieben. Hatte Glück. Wohl auch deshalb spielen Zufall und Schicksal in meinen Romanen immer zentrale Rollen. Warum wird einer todkrank und der andere 100 Jahre alt? Ich bin demütig und dankbar, dass ich leben darf.
Ihr Stil ist einer der kurzen Sätze, Sie lieben das Stakkato. Könnten Sie auch anders schreiben, wenn Sie es wollten? Es gibt ja Autoren, die passen ihren Schreibstil ans Roman-Thema an, variieren ihren Stil.
Mein Ton hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren von Buch zu Buch so entwickelt, ich erzähle meine Geschichten mit meinem ganz eigenen Sound. Ich kann es nur so, und nicht anders. Das ist meine Handschrift, gewachsen und veredelt in Tirol. (lacht) Ich wäre nicht imstande, mich von heute auf morgen neu zu erfinden.
Ihr Buch beginnt mit: „Ein paar Minuten später ist der Hund tot.“ Wie wichtig ist der erste Satz in einem Roman?
Wahnsinnig wichtig. Ich überlege wirklich lang dafür. Ein erster Satz und die erste Seite müssen einen sofort reinziehen in den Roman. Wenn der Autor das nicht schafft, gelingt es ihm auf den weiteren Seiten auch nicht. Ich möchte von der ersten Seite an fesseln, in den Bann ziehen und Spannung erzeugen.
Wissen Sie, wenn Sie einen Roman beginnen zu schreiben, immer schon, wie er am Ende ausgehen wird?
Ich kenne den Titel und auch das Ende. Als Krimiautor ist es wichtig, dass alle Handlungsfäden und falschen Fährten, die ich auslege, zueinanderfinden. Es soll niemand enttäuscht werden, weil am Ende ein Täter aus dem Hut gezaubert wird. Es ist einfach schön, einen Roman dramaturgisch so zu bauen, dass alles zueinanderpasst. Ich habe eben „John“, die Fortsetzung zu „Yoko“ fertig geschrieben. Weil ich die Spannung bis zuletzt hochhalten konnte, hat mir das am Schreibtisch echte Glücksgefühle beschert. Um das zu erreichen, braucht es einen perfekten Plan.
Dachten Sie beim Namen Yoko an die Beatles?
Klar. Die Eltern meiner Romanfigur waren große John-Lennon-Fans.
Am Ende einer Lesung singen Sie gerne. Steckt dahinter Ihre Lust am Happy End, weil Sie die Hörer nach dem Thrill mit einem erlösenden Glücksgefühl nachhause entlassen möchten?
Der Gesang am Schluss ist heiter und lädt zum Schmunzeln ein. Für meine Lesereise im Herbst habe ich bereits ein neues Lied fertiggestellt, das Publikum ist eingeladen mitzusingen. Es gibt ja kaum Schöneres, als miteinander zu singen. Das war damals in der Kirche schon so, dann im Schulchor, heute auf der Bühne. Dass manche Töne schief sind, spielt keine Rolle.
Wann kommt das erste Album?
So weit wird es hoffentlich nicht kommen, das will niemand hören. Ich konzentriere mich lieber aufs Schreiben. Und versuche, meine Leser bestmöglich zu unterhalten.
Sind Sie in der Kunst ähnlich ehrgeizig? Neben den Büchern widmen Sie sich Ihren Bildern.
In meiner schreibfreien Zeit bereitet mir das großes Vergnügen. Sie sehen ja, hinter mir liegen 30 Drucke zum Trocknen in der Sonne – Kaltnadelradierungen, die entstehen, wenn ich Kupferplatten mit einer Stahlnadel bearbeite. Auf Basis meiner Handschrift entstehen Kalligrafien.
Sie wirken wie jemand, der sich immer beschäftigen muss, nie stillhalten will.
Wenn ich nicht schreibe oder lese, arbeite ich am liebsten an meiner Kunst. Ist doch schön. Und besser als Fernsehen, TikTok oder Instagram. Mir wird nicht langweilig, die Kreativität in mir muss irgendwohin, sonst werde ich unglücklich.
Ihre Manuskripte sind die Grundlage Ihrer Bilder. Wie darf man sich das vorstellen?
Ich schreibe meine Bücher in der Erstfassung mit der Hand in Notizbücher. Schrift hat mich immer fasziniert. So kam ich auf die Idee, mit Sätzen aus meinen Büchern zu arbeiten, sie immer und immer wieder übereinander zu schreiben, zu verweben und zu verdichten. Ein sehr meditativer Prozess.
An der Hand, direkt in die Haut geritzt, haben Sie dagegen ein Bild tätowiert, eine Blume. Was bedeutet Sie Ihnen?
Die tätowierte Blume erinnert mich immer an meine Totenfrau, die mir den Traum, vom Schreiben leben zu können, ermöglicht hat. Ich bin ihr sehr dankbar. Deshalb die Blume.
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