Nah am Wasser gebaut: Das Stadshuset gehört mit seinen drei Kronen zu Stockholms Wahrzeichen.
Weekender

Ökologische Musterstadt Stockholm: Gretas Welt

Zwischen Schlössern und Schären lebt man gelassener als in anderen Metropolen. Und voller Respekt vor der Umwelt.

Überblick

Beste Reisezeit

Mai bis September

Währung

Schwedische Krone (SEK)
aktueller Wechselkurs

Einwohner

ca. 970.000

Den schönsten Moment erlebte das Mädchen am zweiten Tag. Als sich eine 14-jährige Schülerin neben sie setzte. Am 20. August 2018 hatte sich Greta Thunberg zum ersten Mal mit ihrem Skolstrejk för Klimatet-Schild still vor das schwedische Parlament gesetzt – und noch nicht im Traum ahnen können, dreizehn Monate später den alternativen Nobelpreis zu erhalten.

Längst wurde aus dem Protest des Mädchens aus Stockholm mit den blonden Zöpfen die globale Bewegung Fridays for Future. Eine scheue 16-Jährige initiierte den Kampf für konsequente Klimapolitik. Und führt den Mächtigen der Welt die Bedrohung des Klimawandels mit drastischen Aussagen vor Augen: „Unsere Ökosysteme brechen zusammen, wir stehen am Anfang eines Massensterbens.“

In Stockholm fand bereits Ende der 1980er-Jahre ein Umdenken für die Umwelt statt: Damals ächzte man unter verschmutztem Wasser und verpesteter Stadtluft. An der Stelle, wo einst eine riesige Ölraffinerie stand, leben bereits seit 25 Jahren im Vorzeige-Wohnviertel Hammarby Sjöstad rund 30.000 Einwohner. Mit üppigen Grünflächen und Badestrand, einem unterirdischen Mülltransportsystem und einem Auto Pool, in dem sich je 1.000 Menschen 50 Autos teilen. Und seit zwölf Jahren gibt es in Stockholm bereits die City Maut, Stockholms Busse fahren mit Äthanol oder Biogas, das Fahrradwege-Netz wird ständig erweitert.

Schlösser und Schären

Die ökologische Musterstadt gilt längst als Vorbild im urbanen Kampf gegen Verkehrschaos, Luftverschmutzung und den Ausstoß von Treibgasen. Seit 1990 ist hier die CO²-Emission pro Einwohner um mehr als 25 Prozent zurückgegangen. In einer weltoffenen Kulturmetropole mit mediterranem Feeling. Über mehr als 50 Brücken schlängelt sich die Stadt um Buchten und Wasserflächen.

Stockholm. Zwischen Schlössern und Schären – was für eine Stadt! Jeder der sieben Stadtteile hat eine ganz eigene Geschichte. Und eine unverwechselbare Atmosphäre: Vom historischen Herz der Stadt Gamla Stan über die Luxusinsel Djurgarden mit prachtvollen alten Holzvillen, wo sich früher die königlichen Jagdgründe befanden, bis zum kultig-lässigen SoFo-Viertel, dem Designer- und Künstlerparadies  von  Stockholm. Mit der Kunstgalerie Fiberspace, dem Vintagegeschäft Lisa Larsson und dem Antiquitätenparadies Milda Matilda. Und mit den kultigsten Bars und Restaurants der Stadt. Wie dem Café String mit einem wunderbaren Frühstücksbuffet am Wochenende und der eleganten, mit dunklem Holz getäfelten Bierhalle Pelikan, die es bereits seit 1664 gibt.

Köttbullar, die beliebten Fleischbällchen, die in Stockholm so groß wie Golfbälle serviert werden. Grundzutaten sind gemischtes Faschiertes, Ei, Obers und Zwiebeln.

©StockFood/Jan Wischnewski/StockFood

Kunst und Köttbullar

Seit mehr als 100 Jahren verzieren hier Künstler die Wände. Und erhalten dafür Aquavit und Glögg, skandinavischen Glühwein, dazu Heringe, Lachs und Köttbullar, Fleischbällchen, die so groß wie Golfbälle sind und bei denen man das IKEA-Buffet schnell vergisst.

Grosshandlarmiddag, das traditionelle Menü für Großhändler, nachdem sie einen Geschäftsabschluss gefeiert haben, ist der Klassiker für trinkfeste Gäste und wird für 869 Kronen, rund 85 Euro, gerne auch Touristen serviert: Man beginnt mit 4 cl Eau de Vie-Schnaps, bekommt zu skandinavischen Fisch- und Fleischspezialitäten reichlich Bier, Wein und Aquavit  und beendet das üppige Mahl mit Schokolade-Pralinen und 6 cl Eau de Vie.

Auch im Östermalm-Viertel mit seinen vier eleganten Boulevards, wo einst die königlichen Schafherden grasten, sind Gourmets gut aufgehoben – die Fama, dass man in Schweden nicht gut essen kann, ist absurd. Jeder Stockholm-Besucher kann sich ab Beginn nächsten Jahres in der Saluhall, einer Markthalle mit traditionellen Spezialitäten davon überzeugen: Vor 130 Jahren eröffnete König Oscar die Oase für Gourmets, jetzt wird renoviert. Und bald werden hier wieder rund 150 Gastronomen ihre Delikatessen anbieten: Gravad Lax, mild gebeizter Lachs, und Rendjurskina, Rentierschinken, Janssons frestelse, Erdäpfelgratin mit Sardellen, und Ärtsoppa, Erbsensuppe mit Fleisch. Leben am WasserSchon beim Anflug erkennt man: Stockholm ist wie eine schwimmende Stadt, auf vierzehn Inseln erbaut. Mit einem eigenen Inselgarten vor der Tür, den Schären. Das Leben am Wasser prägt die Einwohner und ihre Stadt. Eine vielfältige, entschleunigte Metropole mit Prachtbauten und Schlössern, moderner Architektur, liebevoll kuratierten Museen und den verwinkelten Kopfsteinpflaster-Gassen der Altstadt Gamla Stan.

Die Svea Livgarde, schwedische Garde, gehört dazu, wenn man den königlichen Palast besucht

©Michael Horowitz

Mit rasch wechselnden Szenelokalen, Design- und Modegeschäften – leider aber auch immer mehr Ramschgeschäften mit Souvenirs Made in China. Wie sogar im Zentrum der Kreativszene, im Vasastan-Viertel, wo in Galerien das Herz der zeitgenössischen, skandinavischen Kunst schlägt. In einer Stadt, die auch für ihre unterirdische Kunst berühmt ist, in den Stationen der U-Bahn.

In Stockholm ist es nie weit bis zum Wasser. Ein Drittel der Stadt ist grün – der Ekoparken, ein 56 Quadratkilometer großer Nationalpark, zieht sich mitten durch die Innenstadt. Das zweite Drittel der Stadtfläche ist Wasser. Auch im Zentrum der strahlenden Hauptstadt des Nordens sieht man fast mehr Boote als Autos. Vor der Altstadt und dem Königlichen Schloss – die Wachablöse hoch zu Ross ist ein pittoreskes Erlebnis – ankern auch die neuen Moloche der Meere, die gigantischen Kreuzfahrtschiffe. Die man in Stockholm, wie in Venedig, gerne aus der Stadt verbannen würde. Während der Sommermonate zieht es die Stockholmer wie magisch hinaus in die Schärengärten. In eine einzigartige Inselwelt, ein Paradies für Segler und Angler, Wanderer und Radfahrer. Auch Touristen sollten eine Schärenrundfahrt unternehmen, auf der man die Stadt am Wasser am besten erkundet. Mit schreienden Möwen, die über den Dampfern kreisen.

Kunst und Kultur: Niki de Saint Phalle (o.) im Skulpturenpark des Moderna Museet

©Michael Horowitz

Die Bedeutung von Fika

Wer mehr als ein kurzes Wochenende Zeit hat, sollte sich weiter hinaus wagen, auf eine der 30.000 Inseln rund um Stockholm. Nur ein Bruchteil davon ist bewohnt. Kristallklares Wasser, wohin das Auge reicht, üppiges Grün, intakte Natur und Menschen mit gelassenem Temperament beruhigen sogar Touristen, die – wie bei jedem City Trip – ein pralles Programm abspulen wollen. Man muss sich nur darauf einlassen, auf erholsame Entspannung in nordischer Frische. Fika, eine kleine Pause zwischendurch, ist hier eine Art Lebensphilosophie. Mit Tee oder Kaffee und Kuchen. Doch wie überall in Stockholm kann man in Cafés nicht bar bezahlen. Nicht einmal in öffentlichen Toiletten … Die Klofrau und der Taxifahrer – alle verlangen nach der Kreditkarte.

Am Beginn des Aufenthalts Geld beim Bankomaten zu beheben – oder wie mein Hamburger Freund Günter meint, Geld aus der Wand zu holen – ist hier ein großer Fehler.

Michael Horowitz

Über Michael Horowitz

Gründer des KURIER-freizeit-Magazins sowie des Gastro-Guides „Tafelspitz“, und war rund 25 Jahre lang dessen Chefredakteur. Fotograf, Journalist, Autor. Verfasste insgesamt mehr als 20 Bücher, darunter Biografien über H.C. Artmann, Otto Schenk und Helmut Qualtinger. Schrieb auch Drehbücher, unter anderem für den bei den Filmfestspielen in Cannes 1989 mit dem „Prix de la Jeunesse“ ausgezeichneten Kino-Film „Caracas“.

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