Besuch beim Galway Girl: Irlands durchgeknallte Küstenstadt
Irland bunte Küstenstadt ist europäische Kulturmetropole. Eine Story über Musik und einen Fischreiher namens Bertie.
Überblick
Mai bis September
knapp 80.000
Connacht
von Klaus Puchleitner
Über Galway erzählen? Warum nicht mit einer kleinen, wahren Geschichte beginnen: Monroe’s Tavern, ein Touristenpub am Eingang zum Evil West End, Galways viel frequentiertem Pub- und Vergnügungsviertel.
Der Barkeeper hat Pause, er steht zum Rauchen vor der Türe. Es regnet, eine Frau im Trenchcoat stöckelt den Gehsteig entlang. Dem Barkeeper fängt die Zigarette im Mund zu tanzen an, aufgeregt malt er mit der Hand einen Halbkreis in die Luft, als wolle er dem Mitraucher neben ihm sagen: Jetzt werde ich dir gleich die ganz große, endgültige Geschichte erzählen.
„Weißt du, wer das war?“, entfährt es ihm, und sein Nachbar dreht sparsam den Kopf hin und her. „Das war das Galway Girl“, sagt der Barkeeper, „das echte Galway Girl, die Frau, für die Steve Earle den Song geschrieben hat!“
Das braucht eine Erklärung. Denn bis zu uns nach Mitteleuropa hat es das Lied „The Galway Girl“ nie so richtig geschafft. Nur im Film „P.S. I love you“, in dem Gerard Butler damit Hillary Swank anschmachtet, kam es zu seinen fünf Minuten Weltruhm. Doch in Irland lieben die Menschen den Song, vergöttern ihn, und in Galway ist er Kult. Kein Wunder, dass der Barkeeper vor Aufregung zitterte, als genau jene Frau vor seinem Lokal auftauchte, die den verliebten Folk-Sänger Steve Earle zur Komposition inspiriert hatte. Galway also – die wunderbare, vielseitige, charmante und wohl auch ein wenig durchgeknallte, dennoch seriöse Studenten- und Business-Stadt an Irlands wilder Westküste. Ab kommendem Februar wird sie gemeinsam mit Rijeka europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2020 sein. Galway ist bunt – so bunt, wie eine Stadt nur sein kann, ein Kaleidoskop aus Kuriositäten und Attraktionen.
Reiher, Schwäne, Pferde
Da gibt es zum Beispiel Bertie, den halbzahmen Fischreiher, der ab und zu am Long Walk landet, der Uferpromenade des Flusses Corrib, Türklinken anstarrt, Touristen als Fotomotiv dient und auf Fütterung wartet – oder darauf, dass der nächste Lunch (Fish without Chips) vorbeischwimmt. Bis zu einer eigenen Facebook-Seite hat das schrullige Tier es gebracht.
Es gibt die in Dutzendschaften herumpaddelnden Claddagh-Schwäne, denen die Legende eine besondere Herkunft nachsagt.
Es gibt die Galway Races – Pferderennen, die den Wettkämpfen im britischen Ascot kaum nachstehen. Einmal im Jahr, im Juli, protzt die prachtvolle „Macnas Parade“ mit schillernden Kostümen, bizzarren Figuren und feiner Straßenkunst, die halbe Stadt feiert mit und paradiert durch die City. Es gibt den „Galway Hooker“, jenes sehr spezielle Boot mit rostbraunen Segeln, nach dem eine Biersorte benannt ist, das weltweit nur in der Galway Bay gesegelt wird und von dem ein Exemplar sogar im Stadtmuseum ausgestellt ist.
Und es gibt unzählige Festivals, vom „Arts Festival“ über das Literaturfestival „Cúirt“ bis zum Filmfestival „Fleadh“. 127 solche Feierlichkeiten gehen allein heuer in und um die Stadt über die Bühne, rechnet Bridgette Brew, Tourismusdirektorin von Galway, stolz vor. Vor allem Kulinarik ist ein großes Festival-Thema. 2,7 Millionen Fremde kommen pro Jahr, um sich das bunte Treiben anzusehen – eine Million Iren und 1,7 Millionen internationale Gäste. Im Sommer wirken Shop Street, Quay Street, High Street, Eyre Square und der Long Walk, die Flaniermeilen der Stadt, wie in ein Ameisenmeer getaucht.
Tipp
...den Krimi „Priest“ von Ken Bruen: Der kaputte Privatdetektiv Jack Taylor ermittelt in Galway. Vor Ort ein Must-read – idealerweise im englischen Original.
...eine Windjacke. In Irland erlebt man alle vier Jahreszeiten an einem Tag. Selbst im Sommer können Haube, Jacke und Pullover unter Umständen nützlich sein.
...ein Irisch-Wörterbuch. Die gälische Sprache, hart und zart zugleich, wird in Galway noch gesprochen. Versteht man etwas, ist man „céad mile fáilte“ (hunderttausendfach willkommen).
Die typisch irischen Auslagen der vielen Läden in der Altstadt, die sich mit nicht weniger pittoresken Pub-Fassaden abwechseln, rahmen rechts und links die vielen Touristen, die gemeinsam mit Straßensängern, Studenten der lokalen Uni und geschäftigen Einheimischen durch die Straßen drängen. Alles mixt sich zu einem pulsierenden Wirrwarr, vor allem im Sommer ist die ganze Galwayer City ein aufgeregtes und aufregendes Durcheinander. Geht es nach den Verantwortlichen von „Galway 2020“, dem Kulturhauptstadtjahr-Projekt, ist das noch gar nichts im Vergleich zu dem, was kommt. Die Stadt werde „on fire“ sein, sagt Bridgette Brew und meint das sowohl wörtlich wie auch im übertragenen Sinn: Feuerspiele sollen das Kulturhauptstadtjahr einleiten, das gesamte County Galway macht mit.
Von 2. Februar an werden diverse Startevents die Stadt von außen wie ein Ring immer enger einschnüren, bis am 8. Februar im Zentrum die ganz große Eröffnungsparty abgefeiert wird. Drei Themen sollen das Kulturhauptstadtjahr prägen: Landschaft, Sprache und Menschen.
On fire waren die Bewohner der Grafschaft Galway schon 1919 einmal, als die Flugpioniere John Alcock und Arthur Brown am Ende des ersten Transatlantik-Fluges der Menschheit nahe dem Dörfchen Derrygimlagh im wilden Landstrich Connemara eine Bruchlandung inmitten von Schafherden hinlegten. Das urtümliche Connemara ist heute noch beliebtes Ausflugsziel von Galway aus. Sogar Rock-Ikone Sting besitzt in der Nähe des Provinzhauptstädtchens Clifden ein Haus.
Sparching und Prom Walking
Von der lieblichen Weichheit südlicher Touristenziele findet man in Galway wenig, die Stadt verfügt über eine ordentliche keltische Robustheit. Doch ein leicht tändelnder Einschlag, von Eroberern und Händlern im Laufe der Zeit hierher gebracht, ist trotzdem vorhanden. Der Spanish Arch zum Beispiel, Teil einer alten Befestigungsanlage, erzählt davon: An seinem Vorplatz auf den Pflasterquadern des Kais zu sitzen, mit den Füßen über dessen Mauer zu schlenkern und dem Corrib beim Fließen in die Galway Bay zuzusehen, ist beliebte Beschäftigung von Einheimischen und Besuchern. Sie hat sogar einen eigenen Namen: „Sparching“. Galwayer Familien wiederum ist „Prom Walking“, ein Spaziergang an der Meerespromenade des Außenbezirks Salthill, liebster Sonntags-Zeitvertreib.
Doch eigentlich und vor allem ist Galway Musik – ein Zentrum des Irish Trad, traditionell irischer Musik, zu der die Iren „Ceoil“ sagen, sprich: „kjool“. Die Stadt geht über vor Celtic Bands und Hobbymusikern mit durchaus professionellem Können.
Info
...die Seelen der jungen Männer aus dem alten Lehmhüttenviertel „The Claddagh“, die in diversen Kriegen starben, der Legende nach in den Schwänen weiterleben, die heute den Corrib-Kai bevölkern.
...nur Silberschmiede in Galway den Original-Claddaghring anfertigen, der aus zwei Händen und einem Herz besteht. Zeigt dessen Spitze von der Trägerin weg, sucht sie einen Freund. Zeigt das Herz nach innen, ist sie vergeben.
...sich die Salmon-Weir-Brücke jedes Jahr in eine Freilufttribüne verwandelt, wenn die Lachse zum Laichen den Corrib aufwärts ziehen und von Fischern im Wasser gejagt werden. Auf der Brücke sammeln sich dann die Zuseher.
In jedem Pub wird Hausmusik gemacht, die Iren betrachten Bar-Theken und deren Rundherum ohnehin geflissentlich als zweites Wohnzimmer. Und das finstere Guinness-Bier, das sich honiggleich wie süßer Saft an den Gaumen schmiegt, fließt zu den Klängen von Fiddle und Tin Whistle in Strömen. Mittlerweile kommt auch moderne Musik nicht zu kurz. In der Bar „Róisín Dubh“ im West End etwa haben Rockgrößen aus der halben Welt zu Beginn ihrer Karrieren aufgespielt. Und auch Steve Earles Folk-Song Galway Girl bekam jüngst einen modernen Bruder zur Seite gestellt: Superstar Ed Sheeran schrieb ein neues Lied mit diesem Titel, das auf Anhieb zum Welthit wurde. Das Video mit dem irischen Nachwuchs-Shootingstar Saoirse Ronan als Galway Girl wurde teils vor Ort in Galway gedreht. Man erkennt die kleinen, bunten Häuser des Long Walk prominent in der Schlusseinstellung. Da hatte Fischreiher Bertie bei den Dreharbeiten wohl etwas zum Staunen, falls er gerade anwesend war.
Info
Essen in Galway – eine Sache, bei der das Meer eine große Rolle spielt. Zum Beispiel ist alles ums Thema Muscheln eine Spezialität der Chefs der Stadt. Viele meist kleine Restaurants haben das Thema Seafood extrem gut drauf. Mit dem „Galway Oyster Festival“ gibt es jedes Jahr im September sogar einen eigenen Event, die halbe Stadt verwandelt sich dann in eine riesige Muschelzubereitungs-Location. Das „Galway Food Festival“, immer im April, ist der zweite Event, bei dem Kulinarik die Hauptrolle spielt. Während der Woche des Food Festivals ist Galway ein einziger großer Freiluftmarkt. Thema Restaurants: Galway protzt weniger mit großen, teuren Fresstempeln, ist dafür aber reich an feinen, oft versteckten Kleinoden mit abenteuerlich bunter Küche. Die Locals nach guten Tipps fragen bringt immer etwas. Neben Muscheln und Fisch aller Art – natürlich gibt es unzählige Variationen der Fischsuppe Chowder – ist Galway auch für besondere Steaks von frei weidenden irischen Kühen bekannt. Immer mehr Galwayer Chefs widmen sich in jüngster Zeit auch der kreativen Zubereitung von Algen.
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