Weekender

Entdeckungsreise durch das echte Neapel

Neapels Zauber zeigt sich oft erst auf den zweiten Blick. Hinter der chaotisch-verfallenen Fassade versteckt sich auch grandioses Essen.

Überblick

Beste Reisezeit

Mai bis Oktober

Einwohner

ca. 960.000

Anreise

ca. 1,5 Std.

Auskunft

comune.napoli.it

von Tobias Müller

Wer mit Amedeo Colella durch Neapel spaziert, bekommt schnell das Gefühl, die Stadt sei das Zentrum der Welt und Wiege der wenn schon nicht westlichen Kultur, so doch zumindest Esskultur. Colella, der sich selbst „der König von Neapel“ nennt, veranstaltet kulinarisch-historische Spaziergänge und liebt seine Heimat heiß. Das Schönste, Beste, Tollste der Welt gibt es hier, vom Kaffee über Eis, Pizza, Pasta bis hin zu Theater oder Architektur.

Altstadt im Schachbrettmuster

Gern erzählt er, dass die französische Küche eigentlich aus Neapel und seinem Königshof stammt, oder dass das Schachbrettmuster der Altstadt bereits von den alten Griechen im ersten Jahrtausend vor Christus angelegt wurde – es diente als Vorbild für viele weitere Städte und ist bis heute in seinen Grundzügen erhalten geblieben.

Einkaufsluxus: Die Kuppeln der Galleria Umberto

©Getty Images/iStockphoto/giorgiogalano/iStockphoto

Er schwärmt vom prächtigen Teatro di San Carlo, dem ältesten noch aktiven Opernhaus der Welt, oder der paradisischen Küste, an der schon Julius Cäsar seine Sommerferien verbrachte. Kurz: Neapel, ist Amedeo überzeugt, ist die tollste Stadt der Welt. Das mag ein wenig übertrieben sein – wer aber ein bisschen Zeit hier verbringt, merkt schnell: So ganz unrecht hat er nicht.

Die Stadt atmet den Zauber und die Magie eines Ortes, der schon seit vielen Jahrtausenden von Menschen bewohnt und gestaltet wird. Weil sie nie zerstört wurde, sind all diese Zeiten bis heute sichtbar:  Auf griechischen Fundamenten stehen mittelalterliche Mauern mit gotischen Fenstern, die scheinbar nahtlos in eine barocke Fasade übergehen, über frühchristlichen Katakomben türmen sich romanische Kirchenfronten, und irgendwo hat jemand noch eine römische Säule eingemauert. Das alles sieht oft aus, als ob die Stadt nicht gebaut, sondern gewachsen, gewuchert, wäre, wie ein uralter Baum.

Fußballgott: Diego Maradona ist der Schutzpatron Neapels: Sein Porträt ist bis heute in der Stadt allgegenwärtig

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Viele der prächtigen Bauten von einst mögen in die Jahre gekommen sein – auf den Straßen und Plätzen zwischen ihnen aber brodelt nach wie vor das Leben. An jeder Ecke bieten kleine Händler ihre Waren an: Vor den Gemüsegeschäften türmen sich stachelige Artischocken, dralle Paradeiser und grüne Friarielli-Blätter, eine lokale Art wilden Brokkolis, vor den Fischshops stehen Bottiche voll Meerwasser randvoll mit Muscheln, und große Bretter, auf denen die Verkäufer mannslange Schwertfische in dicke Steaks zerteilen.

Die Salumerias, die Greißler, sind leicht an den wagenradgroßen Mortadellas oder den Parmesanblöcken zu erkennen, die wie Mühlsteine im Eingang stehen. Überall spazieren, lachen, plaudern Menschen. Um sie herum flitzen Motorräder wie ein Schwarm Wespen, und über ihren Köpfen flattert die Wäsche im Meereswind.

Wem die Altstadt zu wild ist, der kann auf den Vomero fliehen, den gutbürgerlichen Hügel in der Mitte der Stadt, durch das Nobelviertel Chiaia mit seinen gepflegte kleinen Gassen flanieren, wo sich schicken Boutiquen und Cocktailbars drängen, oder nach Posillipo fahren, wo das alte Geld wohnt. An der steilen Küste stehen  erstaunliche Villen mit riesigen Parks und spektakulärem Blick aufs Meer, nach Capri, und auf den manchmal schneebedeckten Gipfel des Vesuv.

Im Verborgenen

Neapels schönste Seiten liegen allerdings oft im Verborgenen. In unscheinbaren Wohnhäusern verstecken sich mitunter spektakuläre barocke Stiegenhäuser, hinter harmlosen Kirchenfassaden grandiose, perfekt erhaltene Renaissance-Malereien.

Das Archäologische Museum sieht von außen nach wenig aus, beherbergt aber die ziemlich sicher weltweit tollste Sammlung antiker Kunst. Selbst die Kapelle San Severo, Heimat des „Verschleierten Christus“, einer der berühmtesten Marmor-Statuen der Welt, ist in den verwirrenden kleinen Straßen der Altstadt kaum zu finden und sieht zunächst aus wie ein x-beliebiges Haus – wären da nicht die Schlangen an Touristen, die zur Hauptsaison auf Einlass warten.

Typisch: die neapolitanische Pizza zum Mitnehmen gibt es schon ab 1,50 Euro

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Auch kulinarisch ist  Understatement angesagt. Das beste Essen wird oft in kleinen, unscheinbaren Beisln serviert, die eine Gemütlichkeit und Vertrautheit verströmen, wie nur Jahrzehntelanges Nicht-Renovieren es einem Ort verpassen, und die man nicht planen, sondern sich nur erarbeiten kann. Es sind in Würde gealterte Spelunken, die mit jedem Gast, jeder Abnützung schöner werden.

Pures Leben

Dicht gedrängt sitzen die Gäste hier an den Tischen und schlemmen frittierte Meeresfrüchte und geschmorten Oktopus, gebratene Würste, gegrilltes Gemüse oder lokale Spezialitäten wie Pasta mit Bohnen oder Kartoffeln, Endiviensuppe, und Bacalao, gesalzener Kabeljau, mit Paradeisern, Kapern und Oliven. Dazu trinken sie Wein, kurz davor frisch aus Fässern oder großen Tanks gezapft. Das alles kostet selten mehr als fünfzehn Euro pro Person. In den Tripperias, den Innereienlokalen, werden Spagetthi mit Kutteln oder gekochter Kalbskopf mit Zitrone und Meersalz aufgetischt.

Neapels enge Gassen sind deutlich älter als der Verbrennungsmotor, für Autos sind sie kaum geeignet.

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Zwischen den viel zu vielen Essern bahnen sich die Kellner mühsam ihren Weg, laut die Namen der gerade fertigen Speisen schreiend, und hin und wieder kommen ein paar Straßenmusikanten vorbei. Das macht das Essen vielleicht nicht bequemer, aber zu einem großen, sehr stimmungsvollen Spaß. Wer so richtig neapolitanisch unter Neapolitanern schlemmen möchte, sollte das am besten zu Mittag tun – abends gehen die Einheimischen oft nur auf eine schnelle Pizza vor dem Fußballabend.

Nicht einfach nur Pizza Apropos Pizza. Die ist unbestreitbar ein essenzieller Bestandteil neapolitanischer Esskultur. Es gibt sie überall, sie ist sehr billig, und meist sehr, sehr gut. Statt wie bei uns nur gebacken, wird sie hier auch oft und gern frittiert. Gern werden diese köstlichen Ungetüme mit Ricotta und Grammeln gefüllt und in Schweineschmalz herausgebacken – eine Erinnerung an die Zeit, als Pizza vor allem füllendes, billiges Essen für Arbeiter war.

Eine eigene Organisation, die Associazione Verace Pizza Napoletana, wacht darüber, dass sie auch den Vorschriften entspricht: mit einem flaumigen Teig aus nichts als Wasser, Hefe, Salz und Mehl, mindestens sechs Stunden gegangen, und stets im Holzofen gebacken.
Für die beste Pizza der Gegend, wahrscheinlich der Welt, muss man die Stadt trotzdem verlassen und nach Caiazzo fahren, ein kleines mittelalterliches Dorf etwa vierzig Minuten landeinwärts.

Außen knusprig, innen fluffig

Dort betreibt Franco Pepe seine Pizzeria Pepe in Grani. Er hat sich ein eigenes Pizzalabor eingerichet, um das Optimum aus dieser scheinbar einfachen Speise herauszuholen. Der Teig für seine Fladen wird ausschließlich mit der Hand geknetet. Das Ergebnis ist, man kann es nicht anders sagen, spektakulär: außen knusprig, innen fluffig weich, eine gebackene Wolke. Oben drauf kommen perfekt kombinierte Köstlichkeiten, etwa lokaler Käse und nach dem Backen rohe Tomatensauce, um die Frische der Frucht nicht im Ofen zu zerstören.

Sogar Amedeo, der König von Neapel, findet sie ziemlich gut.

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