Auf den Spuren der Tempelritter in Wien

In Salzburg gehen Forscher einem Historienkrimi nach: Was ist wirklich dran an der Geschichte des grausam ausgelöschten Templerordens? Eine Tour durch die Innenstadt von Wien.

Vor kurzem trat in Salzburg eine höchst honorige Runde zusammen. Versammelt: ein Kardinal aus Rom (in feierlicher Kirchentracht), der Erzbischof von Salzburg, der Landeshauptmann. Das Thema: Was stimmt tatsächlich von den Anschuldigungen, kraft derer 1312 der Orden der Tempelritter blutig ausgelöscht wurde – also Ketzerei, Homosexualität, Götzenanbetung? Der französische König Philipp der Schöne und der von ihm erpresste Papst Clemens V. hatten paktiert, um sich der zu mächtig gewordenen Templer innert einer Nacht zu entledigen. Ihr Reichtum: wurde verteilt.

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Ein Rechtshistoriker der Uni Salzburg zweifelt jetzt jedoch an der Version. Seit zwei Jahren beschäftigt Daniele Mattiangeli sich in Studien mit der Materie. Seine Erkenntnis: „Viele Dokumente über das Leben und das Ende des Ordens wurden zwar historisch behandelt, allerdings auf Grundlage von Kopien oder Abschriften, nicht jedoch auf Grundlage originaler Dokumente.“ Das hätte die Wahrnehmung des Ordens beeinflusst und verändert. Und deshalb wird jetzt geforscht – und zwar ausschließlich auf Basis besagter Originale. „So versuchen wir der Geschichte der Templer auf den Grund zu gehen, wie sie tatsächlich passiert ist – und nicht so, wie sie bis jetzt wahrgenommen wurde.“

Aus diesem Grund fand auch die hochkarätige Konferenz in Salzburg statt. Weiters untersuchen die Forscher bioarchäologisch und medizinisch per DNA-Rekonstruktion das Skelett eines bestatteten Großmeisters. Und sie versuchen, ehemalige Orte der Ritter aufzuspüren. Die Templer und ihr Schicksal lassen selbst 800 Jahre nach ihrem Ende keinen kalt – allen voran den Vatikan. Der stellt für die Studien gar erstmals Dokumente aus dem päpstlichen Geheimarchiv zur Verfügung.

Die Geschichte der Tempelritter

Der Tempelritterorden war ein religiöser Mönchsorden und wurde 1129 nach dem Konzil von Troyes im Königreich Jerusalem gegründet. Während der Kreuzzüge war er eine militärische Elite-Einheit und unterstand dem Kommando des Papstes. Die Ritter kämpften im Heiligen Land, beschützten den Tempelberg sowie alle nach Jerusalem wandernden Pilger. Dem verschuldeten französischen König Philipp IV. waren die Templer zu mächtig. Er setzte Papst Clemens V. unter Druck und letztlich wurde der Orden 1307 der Ketzerei angeklagt, die Mitglieder verhaftet, die Besitztümer beschlagnahmt und der Orden 1312 aufgelöst. Der letzte Großmeister wurde in Paris am Scheiterhaufen verbrannt.

Wer sich auf die Suche macht, kommt dem Orden, dessen voller Name „Arme Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem“ lautete, auch in Wien auf die Spur. Um das Jahr 1200 dürfte er sich in der Hauptstadt angesiedelt haben. Doch Vorsicht ist geboten. Vieles darüber ist Sage – und Spekulation.

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Urkundlich verbürgt ist auf jeden Fall die Niederlassung im Domvogthof in der Teinfaltstraße im ersten Bezirk – die Templer tauschten sie später (mit dem Schottenstift) gegen eine Backstube in der Bräunerstraße 7. Und dass 1186 die Kirche Sancta Maria Rotunda nahe dem Stubentor bei der alten Stadtmauer Wiens den Templern gestiftet wurde.

1226 wies sie Babenbergerherzog Leopold VI. der Glorreiche jedoch den Dominikanern zu. Die unterirdischen Gänge des ehemaligen Templerklosters in der Postgasse 4 führen in Richtung Wollzeile und Ringstraße. Im Kreuzgang erkennt man Fresken mit gemalten Radkreuzen, dem Zeichen der Tempelritter. Die Kellergänge des Areals sind höchstwahrscheinlich ein gewaltiges, nahezu unentdecktes Labyrinth, das sich drei Stockwerke tief unter der Erdoberfläche, auf der wir flanieren, befindet. Mehrere Durchgänge sind zugemauert. Geheime Wege unter der Stadt, die noch ihrer Entdeckung harren.

Virgilkapelle

1973 wurde die bestens erhaltene frühgotische Kapelle beim Bau der U-Bahn  entdeckt. Entstanden ist sie 1220/30. Direkt bei der heutigen Station Stephansplatz geht es zwölf Meter in die Tiefe. In den Nischen und Fugen findet man Malereien und Radkreuze im Doppelkreis und mit Zacken, die auf den Templerorden hindeuten. Darüber wurde die  Maria-Magdalenen-Kapelle errichtet, die man dieser Argumentation zufolge als Templerkirche bezeichnen könnte. Sie brannte später ab, der Umriss ist heute noch am Pflaster des Stephansplatzes gekennzeichnet.

Geheimes Gewölbe

Während die Kreuzgänge des nunmehrigen Dominikanerklosters nur bei Konzerten oder Events zu begutachten sind, liegt ein weiterer Templer-Ort an einem der meistfrequentierten Stellen von ganz Wien: direkt unter dem Stephansplatz. Die Rolltreppe hinab in der Station der U-Bahn-Linie 1 führt zur Virgil-Kapelle. Gabriele Lukacs führt uns ins Innere des beim Bau der Bahn 1973 entdeckten Platzes. Die Sachbuchautorin (aktuell: „Geheimnisvolles Wien“) ist mit ihren Führungen Expertin für die unterirdischen und zum Teil schaurigen Mysterien der Hauptstadt. „Die Kapelle ist die Krypta der 1781 abgebrannten Maria-Magdalenen-Kirche, die sich einst am Stephansplatz befand“, erklärt sie.

Oben zeigen Pflaster-Markierungen noch die Umrisse. Unterm Pflaster geht es über zwei Wendeltreppen zwölf Meter in die Tiefe. Gleich beim Eingang zur Kapelle ist ein riesiges rotes Tatzenkreuz zu erblicken. Auch wenn es sich historisch nicht klar beweisen lässt, ist Lukacs überzeugt, dass es sich dabei um das berühmte Templer-Emblem handelt. Die Kapelle ähnelt unterirdischen Räumen von Templer-Burgen im Orient und dem ihnen zugeschriebenen Lockenhaus im Burgenland. Das Gewölbe mit seinem mittigen Brunnen könnte als geheimer Versammlungsort oder Kultraum gedient haben.

Warum so vieles aus der Geschichte des Ordens verschwunden, umgeschrieben oder vernichtet wurde? „Die vielen Mythen sind bedauerlicherweise entstanden, weil die meisten Informationen über sie verschwunden sind“, erklärt Forscher Mattiangeli. „Und sie wurden auch für ordensfremde Zwecke ausgenutzt, etwa im Sinne der Esoterik.“

Blutgasse und Fähnrichhof

In Komplex Blutgasse 5-9 dürften der Sage nach 1312 die vor der Verhaftung flüchtenden Templer massakriert worden sein. Darunter liegen unterirdische Gänge. Im dazugehörigen Fähnrichhof sollen sie ihre Reichtümer versteckt haben. Der berühmte Templer-Schatz, mitten in Wien? Der Hof wird von einer  riesigen Platane bestimmt. Im Baum soll ein Stück vom Schatz stecken:  ein Templerschwert, eingeschlossen vom Stamm. Oder doch nur der Teil eines Zaunes?

Templerschatz in Wien

Wir gehen weiter, in die Blutgasse. Die trägt ihren Namen nicht ohne Grund. Laut Sage sollen hier 1312 so viele Templer abgeschlachtet worden sein, dass ihr Blut bis zum Konvent des Deutschen Ordens geronnen ist. Hier liegt auch der Fähnrichhof, der angeblich das Hauptquartier der Gotteskrieger war. Er ist gespickt mit Eingängen zu Kellern und unterirdischen Gängen – die allerdings versperrt sind. Immer wieder treiben Abenteurer, Mystiker und Templer-Fans sich hier herum.

Der Grund ist eine Sage: Im Hof sollen die Tempelritter auf der Flucht vor den Schergen Philipps nämlich ihre Schätze versteckt haben. Darunter: der Baphomet, „das sprechende Haupt“, die Abbildung einer mitunter dreigesichtigen Figur mit weißem Bart, welche die Ritter angeblich anbeteten – und ihnen in den Inquisitionsprozessen als den Tod verdienende Götzenanbetung vorgeworfen wurde. Liegt hier also, im Fähnrichhof, der legendäre Schatz der Templer, so nah und doch unauffindbar? Gesucht wird immer noch eifrig.

Kipferlhaus

Die Templer in der Blutgasse benötigten Zulieferer, um sich mit Fleisch und Gemüse zu versorgen. Eine nahe Bäckerei sorgte für knusprige Ware: In der Grünangergasse 8 steht das 800 Jahre alte „Kipferlhaus“. Im Emblem über der Eingangstür sind die Gebäcksorten zu sehen, die uns bekanntlich bis heute gut schmecken: Kipferl, Brezn, Nussbeugerl und Fischerl. Auch hier geht  es tief hinab in den Keller – was später bei den Türkenbelagerungen gegen die Unterminierung half.
 

Grünangergasse 8: Eingang zum Kipferlhaus

©Kurier/Gilbert Novy

Zudem soll in der riesigen Platane – der prachtvolle, 300 Jahre alte Baum dominiert den Hof – ein Templer-Schwert stecken: eingeschlossen im Stamm. Und doch heute längst überwuchert vom Holz. Historie, Natur und Mythen: In Wien verwächst sich eben vieles.

Deutscher Orden

Es ist anzunehmen, dass die Tempelritter bei der Verhaftung in ihrem Ordenshaus in der Blutgasse durch deren unterirdische Gänge in den Deutschen Orden in die Singerstraße 7 geflüchtet sind. Bei ihren ritterlichen Brüdern sollen sie um Asyl gebeten haben, diese nahmen den Großmeister und seinen Tross auf. Ein Teil des Templer-Schatzes dürfte an dieser Stelle zum dankenden Lohn dafür ausbezahlt worden sein: ein Anhänger mit einem rotem Templerkreuz daran, der sich in der Schatzkammer wiederfindet, liefert zumindest einen funkelnden Hinweis darauf.

Doch auch außerhalb der Innenstadt stößt man auf Hinweise auf die Tempelritter. Berühmt dafür ist Erdberg, „ein Schicksalsort für Richard Löwenherz“, weiß Gabriele Lukacs. Der englische König kam 1192, verkleidet als Pilger, in den Wiener Stadtteil im dritten Bezirk, auf dem Rückweg von Palästina nach Britannien. In einem ärmlichen Gasthaus verriet ihn sein teurer Ring, als er sich ein Brathuhn zubereitete. Und weil Leopold V. von Österreich eine Rechnung mit ihm offen hatte, wurde er verhaftet und eingekerkert.

Stubentor

An einem Tor der alten Wiener Stadtmauer neben Dominikanerbastei, -kloster und -kirche, kann einst eine Templerherberge vermutet werden. Diese Herbergen, in welche die Pilger am Weg nach Jerusalem einkehren konnten und Schutz fanden, wurden stets an der Stadtmauer errichtet. Der Grund: Sie mussten am Stadtrand nächtigen, weil sie dazu neigten, sich ihre Verpflegung vom Feld und aus Scheunen zu stehlen. Das Dominikanerkloster war, das ist urkundlich bewiesen, zudem früher im Besitz der Templer. Auf alten Stichen sind noch die Umrisse der alten, achteckigen Kirche zu sehen.

Doch wo stand das „Jägerhaus“, eine Herberge der Tempelritter, in die er eingekehrt war? Suchende werden in der Erdbergstraße 41 fündig werden. Gekocht wird im Jägerhaus schon lange nicht mehr. Heute steht an der Stelle ein Wohnhaus. Eine Gedenktafel erinnert an die spektakuläre Gefangennahme. Wo die Tempelritter waren, fand Geschichte statt. Selbst wenn sie heute selbst Geschichte sind.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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