Sehnsuchtsort Grado: Der edelste Spot an der Adria

Nicht weit entfernt von uns geht die Sonne noch früher auf. Hitzefrei in Grado, Sehnsuchtsort frühester Urlaubserfahrungen. Plus: Die besten Lokale und Hotels für ein Wochenende.

Überblick

Beste Reisezeit

Mai bis September

Anreisedauer

5 Stunden mit dem Auto ab Wien

Währung

Euro

Auskunft

grado.it

Es ist nicht weit. Fünf Stunden von Wien aus, für Salzburger oder Kärntner ist’s noch wesentlich weniger. Außerdem hat sogar die Fahrt selbst einen eigenen Zauber. Urlaub wie damals, als man auf dem Rücksitz eines VW Variant einem noch unbekannten und umso aufregenderen Süden entgegenfuhr. Den Kopf an die kühle, vibrierende Seitenscheibe des Wagens gelehnt. Mit den drei Fragen beschäftigt, die wirklich von Bedeutung waren: Wie salzig kann Meerwasser tatsächlich sein? Wie viel Sand gibt es eigentlich an so einem Sandstrand? Und: Wie gut ist die Pizza in Italien?

Schön, nah und herrlich italienisch: Grado war einst die wichtigste römische Hafenstadt

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Die Fragen sind längst beantwortet – am Gefühl ändert sich bis heute nichts. Schon nach ein paar Kilometern auf der Autostrada 23 Richtung Süden. Egal wie das Wetter bis hierher war, hinter dem letzten Tunnel im Kanaltal scheint immer die Sonne. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Die Landschaft liegt weit und weich vor uns, breitet sich genüsslich aus. Genau so muss das süße Leben aussehen, es ist eine Art Magie, plötzlich ist man „in Italien“, mit seinen Zypressen, Maulbeer- und Olivenbäumen, Steineichen und Palmen.

Die Ausbeute der Fischer: getrockneter Stockfisch, Baccalà

©imago stock&people

Und plötzlich das Meer

Der nächste Wow-Moment, an dem man am liebsten anhalten und tief einatmen möchte: Knapp eineinhalb Stunden am Rand der Lagune. Ein Grün, wie es sonst nicht zu finden ist, so üppig, dass man es umarmen möchte. Es spiegelt sich in trägen Bächen und toten Flussarmen, alles wächst und wuchert, wilde Kräuter und Jasmin duften um die Wette mit dem würzigen Aroma der Algen und der Küste. Die Autofenster sind  offen, dieses Mittelmeeraroma, untrennbar mit den frühesten Urlauben verbunden, will man sich nicht entgehen lassen. Und wärmer als bei uns ist es hier immer. Alle fünf Kilometer nach Süden steigt die Temperatur um 0,5 Grad, so heißt es ...

Dann das Meer. Beinahe unvermittelt sind wir mittendrin, auf dem fünf Kilometer langen Damm, der die „Sonneninsel“ Grado mit dem Festland verbindet. Im Gegensatz zu ihren Nachbarinnen Lignano, Caorle und Jesolo ist sie eine Dame aus adeligem Haus, der man sich mit gebührendem Respekt nähert. Und man macht es unwillkürlich, geht vom Gas, genießt die perfekte Kulisse. Angler zu beiden Seiten, Fischerboote, Laguneninseln, links Barbana mit der berühmten Wallfahrtskirche.

Wen erinnert das nicht an die Kindheit: die typisch bunten Badehäuser warten auf Österreichs Sonnenanbeter

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 Grado war einst eine wichtige römische Hafenstadt, Zufluchtsort der Bischöfe von Aquileia während der Rest des Landes von den Langobarden verwüstet wurde, dann Sitz eines eigenen Patriarchats, bis ihr Venedig den Rang abgelaufen hat. Und nach einem ausgiebigen Dornröschenschlaf schließlich DIE Sehnsuchtsstadt des k.u.k-Bürgertums, der Adeligen und Offiziere, der Künstler und Architekten.

Mitten im Zentrum stehen wir bewundernd vor der Kirche Sant’Eufemia, einem der seltenen, vollständig erhaltenen Bauwerke aus der Zeit der Völkerwanderung. Gleich daneben die noch ältere Santa Maria delle Grazie, wuchtig und schmucklos im syrischen Stil erbaut, strahlt sie eine unglaubliche Ruhe aus. Am Sonntag schweben hier die Stimmen des Kirchenchors über den Platz in Richtung Himmel. Aber nicht heute. Es wird Abend und aus einem der malerisch abgewohnten Altstadthäuser zur Linken der Kirche kommen die Klänge eines Saxofons. Spärlich zuerst, ein wenig zögernd, dann selbstbewusster, eine Improvisation zwischen Blues und Jazz, melancholisch schön, kein Ton zu viel. Der sanfte Wind trägt die Melodie aufs Meer, wo sie sich in den Wellen auflöst, während die Kirche seit 1.500 Jahren unverändert und unbeeindruckt von allem, was diese Stadt bisher erlebt hat, im blauen Licht der Dämmerung vor uns aufragt. Die Zeit scheint still zu stehen. Für einen Moment …

Ort der Ruhe: Die Kirche Santa Maria delle Grazie wurde im syrischen Stil erbaut

©Olimpio Fantuz/HUBER IMAGES

Adria pur – ein Klischee? In einer kleinen Kneipe am Hafen essen wir Frico Friulano, gebratenen Käse und Kartoffeln, dann Baccalà, Stockfisch mit Anchovis und Petersilie. Am nächsten Tag geht’s an den Strand. Im Herbst strahlen die verwaisten Sonnenschirme des Spiaggia Principale eine wunderbare Melancholie aus, jetzt im Sommer wuselt es wie in einem Ameisenhaufen. Liegestuhl an Liegestuhl, die Sonnenschirme hübsch und bunt wie eine überdimensionierte Prinzengarde, die auf ihren Auftritt wartet. Mütter verfolgen ihre mit Schaufel und Eimer durch die Reihen torkelnden Kinder, Väter liegen wie gestrandete Wale auf dem Rücken. Adria pur, Klischee, aber doch zutiefst verinnerlichtes, wenn auch beinahe vergessenes Idealbild eines Italien- Urlaubs. Wenn wir einmal länger da sind, mieten wir uns ein Boot und fahren auf eine der Inseln am Rand der Lagune. Einige sollen traumhaft sein…

Am Heimweg stoppen wir bei einem Weinbauern im Hinterland. Drinnen im gemütlichen Gastraum schmettert eine italienische Tischgesellschaft Verdi-Arien. Wir wollen eigentlich nur etwas Merlot und Refosco, den kräftigen Roten der Region kaufen. Aber die mit Würsten, Schinken und Käse beladenen Tabletts, die von der Wirtstochter an den Tisch getragen werden, machen uns neugierig. Was ist das? „Salame d’Oca“, eine Wurst aus Gänsefleisch. Und das? Nein, kein San Daniele, sondern „Prosciutto crudo di Sauris“. Und „Musetto“, eine deftige Kochwurst mit Pfeffer und Nelken, „Sanguinaccio“ (Blutwurst), „Pitina“ (Laibchen aus faschiertem und geräuchertem Fleisch), „Ricotta affumicata“ (geräucherter Ricotta), „Ubriaco“ (halbfester Käse mit Rotweinaroma), „Orzo e fagioli“ (Rollgersteneintopf mit Bohnen).
Madonna! Wir kaufen alles, während uns Franz und Sisi von Bildern an der Wand des Schankraums zulächeln. Wie das? Ein Versuch, mehr nostalgische österreichische Touristen anzulocken? „Nein“, erklärt der Wirt, der neugierig dazugekommen ist, „nicht für die Touristen. Francesco und Sisi sind für uns. Sie waren immer für uns, das Trinkwasser, die Kanäle, die Hotels in Grado – wir haben ihnen viel zu verdanken. Und wir haben das nicht vergessen.“

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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