Im Schatten des Stephansdoms: Zu Besuch bei den großen und kleinen Brüdern

Für viele ist ein Besuch der alten Klassiker ein Muss, aber warum nicht einmal den kleinen, unbekannteren Familienmitgliedern eine Chance geben?

In einer Stadt, die für ihren morbiden Schmäh bekannt ist, kann man Besuchern doch gleich zu Anfang eine Friedhofstour empfehlen, oder? Bei aller Walzerseligkeit, der Umstand, dass der Zentralfriedhof zu den größten Erholungsgebieten Wiens gehört, zeigt, wie nahe man dem Sensenmann steht. So spazieren jährlich mehr als 100.000 über ein Areal, wo bisher rund 3 Mio. Menschen die letzte Ruhe gefunden haben.

Von Prominenz bis zu den Vergessenen – im Tod sind alle gleich. Oder auch nicht: Nicht wenige Krypten, Grüfte und Grabsteine halten die alte Macht hoch, übertrumpfen einander in Kunstfertigkeit und bröckeln doch vor sich hin. Weit weniger theatralisch: der Friedhof St. Marx. Umarmt von der lärmigen Südosttangente und Landstraßer Gürtel steht er viel seltener auf der Ausflugsliste.

Dass mit Mozart ein Gigant der Wiener Klassik irgendwo in einem Schachtgrab bestattet wurde, passt zum Understatement. Es ist eine Welt aus steinernen Trauerengeln, Biedermeiergräbern und (heute) teils eigenartig wirkenden Inschriften. Voller Leben: die scheinbar ungezähmte Natur – vor allem, wenn von April bis Juli der Flieder blüht. Während die Friedhöfe in Stille versinken, brodelt es anderorts umso mehr.

Nach der Generalsanierung 2012 haben sich in den vergangenen Jahren eine Reihe origineller Unternehmen und kreative Gastronomen angesiedelt.

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Einer der größten Tummelplätze: der berühmte Naschmarkt mit seinen grünen, charaktervollen Jahrhundertwende-Standbauten. Dabei sollte man den Blick auch mal heben: zu den reich verzierten Fassaden der Otto-Wagner-Häuser. Erst am Weg zum Hotspot ist hingegen der kleine Vorgartenmarkt. In lässiger Multikulti-Atmosphäre des Stuwerviertels findet man viele Bio-Produkte sowie in- und ausländische Feinkost. Ein Tipp (eigentlich zwei): Hinter der exzellenten mexikanisch-japanischen Fusionsküche von Mochi am Markt liegt der Bio-Laden Wilder Osten, wo sich u. a. saisonale Zutaten zu Quiche oder Kuchen formieren.  

Schloss Schönbrunn

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Stellt sich dagegen der Hunger auf Kunst ein, ist freilich das Kunsthistorische Museum zuständig und breitet ein eigenes Festmahl aus: Einst errichtet, um den Sammlungen des Kaiserhauses ein Zuhause zu geben, finden sich hier die Schätze der großen Meister wie Rubens, Vermeer, Rembrandt. Das Fast-Food-Gegenstück dazu, da stets zugänglich: Street Art.

Stephansdom

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Vor allem die Festivals und Workshops von Calle Libre haben dazu beigetragen, dass Wiens Fassaden und der Donaukanal bunter geworden sind. Finden sich 15 Personen zusammen, kann über Calle Libre eine Walking Tour um 15 € p. P. gebucht werden. Aber egal, wo es einen hinzieht, das Herz der Stadt bleibt der Stephansdom.

Der gotische Dom ist das Fotomotiv schlechthin. Was die Kamera dabei nicht erfasst, ist ein Juwel, das 12m unter dem Platz liegt: 1973 beim U-Bahn-Bau entdeckt, ist die Virgilkapelle erst seit  2015 öffentlich zugänglich. Mit gotischen Pfeilern, überwölbten Nischen und byzantinischen Kreuzen wird in der Krypta das finstere Mittelalter lebendig. Wer lieber das Pompöse in der Geschichte sucht, dreht natürlich eine Runde durch Schloss Schönbrunn und damit durch die Privatgemächer von Franz Joseph und Sisi.

Wobei: Verborgenes gibt auch die unterschätzte Hermesvilla im Lainzer Tiergarten preis. Das "Schloss der Träume" war ein Geschenk von Franz Joseph an seine reisefreudige Gattin. Er hoffte, sie so mehr an Wien zu binden. Eine Schau im ersten Stock zeigt, wie das Kaiserpaar abseits des höfischen Zeremoniells lebte. Für Musikfans aus aller Welt ist der Musikverein der Kulturtempel schlechthin. Die Akustik im großen "Goldenen Saal" ist unübertroffen. Das Musikleben vergangener Jahrhunderte lebt aber auch im Deutschordenskloster fort  – wenn auch auf einer viel kleineren Skala bzw. in Form von Kammermusik: Die winzige Sala Terrena gilt als der älteste Konzertsaal Wiens.

Das TAG

©TaG

Gespielt werden Werke von Haydn, Schubert und – Mozart. 1781 wohnte und musizierte er für kurze Zeit im Kloster, bis er vom fürsterzbischöflichen Oberstküchenmeister hinausgeworfen wurde. Der unkontrollierbare Mozart hatte einmal zu oft provoziert. Steile Höhen und den tiefen Fall praktiziert man auch im Wurstelprater. Die Achterbahn Boomerang lädt zum Adrenalinrausch. Der Vergnügungspark rund ums Riesenrad zieht mit   Fahrgeschäften, Geisterbahnen, Kettenkarussell oder Autodrom seit jeher das Volk an. Viel beschaulicher – und   aus der Zeit gefallen: der Böhmische Prater am Laaer Berg.

Wurstelprater

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Hier fahren Kinder im ältesten, erhaltenen Ringelspiel, in einem Rosengarten wartet eine Minigolf-Anlage und der Werkelmann kurbelt an seiner Drehorgel. Fehlt in dieser Aufzählung nur mehr Wiens Theaterleben: Besonders während der Festwochen (heuer von 12.5. bis 21.6.) hebt sich der Vorhang vielerorts. Als bürgerliches Gegenstück zum Burgtheater eröffnete 1889 das Volkstheater. Heute gibt es im deutschsprachigen Raum kaum ein größeres Theaterhaus. Einen neuen Gegenpol bilden da Wiens kleinere Bühnen – wie das TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße), das dem freien, jungen Theater und der Improvisation Raum gibt. Ob jung oder alt, groß oder klein, in Wien gehören sie alle zur Familie.

Belinda Fiebiger

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