Bühne

Neues Gänsehaut-Programm auf der Viennale

Die Viennale wartet heuer mit einem Gänsehaut-Programm auf, mit Nosferatu im Mittelpunkt.

Auf einmal erscheint alles gar nicht so lange her. Eben erst erschien mit „Das Dämmern der Welt“ ein neues Werk von Werner Herzog. Ein Buch über einen Mann, der sich jahrzehntelang im Dschungel verschanzt, weil er meint, der Zweite Weltkrieg sei noch nicht zu Ende. Verfasst von einem Mann, der sein eigenes Verhältnis zu Nachtschattengewächsen pflegt.

Nosferatu, Klaus Kinski und Isabelle Adjani: Aus diesem Trio Infernal hat der Filmemacher Werner Herzog, der vor 30 Jahren so nebenbei schon einmal Viennale-Kodirektor war, mit „Nosferatu – Phantom der Nacht“ 1979 eine bleibende Hommage an den Urvater des cinematografischen Schreckens geschaffen – Friedrich Wilhelm Murnau. Dessen Stummfilm mit Max-Reinhardt-Schauspieler Max Schreck als fledermausohrigen Sendboten des Todes in der Titelrolle hatte vor genau 99 Jahren Kinogänger der ersten Generation in Angst versetzt.

Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“, entstand nach Motiven von Bram Stokers Vampir-Roman „Dracula“, inspiriert als Meisterwerk des Expressionismus Filmemacher sogar bis heute. Die gesamte „Twilight“-Saga rund um die junge Bella Swan und Vampir Edward ist ohne Nosferatu undenkbar. So wie auch das moderne Kino nicht ohne das alte Wechselspiel von Licht und Schatten auskommt.

Lichtspiele im Theater

So gesehen ist es auch kein Zufall, dass „Lichtspieltheater“ einst ein gängiger Begriff für Kino war. Ebenso stimmig ist der Titel, den das Filmarchiv Austria zu seinem Programm um den Murnau-Mitarbeiter Henrik Galeen gewählt hat: „Der Schattenspieler“.

Der 1881 in Lemberg geborene Galeen war sogar an der Schaffung einer anderen mystischen Kultfigur beteiligt, dem Golem. Wie die Doktoren Caligari und Mabuse gehört auch diese so wandelbare wie kolossale Lehmfigur zum Kanon des frühen Gruselkinos. Nosferatu aus dem geheimnisvollen Schloss im fernen Transsilvanien aber ist nach wie vor der populärste Protagonist unter ihnen.

Der Untote aus den Karpaten musste schon für Komödien, ein Musical, einige Remakes sowie einen Electroswing-Titel von Parov Stelar herhalten. Sogar auf Instagramist er kein Unbekannter. Aber kommendes Jahr, zu seinem hundertsten Geburtstag als Filmfigur, könnte es wieder Zeit für einen Meilenstein des Genres sein. Der New Yorker Filmemacher Robert Eggers („Der Leuchtturm“) soll bereits seit 2015 an einer Neuauflage des Horrorstoffes arbeiten.

Stimmen die Gerüchte, kann man die Besetzung durchaus als sensationell bezeichnen. Der „Twilight“-Vampir Robert Pattinson soll Nosferatu mimen, Anya Taylor-Joy aus „Das Damengambit“ sein Opfer. Mit beiden Darstellern hat der Regisseur bereits zusammengearbeitet. Man darf also gespannt sein.

Aber zurück zum Original. Der lange Schatten, den die Silhouette des hageren Darstellers Max Schreck damals effektvoll unter anderem auf verwinkelte Wände warf, macht auf Zuschauer noch heute Eindruck. Und selbst die Entstehungsgeschichte von F. W. Murnaus stummen „Nosferatu“ klingt durchaus zeitgemäß.

Auch für ihn war das eine Paraderolle: Christopher Lee in „Blut für Dracula“ aus dem Jahr 1965

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Von der Pest zur Pandemie

Florence Stoker, die Witwe des „Dracula“-Autors, hatte den deutschen Regisseur bald nach der Uraufführung mit einer Fülle von Copyright-Klagen eingedeckt. Murnau und seinem Mitarbeiter Henrik Galeen muss schon zuvor etwas geschwant haben. Von Bram Stokers Vorlage haben sie zwar den Kern der Story entnommen – ein Vampir verliebt sich in eine junge schöne Frau –, aber schon einmal vorsorglich Namen, Schauplätze und andere Details geändert. Aus Dracula wurde Nosferatu, aus den Karpaten eine fiktive deutsche Hafenstadt und Graf Orlok – wie Galeens Nosferatu in seinem bürgerlichen Leben heißt – mutierte in der Verfilmung zur personifizierten Pest.

Von der einstigen Pest ist es kein weiter Weg zur aktuellen Pandemie. Auch das macht den Horror-Klassiker so zeitlos. Aber Kritiker waren schon damals über das bis dato nie Gesehene uneins. Die einen schwärmten von einer „Meisterleistung“ und von „wirkungsvollstem, ausgewogenstem Aufbau“. Ein anderer wiederum warf ein: „Vom Erhabenen zum Lächerlichen war bei diesem blutsaugenden Gespenst nur ein kleiner Schritt.“

Werner Herzog zeigte das Schreckensgespenst als gebrochenes Wesen. Klaus Kinski und Isabelle Adjani in „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979)

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Schwarz auf weiß

Für Florian Widegger, Kurator des Filmarchiv Austria, das im Rahmen der diesjährigen Viennale das alte Meisterwerk in restaurierter Fassung zeigt, steht fest: „Der Film und seine Schöpfer (wie so viele aus dem deutschen Expressionismus) hatten großen Einfluss auf die klassischen Monster-Filme, die in den USA in den 1930er-Jahren bei Universal entstanden sind und wiederum Spuren in später nachfolgenden Horrorfilmen hinterlassen haben – so bezieht sich gewissermaßen alles aufeinander. Ohne ,Nosferatu’ hätte es eine heute sehr bedeutsame Gattung des Films möglicherweise wesentlich später zum Durchbruch geschafft: der Horrorfilm.“

Aus rein ästhetischen Gründen passte das auch perfekt zur Frühzeit der damals neuen Unterhaltungsform Film. Künstliche Lichtquellen waren rar und galten noch als totaler Luxus. Ende der 1920er-Jahre war etwa Berlin, jene Metropole, in der „Nosferatu“ am 4. März 1922 seine Uraufführung erlebt hat, erst zur Hälfte an das städtische Stromnetz angeschlossen.

Dunkel und hell, Schwarz und Weiß, mehr Kontrast geht nicht. Im Fall von „Nosferatu“ auch bis zur Zeichnung der Titelfigur. Filmarchiv-Kurator Widegger: „Dieser Vampir verkörpert allen Äußerlichkeiten zum Trotz ein gewisses Lustprinzip, da er sich an Blut labt, dem Lebenselixier schlechthin.“

Interessant, einer Legende nach bewegen sich auch die Ursprünge des asiatischen Schattenspiels an der Grenze zwischen den Lebenden und dem Totenreich. Ein chinesischer Kaiser soll den Geist seiner verstorbenen Frau durch einen Schattenspieler heraufbeschworen haben lassen.

Nur ein kleiner Trick, aber mit großem Effekt. „Dadurch, dass man sich im Stummfilm vollends auf die bildliche Gestaltung konzentrieren konnte, wirken Kameraarbeit, Licht- und Farbdramaturgie und die Inszenierung des Raums nach wie vor so stark; etwa wenn Orlok zum ersten Mal auftritt oder später als Silhouette an der Wand im Schlafgemach der Frau erscheint“, so Widegger.

Achtung, der Schattenmann kommt! Dracula-Film von den Universal Studios,  1979; Regie: John Badham, Frank Langella als Graf Dracula, Kate Nelligan als sein Opfer

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Abbild des modernen Mannes?

Bald 100 Jahre Nosferatu im Film. Ist das zugleich ein jahrzehntelang währender Schattenkampf gegen ein Männlichkeitsbild, das sich beharrlich gegen jegliches Abschütteln wehrt? Ist Nosferatu nur ein Abbild des modernen Mannes, der, geplagt von sexuellen Nöten, seiner dämonischen Rolle entfliehen will? Die nächste Verfilmung des historischen Stoffes gibt darauf vielleicht Antwort. Warten wir’s ab.

Termine von „Nosferatu“ und dem restlichen „Schattenspieler“-Programm bitte auf viennale.at einsehen.

Bernhard Praschl

Über Bernhard Praschl

Bernhard Praschl, geboren 1961 in Linz. Als Stahlstadtkind aufgewachsen zwischen Stadtwerkstatt und Brucknerhaus. 1978 erster Manager der Linzer Punk-Legende Willi Warma. 1979 Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien. Zivildienst im WUK; 1986 Institut für Höhere Studien, Wien. 1989-1992 in der Die Presse, seit 1992 Redakteur im KURIER, 1994 Statist in Richard Linklaters "Before Sunrise", seit 1995 in der FREIZEIT. 2013 "Das kleine ABC des Geldes. Ein Lesebuch für Arm und Reich" (Czernin Verlag). Nach frühen Interrailreisen durch Europa (Portugal bis Irland) und Autofahrten entlang der California State Route und dem Overseas Highway nach Key West jetzt wieder Bahnfahrer - und E-Biker.

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