Daniel Brühl spielt Karl Lagerfeld

Interview: Warum Daniel Brühl denkt, dass Karl Lagerfeld einsam war

Daniel Brühl spielt den Modedesigner in der neuen Serie "Becoming Karl Lagerfeld". Im Interview spricht er über Karls Charakter, die Macht seiner Mutter und umstrittene Aussagen.

Ein Mann kämpft um Anerkennung. Und um die Liebe seines Lebens. Nicht irgendein Mann, sondern Kaiser Karl – allerdings in den Siebzigerjahren, lange bevor man ihn als solchen tituliert hat. Die neue Serie „Becoming Karl Lagerfeld“ auf Disney+ spürt dem Menschen hinter Zopf, Sonnenbrille, Fächer und Perücke nach. Und zeigt einen erbarmungslosen Pariser Intrigantenstadel. 

Gemein, neidig und arglistig ist die Welt der Mode. Und in dieser konkurriert Lagerfeld auf Gedeih und Verderb mit Yves Saint Laurent um die Macht. Jedes Gefecht wird dabei garstig kommentiert, und nicht nur in der Karriere, auch privat. Denn die große Liebesgeschichte des Stardesigners bestimmt die Serie ebenso: Die Beziehung zum Dandy Jacques de Bascher, mit dem Lagerfeld bis zu dessen Tod zusammen war, war eine Hochschaubahn der Gefühle – zumal auch Yves Saint Laurent einer seiner Liebhaber war. 

Daniel Brühl überzeugt in der Rolle als Lagerfeld, indem er ihm eine sehr menschliche, emotionale Seite abringt. Der Schauspieler kannte den Designer persönlich. Im Interview spricht er über die Aneignung seiner Rolle und Karls Charakter.

Karl Lagerfeld war eine Persönlichkeit, größer als das Leben. Wie gingen Sie es an, so jemanden dennoch als menschliches Wesen erscheinen zu lassen?

Schritt für Schritt, es war ein langer Vorbereitungsprozess. Am Anfang hatte ich so etwas wie ein riesiges Puzzle vor mir. Ich musste also einige Teile zusammensetzen, und dabei haben mir einige Bücher geholfen, die vollständigen Biografien, die natürlich viele Widersprüche enthalten, weil Lagerfeld so viele Versionen seines eigenen Lebens erfunden hat.

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Er war ein begnadeter Verstellungskünstler. Wie behilft man sich da am besten?

Ich wollte unbedingt jemanden treffen, der ihn wirklich gut kannte, und zwar schon in der frühen Ära der Siebzigerjahre. Das war Patrick Hourcade, der auch eines der Bücher über ihn geschrieben hat. Er hat mir sehr geholfen und konnte mir Einblicke geben, die ich in Büchern nicht finden konnte. Karl war ein sehr guter Selbstdarsteller, selbst für die damalige Zeit. Ich habe mir also viele Interviews angesehen, weil ich seine Attitüde als junger Karl Lagerfeld verstehen, seine Körpersprache und Stimme studieren wollte. Ging es Ihnen mehr darum, den Mensch Karl Lagerfeld darzustellen, als den Designer?Ich sehe ihn als romantische deutsche Seele. Das entdeckte ich ziemlich früh durch die Bücher, die er besaß, durch die Musik, die einen Einfluss auf ihn hatte, durch die Geschichten, die mir von seinem lieben alten Freund erzählt wurden.

Was waren das für Geschichten?

Man erzählte mir Geschichten über Unsicherheit, Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit. Mit der scharfzüngigen, distanzierten Persönlichkeit, zu der er später wurde und die niemand angreifen konnte, hatte das nichts zu tun. In jeder Talkshow hat er entschlossen zurückgefightet.

Seine Mutter hatte einen sehr starken Einfluss auf ihn. Sie war sehr beschützend. Aber sie war auch sehr heftig und hart zu ihm. Und hat ihn angetrieben. 

 

Daniel Brühl über Karl Lagerfeld

Sie haben Lagerfeld auch persönlich kennengelernt. Er hat Sie fotografiert. 

Als ich ihn traf, war der einzige Moment, in dem ich seine echte menschliche Präsenz und Schüchternheit sah, die eine Sekunde, in der er seine Brille senkte und auf das Bild schaute, das er von mir gemacht hatte, und anschließend in mein Gesicht schaute. Es war nur eine einzige Sekunde. Der Rest war Rüstung. Die Handschuhe, die Sonnenbrille, das Haar, Sie wissen schon. Ich wollte also wissen, wer dieser Mann war, bevor er das wurde.

Daniel Brühl als Karl Lagerfeld

Die Zeit vor dem Zopf: Daniel Brühl wird gefeiert in der neuen Disney+-Serie „Becoming Karl Lagerfeld“. Doch der Kampf um Anerkennung ist hart

©Disney+

Hätte Lagerfeld die Serie goutiert, hätte er Ihre Darstellung gemocht?

Ich bin sicher, er würde einige ironische Kommentare dazu abgeben. Was mich an der Rolle gereizt hat, war die Gelegenheit und das Privileg, eine der kultigsten, faszinierendsten, geheimnisvollsten, fesselndsten Figuren der jüngeren Geschichte zu spielen. Und da ich als Deutscher aufgewachsen bin und diesen Mann gesehen habe, der so eigenartig und besonders war, war es eine tolle Chance, ihn zu porträtieren und damit etwas Individuelles zu schaffen. Denn ich gebe nicht vor, der junge Karl Lagerfeld in dieser Serie zu sein, aber es war ein großes Geschenk für mich als Schauspieler, meine eigene Interpretation von ihm zu finden. Das war schwierig. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob er es gutheißen würde, denn er war auch ein sehr diskreter Mann.

Was hätte ihm vielleicht nicht gefallen?

Wir mussten auch sehr intime und heikle Bereiche seines Lebens betreten. Und ich habe Karl und meine Figur immer mit viel Einfühlungsvermögen, Respekt und Bewunderung verteidigt. Aber ich weiß nicht, ob er die Intimität, die in der Show zu sehen ist, gebilligt hätte.

Der Wille zum Erfolg und zur Eroberung von Paris war sehr stark. Gleichzeitig saß ihm ständig die Angst, die Kontrolle zu verlieren, im Nacken.

Daniel Brühl über Karl Lagerfeld

War Lagerfeld einsam?

Einzig seine Mutter war alles für ihn. Wie sehen Sie Lagerfelds Beziehung zu ihr? Seine Mutter hatte einen sehr starken Einfluss auf ihn. Sie war sehr beschützend. Als sie zum Beispiel ziemlich früh von seiner Homosexualität erfuhr, war das hart. Ist es immer noch, leider. Aber damals in Deutschland, nach dem Krieg, stellen Sie sich das nur mal vor. Also, auf der einen Seite hat sie ihn immer beschützt. Aber sie war auch sehr heftig und hart zu ihm. Und hat ihn angetrieben.

Seine Mutter stachelte ihn an, sich nicht gehen zu lassen und immer mehr zu leisten. Es ging darum, der Beste zu sein, koste es, was es was wolle.

Der Wille zum Erfolg und zur Eroberung von Paris war sehr stark. Gleichzeitig saß ihm ständig die Angst, die Kontrolle zu verlieren, im Nacken. Er hat in seinem Leben eine Menge Druck bekommen. Auf der einen Seite spürte er die Bedürfnisse und den Drang, geliebt und respektiert und ernst genommen zu werden. Nach all diesen Zurückweisungen und Demütigungen. Aber auf der anderen Seite, wie Sie sagten, war Lagerfeld ein sehr einsamer Mann. Er lebte ein Leben der Extreme. Ähnlich wie Andy Warhol: einerseits war da das helle Rampenlicht, und dann wiederum diese extreme Einsamkeit. Diese Widersprüche und Kontraste sind immer etwas, das mich interessiert. Denn so ist das Leben.

Als Sie die Rolle angeboten bekommen haben, sollen Sie erstmal in schallendes Gelächter ausgebrochen sein. Warum? 

Ich habe genauso gelacht, als mir die Rolle als Niki Lauda in „Rush“ angeboten wurde. Ich glaube, meine erste Reaktion ist immer, hysterisch zu lachen und zu denken, dass diese Idee absurd sei. Aber dann musste ich in beiden Fällen auch sehr schnell innehalten. Das sind beide sehr faszinierende Männer. Lagerfeld ist ein faszinierender Mann. Er führte ein faszinierendes Leben. Ich dachte, ihn zu spielen könnte schief gehen, aber andererseits ist es eine große Chance. Und je älter ich werde, desto mehr suche ich nach Herausforderungen und danach, aus meiner Komfortzone herauszukommen. Weil es langweilig ist, wenn man immer mit 30 km/h fährt. Manchmal muss man einen Gang raufschalten. Und etwas wagen. Aber nur, wenn das Gesamtpaket stimmt.

Und das war offensichtlich der Fall. Was hat Sie besonders daran gereizt, dieses pralle Leben verfilmt sehen zu wollen?

Also ich liebte die Drehbücher der Serie. Und ich liebte die Tatsache, dass die Autoren in die Siebzigerjahre zurückgingen, um Lagerfelds Geschichte zu erzählen. Außerdem fand ich es toll, dass alles auf Französisch gedreht werden sollte. Ich glaube, ich hätte Nein gesagt, wenn sie es auf Deutsch oder Englisch gemacht hätten.

Daniel Brühl und Théodore Pellerin als Jacques de Bascher in "Becoming Karl Lagerfeld"

Daniel Brühl und Théodore Pellerin als Jacques de Bascher in "Becoming Karl Lagerfeld". Der Dandy war die große Liebe des Stardesigners

©The Walt Disney Company

Warum?

Französisch fühlte sich richtig an. Karl Lagerfeld lebte zu dieser Zeit in Paris, er liebte Paris, es wurde seine Kultur. Er liebte die Franzosen, die französische Kultur, die französische Sprache. Paris wurde sein Zuhause. Er war ein kleiner Deutscher, der den „Tempel der Mode“ erobern wollte. Also sagte ich, das ist großartig. Wenn die Franzosen das machen, bin ich mit an Bord.

Lagerfeld war auch umstritten. Es gab den Vorwurf, manche seiner Aussagen seien sexistisch. Sie sagten, Sie wollen ihn verteidigen. Inwieweit haben Sie sich mit dieser Seite der Dinge beschäftigt?

Wir widmen uns in der Serie der jüngeren Version von Lagerfeld. Zu diesem Zeitpunkt hatte er diese Kommentare noch nicht getätigt. Wenn jemand solche Dinge sagt, muss man sich aber immer auch fragen, warum er das macht und woher die Motivation dazu kommt. Sehr oft hat das seinen Ursprung in Angst und Komplexen oder anderem. Ich wollte herausfinden, wer diese Persona war, die auch einige sehr zynische und arrogante und sehr provokante Äußerungen von sich gegeben hat. Was hat dazu geführt?

Daniel Brühl

Daniel Brühl

Daniel Brühl wurde 1978  in Barcelona geboren, wo er auch heute lebt. „Good Bye, Lenin!“ machte ihn 2003 bekannt. Er spielte in „Inglourious Basterds“, „Rush – Alles für den Sieg“ oder „The First Avenger: Civil War“. Verheiratet, zwei Söhne (4 und 8), seine Frau ist aktuell schwanger. In Berlin betreibt er eine Tapas-Bar.

Die Serie porträtiert die Ausformung Lagerfelds Charakters, geprägt von beruflichem Konkurrenzkampf und erschütterter Liebe. Das bedingt, dass spätere problematische Aussagen ausgespart werden müssen.

Sollten wir eine zweite Staffel drehen und zeigen, wie Lagerfelds Leben weitergeht, müsste man sich definitiv auch mit manchen problematischen Aussagen, die er tätigte, auseinandersetzen. Aber ich bin auch froh, dass wir in späteren Folgen dieser Staffel seine dunkleren Seiten vorgeführt bekommen. Wir sehen, dass Lagerfeld auch sehr manipulativ sein kann. Er ist nicht nur der Mr. Nice Guy.

Wird es eine Fortsetzung der Serie geben?

Das ist heutzutage unberechenbar geworden, ich weiß also nicht, ob die Reise weitergeht. Aber als ich unterbreitet bekam, Lagerfeld zu spielen, war es Teil des Angebots, dass eine zweite Staffel möglich ist. Es wäre interessant herauszufinden, was mit Karl im nächsten Kapitel seines Lebens passiert. Wahrscheinlich wird sein Charakter härter und er fängt an, sich eine Rüstung zuzulegen und mit einem Schild in der Hand diese Kunstfigur schaffen, die dann später in seinem Leben immer extremer wird.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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